DDR von A-Z, Band 1959

Enteignung (1959)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Das private Eigentum war mehreren E.-Aktionen ausgesetzt. Durch die bereits 1945 eingeleitete Bodenreform wurden alle landwirtschaftlichen Privatbetriebe über 100 ha enteignet.

 

Der Befehl Nr. 124 der SMAD ordnete die E. von „Kriegsverbrechern und Naziaktivisten“ (Sequesterbefehl) an. Dies sollte eine politische Reinigungsaktion darstellen und konnte nur als solche gerechtfertigt sein, in Wirklichkeit wurde damit die erste Sozialisierungsaktion im großen Stil durchgeführt. Der Befehl Nr. 64 der SMAD vom 17. 4. 1948 erklärte die D. auf Grund des Befehls Nr. 124 für beendet. Etwa 40 v. H. der gesamten Industrieproduktion der SBZ war durch diesen Befehl in Volkseigentum übergeführt worden. Rechtsmittel gegen die E. und sonstige Maßnahmen zur Wiederaufnahme von Sequesterverfahren waren nach dem Befehl Nr. 64 nicht mehr zulässig. Da bei Erlaß dieses Befehls über die meisten Einsprüche noch nicht verhandelt war, hatte diese Bestimmung zur Folge, daß in nahezu allen E.-Fällen die Einwendungen der enteigneten Eigentümer unbeachtet blieben.

 

Die nächste E.-Welle wurde durch den Befehl Nr. 201 der SMAD eingeleitet, wonach Strafverfahren gegen angebliche Naziverbrecher durchgeführt werden konnten. Hier war es in jedem Fall möglich, durch Strafurteil auf Vermögensentzug zu erkennen.

 

Nach Art. 23 der Verfassung dürfen E. nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage gegen angemessene Entschädigung vorgenommen werden, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. In einigen E.-Gesetzen ist eine Entschädigung vorgesehen; diese Ansprüche stehen jedoch oft nur auf dem Papier. So sind z. B. bis heute noch nicht die im Aufbaugesetz vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen über die Entschädigung der Eigentümer in Anspruch genommener Grundstücke ergangen.

 

Der Mißbrauch des Eigentums hat nach Art. 24 grundsätzlich entschädigungslose E. und Überführung in das Eigentum des Volkes zur Folge. Private wirtschaftliche Unternehmen, „die für die Vergesellschaftung geeignet sind“, können enteignet werden. Alle Bodenschätze, Naturkräfte, Bergwerke sowie die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung und der Energiewirtschaft sind gemäß Art. 27 und 25 der Verfassung verstaatlicht worden.

 

Eine weitere Möglichkeit zur entschädigungslosen E. ist die Vermögenseinziehung im Strafverfahren, von der in den politischen Verfahren nach Art. 6 der Verfassung und der Kontrollratsdirektive 38 und in den Wirtschaftsstrafverfahren reichlich Gebrauch gemacht worden ist. Auch einige der neuen Staatsverbrechen des Strafrechtsergänzungsgesetzes vom 11. 12. 1957 sehen die Vermögenseinziehung als Strafe vor.

 

Die kalte E. des Privateigentums wird schließlich durch steuerliche Maßnahmen (Steuerwesen, Erbrecht) und im Wege des Konkursverfahrens (Konkursrecht) betrieben. Bis zu dem im Juni 1953 verkündeten neuen Kurs und wieder seit August 1958 wird das Flüchtlingsvermögen praktisch enteignet.

 

Die enteigneten Vermögenswerte sind grundsätzlich lastenfrei in das Volkseigentum übergeführt worden. Das bedeutet eine entschädigungslose E. der privaten Gläubiger des Enteigneten, deren Rechte an enteigneten Grundstücken und beweglichen Sachen und deren Ansprüche gegen das eingezogene Vermögen nicht anerkannt werden. Erst die VO vom [S. 94]23. 8. 1956 über die Entschädigung ehemaliger Gesellschafter für Beteiligungen an enteigneten Unternehmen und die Befriedigung langfristiger Verbindlichkeiten aus der Zeit nach dem 8. 5. 1945 (GBl. S. 683) und das Gesetz vom 2. 11. 1956 (GBl. S. 1207) über die Regelung der Ansprüche gegen Personen, deren Vermögen nach der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten oder auf Grund rechtskräftiger Urteile in das Eigentum des Volkes übergegangen ist, sehen eine gewisse Entschädigung bis zum Werte der in das Volkseigentum übernommenen Vermögenswerte vor.

 

Aus Anlaß eines Rechtsstreites eines in der SBZ enteigneten und in das Volkseigentum übergeführten Zweigbetriebes und des westdeutschen Hauptbetriebes hat das Oberste Gericht entschieden, daß die E. für ganz Deutschland wirksam sei. Demgemäß sei auch das dem westdeutschen Betrieb gehörende Warenzeichen auf den „volkseigenen Betrieb“ übergegangen. („Neue Justiz“ 1954, S. 58.)

 

Literaturangaben

  • Die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone und die Verwaltung des Vermögens von nicht in der Sowjetzone ansässigen Personen. 2., erg. Aufl. (BMG) 1958. 312 S. m. 62 Anlagen.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 93–94


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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