DDR von A-Z, Band 1959

Staatsarchive (1959)

 

 

Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Das Archivwesen ist nach sowjetischem Vorbilde durch VO vom 13. 7. 1950 dem Innenministerium (Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten) unterstellt worden. Kontrolle und Anleitung der St. obliegen der beim Innenministerium gebildeten Staatlichen Archivverwaltung (Sitz Potsdam). Die territoriale Zuständigkeit der St. ist bis jetzt noch der traditionellen Verwaltungsgliederung Mitteldeutschlands angepaßt und entspricht der bis 1952 geltenden Einteilung der SBZ in 5 Länder. Für jedes Land gibt es ein Landeshauptarchiv (LHA). Ihnen wurden Landesarchive (LA), die für kleinere Gebietsteile zuständig sind, angegliedert. Dem LHA Brandenburg in Potsdam untersteht das LA Lübben (z. Z. in Auflösung), dem LHA Mecklenburg in Schwerin das LA Greifswald, dem LHA Sachsen in Dresden die LA Bautzen, Glauchau, Altenburg und Leipzig, dem LHA Sachsen-Anhalt in Magdeburg die LA Merseburg und Oranienbaum, dem LHA Thüringen in Weimar unterstehen die LA Gotha, Meiningen, Rudolstadt und Greiz.

 

Das Deutsche Zentralarchiv (DZA) in Potsdam verwahrt Aktenbestände der Reichsregierung von 1867 bis 1945 (ehem. Reichsarchiv). Es verfügt über ausgelagerte Bestände der Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg, deren Übergabe an die betr. Städte vom Zoneninnenministerium verweigert wird, und verwaltet Akten der zentralen Dienststellen der SBZ aus der Zeit von 1945 bis 1958. In der Abt. Merseburg des DZA sind die von Berlin-Dahlem im Kriege ausgelagerten Bestände des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und des Hohenzollernschen Hausarchivs untergebracht.

 

Die Bestände der mitteldeutschen Archive sind durch Kriegsverluste, vor allem aber durch Beschlagnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht stark dezimiert. Nur Teile wurden wieder zurückgegeben (1955, 1957, 1959). Alle Rußland und die Arbeiterbewegung betr. Akten [S. 341]deutscher Behörden sind bisher in der SU einbehalten worden.

 

Wiederaufbau und Neuordnung der Archive sind durch Mangel an geeigneten Fachkräften und fehlende Investitionen für dringende Neubauten behindert. Die Ausbildung für den höheren Archivdienst (Diplomarchivare) geschieht in einjährigen Kurzlehrgängen durch das im Jahre 1950 gegründete Institut für Archivwissenschaft (Sitz Potsdam), das 1958 zum Institut der Ost-Berliner Humboldt-Universität erklärt wurde. An der Fachschule für Archivwesen (Sitz Potsdam) werden Abiturienten mit dem Berufsziel eines staatlich geprüften Archivars ausgebildet, eine in Deutschland bisher unbekannte Berufssparte. Bei allen Lehrgängen, Sonderkursen und beim Archivfernstudium steht die politische Bewußtseinsbildung durch SED-Dozenten vor der fachlichen Schulung.

 

Die Benutzung der St. unterliegt verschiedenen Benutzungsbeschränkungen. Außenpolitische Akten dürfen nur nach Genehmigung durch das Außenministerium eingesehen werden. Forschern aus der Bundesrepublik und dem westlichen Ausland ist seit 1958 der Zutritt zu den St. weitgehend verwehrt. Seitdem ist durch Staatssekretär Grünstein sogar eine allgemeine Auskunftssperre verfügt worden, die allen Archiven der SBZ untersagt, Anfragen aus der Bundesrepublik und West-Berlin über die in den mitteldeutschen Archiven befindlichen Pensions-, Renten- und Kriegsversorgungsunterlagen zu beantworten. Mit dem Amtsantritt des ehem. ZK-Sekretärs Schirdewan als Leiter der Staatlichen Archivverwaltung hat sich die Politisierung des Archivwesens noch beträchtlich verschärft. Sein Ziel ist, ein „sozialistisches Archivwesen“ zu schaffen. Durchsetzung des Archivpersonals mit SED-Mitgliedern und SSD-Spitzeln und verstärkte marxistisch-leninistische Schulung der Archivare treten in den Vordergrund. Eine straffere Organisation und Kontrolle des ohnehin überzentralisierten Archivwesens soll durch einheitliche Strukturpläne für alle St. erreicht werden. Geplant ist die Anpassung der St. an die verfassungswidrige Bezirksgliederung der SBZ.

 

Die Kreis-, Stadt- und Gemeindearchive wurden der Weisungsbefugnis der LHA entzogen und den Referenten für Archivwesen bei den Räten der Bezirke unterstellt. Die Archive der staatlichen Verwaltungsorgane (laufende Registraturen) befinden sich zum größten Teil in desolatem Zustand, da die Verwaltungsarchivare nicht nur jeglicher Fachausbildung entbehren, sondern überwiegend zu politischen Agitationszwecken und besonderen Arbeiteinsätzen (Landeinsatz, Viehzählung usw.) herangezogen werden. Die Archive der größeren „volkseigenen“ Wirtschaftsunternehmen besitzen zwar gegenüber der staatlichen Aufsicht eine gewisse Selbständigkeit, werden aber ebenfalls als „Stiefkinder“ behandelt.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 340–341


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.