Kriminalität (1959)
Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Bis zum Jahre 1955 wurden Zahlen über den Stand der K. in der SBZ nicht veröffentlicht. Erstmalig wurde 1956 eine Übersicht über die K. mit der Bekanntgabe der Gerichtsstatistik gegeben. Mit deren Zahlen wird zu beweisen versucht, daß die K. in der sozialistischen „DDR“ in ständigem Absinken begriffen sei, während sie in der kapitalistischen Bundesrepublik immer mehr ansteige. Diese Erscheinung wird, wie so vieles andere auch, auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zurückgeführt.
„Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen der Kriminalität des Kapitalismus und der Kriminalität in einem sozialistischen Staat. Die Kriminalität hat unter den Bedingungen der Arbeiter-und-Bauern-Macht einen gänzlich anderen Charakter. In unserer Gesellschaft wurden jene Erscheinungen beseitigt, die die Kriminalität gesetzmäßig erzeugen. Wirtschaftskrisen sind unserem gesellschaftlichen System unbekannt. Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Ruin, kurzum alle jene Folgen, die das ökonomische Grundgesetz des modernen Kapitalismus tagtäglich in den vielfältigsten Formen auslöst, sind unserer Ordnung fremd. Wie die gesamte Rechtsordnung, so entsprechen insbesondere auch die Strafgesetze den Interessen der Werktätigen. Es gibt keinen objektiv begründeten Widerspruch zwischen dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Willen und den Interessen der überwältigenden Volksmehrheit. Antagonistische Widersprüche zwischen den Interessen des einzelnen Werktätigen und denen der Gesellschaft existieren nicht.“ („Neue Justiz“ 1958, S. 401.) Die Gerichtsstatistik der SBZ muß mit den Vorbehalten betrachtet werden, die grundsätzlich gegen Ergebnisse der sowjetzonalen Statistik angebracht sind. Einen genauen Überblick über die tatsächliche K. gibt diese Statistik schon deswegen nicht, weil sie sich auf die Angabe der gerichtlich verurteilten Personen beschränkt, eine Gegenüberstellung zwischen bekannt gewordenen Verbrechen und Vergehen zu den ermittelten und verurteilten Tätern aber nicht enthält. Gerade eine solche Gegenüberstellung, wie sie in der für die Bundesrepublik vom Bundeskriminalamt erstellten Statistik enthalten ist (Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik 1958, S. 97), wäre aber besonders aufschlußreich und ließe auch die Qualität der polizeilichen Ermittlungstätigkeit erkennen. Diese Schwächen der Gerichtsstatistik werden im sowjetzonalen Just.-Min. nicht verkannt: „Dadurch, daß nicht auf allen Stufen jeweils dieselbe Kriminalität erfaßt wird und die Zahlen untereinander demzufolge nie ‚aufgehen‘ können, sondern sich im Gegenteil stets — und mitunter nicht einmal unbeträchtliche — Differenzen ergeben, bleibt bei der Arbeit mit den derzeitigen kriminalistischen Zahlen zuviel Raum für Spekulation. Statt daß uns die Statistik bei der Erlangung eines genauen Überblicks hilft, veranlaßt sie uns mitunter zu unfruchtbarer Raterei“ („Neue Justiz“ 1958, S. 18). Mit Hilfe der Gerichtsstatistik wird behauptet, daß die K. in der SBZ im Jahre 1957 um mehr als 50 v. H. geringer als jemals in Deutschland seit dem Jahre 1882 gewesen sei. Die weitere Behauptung, daß die K. in der Bundesrepublik dreimal so hoch sei wie in der SBZ, erscheint schon dann in einem erheblich anderen Licht, wenn man einmal die Verkehrsdelikte ausklammert. Diese umfassen in der Bundesrepublik 42 v. H. aller verurteilten Personen, während es in der SBZ nicht ganz 5 v. H. sind. Für das Jahr 1957 entfallen nach den Ziffern der sowjetzonalen Gerichtsstatistik auf 100.000 strafmündige Personen 467 Verurteilte; in Ost-Berlin, das bewußt in diese Zahl nicht einbezogen ist, 688 Verurteilte. In der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin betrug diese Häufigkeitsziffer im Jahre 1956 1.342 Verurteilte, bei Nichtberechnung der Verkehrsdelikte 779 Verurteilte. Auffallend an der sowjetzonalen Gerichtsstatistik ist schließlich, daß ausgerechnet in den ländlichen Bezirken (Neubrandenburg, Rostock, Frankfurt/O.) die K. um die Hälfte größer sein soll als in den dicht besiedelten Bezirken (Leipzig, Dresden, Chemnitz).
Als Quelle der noch vorhandenen K. in der SBZ werden angesehen [S. 195]„der unheilvolle Nachlaß des Kapitalismus im Denken und Handeln der Menschen“, „die unmittelbaren, gelenkten und spontanen Einflüsse des Kapitalismus von außen (Angriffe und Bestrebungen konterrevolutionären Charakters)“ und die „in Wort, Schrift und Bild (Fernsehen!) von Westdeutschland und West-Berlin ausgehende Atmosphäre, die die Keime des Verbrechens ausspeit“ („Neue Justiz“ 1958, S. 402). Eigenartig ist aber, daß die SU nach den Ausführungen des Justizministers der RSFSR, Boldyrew, noch heute vor denselben Schwierigkeiten steht: „Die Aufgaben des Aufbaus des Kommunismus fordern vor allem die Liquidierung solcher kapitalistischer Überreste, die in den verschiedenen Arten von Verbrechen in Erscheinung treten. Deshalb steht vor den Organen der Justiz und anderen Organen, die unmittelbar berufen sind, die Kriminalität zu bekämpfen, die praktische Aufgabe, in historisch kürzester Frist die Kriminalität in unserem Land zu beseitigen.
Die Aufgabe, die Kriminalität in historisch kürzester Frist zu beseitigen, kann selbstverständlich nicht allein durch das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Miliz erfüllt werden. Sie kann nur dann gelöst werden, wenn alle Staatsorgane daran aktiv teilnehmen und die breite Öffentlichkeit unter Führung der Kommunistischen Partei mit einbezogen wird“ („Neue Justiz“ 1959, S. 297).
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 194–195
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