Kampfgruppen (1959)
Siehe auch die Jahre 1956 1958 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Militärähnliche Verbände der SED in Betrieben in Stadt und Land, in Landwirtschaftlichen ➝Produktionsgenossenschaften, in Behörden, Schulen und Anstalten aller Art. Schon seit Herbst 1952 zunächst in Großbetrieben der Volkseigenen Industrie in Anfangs- und Vorformen errichtet. (Mit dem damals üblichen Namen Betriebskampfgruppen werden die K. noch heute zuweilen bezeichnet.) Unter dem Eindruck des Juni-Aufstandes trieb die SED seit Mitte 1953 die Aufstellung bewaffneter K. voran. Neben Angehörigen der damaligen KVP waren bei der Ausbildung zunächst Ausbilder der GST und der Volkspolizei tätig. Seit April 1954 werden auch zuverlässige Nichtmitglieder der SED in die K. hineingeholt. Um die Widerstände der Arbeiterschaft gegen eine Parteimiliz zu überwinden, forderte das ZK der SED am 3. 4. 1955, „starke Kampfgruppen zu bilden, und … zu disziplinierten, schlagkräftigen Einheiten zu entwickeln“. Es leitete auf seiner 23. Tagung (15. 4. 1955) eine Straffung der K. ein.
Kurz darauf faßte das Politbüro der SED einen ausführlichen „Beschluß über die Organisierung und Ausbildung der Kampfgruppen“ (s. „Neuer Weg“ Nr. 11/1955). Darin nennt es den K. als Vorbilder: die „Arbeiterbataillone der Tschechoslowakei … 1948“, die „proletarischen Kampfverbände“ der Aufstände gegen die Weimarer Republik 1919 bis 1923 — und die Internationalen Brigaden der rotspanischen Armee. Die K. sollen, so heißt es, zu „kampfkräftigen Einheiten — zu Arbeiterbataillonen — entwickelt werden. Sie sollen in die Lage versetzt werden, als wirksames Instrument der Heimatverteidigung sowohl die Betriebe zu schützen als auch, wenn es die Situation erfordert, gemeinsam mit der Deutschen Volkspolizei … innerhalb ihres Heimatgebietes zu kämpfen und die innere Sicherheit der Republik zu garantieren.“ (Damit verlangt die SED sinngemäß den Einsatz der K. an der Seite der Armee, die 1955 noch als Kasernierte Volkspolizei getarnt war.) Den K. werden die Altersgruppen von 25 bis 60 Jahren vorbehalten, während in der GST alle jüngeren Kräfte ihre Ausbildung erhalten.
[S. 171]Dieser Beschluß des Politbüros führte zu immer strafferem Aufbau und besserer Ausbildung der K. durch die allgemeine Volkspolizei (VP). Nach dem Volksaufstand in Ungarn verlangte das ZK der SED auf seiner 29. Sitzung (14. 11. 1956) eine besonders „gründliche Ausbildung im Orts-, Straßen- und Häuserkampf“. Die K. lösen, so wurde betont, ihre Aufgaben „gemeinsam mit den Polizeikräften und erforderlichenfalls mit den Einheiten der Nationalen Volksarmee“. — Ein Urteil des Kreisgerichtes Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) bezeichnet am 2. 5. 1957 die K. als Staatseinrichtung im Sinne des § 131 des Strafgesetzbuches.
SED-Mitgl. und zuverlässige Parteilose im Alter von 25–60 Jahren werden von den örtlichen SED-Parteileitungen dienstverpflichtet. Die militärische Verantwortung für die K. tragen die Kampfgruppenkommandeure, die in besonderen Schulen ausgebildet werden. Auch ältere Offiziere, die die NVA dazu entläßt, und ehemalige Wehrmachtsoffiziere werden in die Stäbe der K. aufgenommen, um das K.-Führerkorps zu heben. Verantwortliche Ausbilder: Instrukteure der VP, die SED-Mitgl. sein müssen. Zuständiger Politkommissar der K.: Sekretär der Parteileitung. Frauen werden nur als Sanitäterinnen verwandt. Ausbildung: 4 Stunden wöchentl. zusätzlich zur Arbeitszeit. Hauptausbildungsthemen: Karabiner, Maschinenpistole, leichtes MG und Handgranate, Scharfschießen, Grund- und Geländeausbildung.
Einen Teil der Lehrgänge für Führer und Unterführer der K. hält die Nationale Volksarmee ab. Die Waffen der K., zu denen auch mehr und mehr mittelschwere Infanterie-Begleitwaffen kommen (schwere MG, Panzerautos, Pak), werden nicht bei den Einheiten aufbewahrt, sondern befinden sich unter Polizeibewachung in besonderen Lagerräumen. — Seit Anfang 1958 bilden die über 55 Jahre alten Mannschaften der K. eine K.-Reserve, die nur für örtliche Einsätze bestimmt ist. Bei der personellen Zusammensetzung der K. in den Betrieben usw. wird berücksichtigt, daß im Ernstfall jene Mitglieder, die Reservisten der Volksarmee sind, von der Volksarmee beansprucht werden; dies gilt aber nicht für die Kommandeure und Unterführer der K. Wie bei allen Bewaffneten Organen der SBZ und bei der GST findet eine sorgfältige Politschulung statt. Seit dem Sommer 1957 tragen die K. graue zweiteilige Uniformen nach Art der Nationalen Volksarmee.
Seit Anfang 1958 legen die K. eine „Verpflichtung“, d. h. einen Soldateneid ab. Der 1. Eid, der bis Mai 1959 galt, forderte u. a., „Befehle als Aufträge der Partei und unseres Staates zu betrachten …, an der Seite der anderen bewaffneten Kräfte der DDR und der Armeen des sozialistischen Lagers rückhaltlos für den Schutz unserer Heimat und den Sieg des Sozialismus einzutreten“. Der neue Eid, den am 1. 6. 1959 „Der Kämpfer — Organ der Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ (Nr. 6) brachte, wird bezeichnet als „Gelöbnis der Kampfgruppen der Arbeiterklasse“. Er lautet: „Ich bin bereit, als Kämpfer der Arbeiterklasse die Weisungen der Partei zu erfüllen, die DDR, ihre sozialistischen Errungenschaften jederzeit mit der Waffe in der Hand zu schützen und mein Leben für sie einzusetzen. Das gelobe ich.“
Seit 1956 werden die Hundertschaften der K. (= Kompanien), von denen es oft mehrere in einem Betrieb gibt, zu K. im engeren Sinne (etwa = Bataillonen) zusammengefaßt. Seit Frühjahr 1958 unterstehen mehrere Bataillone, die mindestens 3 Hundertschaften (= Kompanien) zählen, „Unterstäben“ (wohl = Regimentsstäben). Alle Unterstäbe je eines Kreises (in Großstädten und in Ost-Berlin je eines Stadtbezirkes) werden von einem „Zentralen Kampfstab“ (wohl = Brigadestab) befehligt. Diesen „Zentralen Kampfstäben“ gehören Funktionäre des Kreissekretariates der SED und Offiziere des Volkspolizei-Kreisamtes an.
Daß Bezirks-Kampfstäbe errichtet worden sind, darf als wahrscheinlich gelten. Anfang 1958 wurde im Ministerium des Innern die schon seit Mitte 1955 bestehende Abteilung „Kampfgruppen“ der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVDVP) zu einem Zentralen Kommando der K. erhoben. Die politische Leitung der K. liegt bei der Abteilung Sicherheit des ZK der SED. — Bei den größeren Übungen der K., die grundsätzlich schon seit 1955 auch auf den Einsatz außerhalb der Betriebe und Heimatorte angelegt sind, nehmen häufig kleinere Einheiten der nichtkasernierten Volkspolizei und der GST teil, ferner zuweilen Bereitschaftspolizei, Grenzpolizei oder Einheiten der Nationalen Volksarmee. Die K. sind eine Miliztruppe, deren Kampfwert nicht unterschätzt werden darf. Stärke: nominell rund 300.000, davon einsatzfähig: 150.000. (Militärpolitik)
Literaturangaben
- Kopp, Fritz: Chronik der Wiederbewaffnung in Deutschland, Rüstung der Sowjetzone — Abwehr des Westens (Daten über Polizei und Bewaffnung 1945 bis 1958). Köln 1958, Markus-Verlag. 160 S.
- Bohn, Helmut (und andere): Die Aufrüstung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. (BB) 1958. 174 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 170–171