DDR von A-Z, Band 1959

Lebensstandard (1959)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Das allgemeine Niveau der Lebenshaltung in der SBZ hat sich in den letzten Jahren gehoben. Trotzdem besteht noch immer ein beträchtliches Gefälle zur Lebenshaltung in der Bundesrepublik. Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in West-Berlin mußte eine vierköpfige Familie mit mittlerem Einkommen in der SBZ im Juli 1958 für eine festgelegte Menge an Gütern und Dienstleistungen 463,50 DM Ost ausgeben, während die gleiche Familie in der Bundesrepublik für die gleichen Güter und Dienste nur 348 DM West benötigte. Die Ostmarkkaufkraft betrug also nur 75 v. H. der Westmarkkaufkraft für die mittlere Familie. Diese Gegenüberstellung ließ unberücksichtigt, daß die Bruttolöhne in der SBZ nominell um etwa 12 v. H. niedriger lagen als in der Bundesrepublik. Unter Berücksichtigung der mit der Aufhebung der Rationierung im Jahre 1958 eingetretenen geringen Veränderungen liegt das Niveau der Lebenshaltung in der SBZ für den überwiegenden Teil der Bevölkerung Mitte 1959 um etwa ein Drittel unter dem der westdeutschen Lebenshaltung. Gleichwohl verliert diese Divergenz allmählich an Bedeutung, auch für die Fluchtgründe. Die Eingliederung der Zone in das Wirtschaftssystem des Sowjetblocks und die Entwicklung zur Zentralverwaltungswirtschaft (Wirtschaftssystem) hatten zur Folge, daß sich der L. in der SBZ strukturell oder qualitativ mehr und mehr dem der SU und ihrer Satelliten annähert, also die für diese Wirtschaftsordnung typischen Disproportionen und zeitlichen oder örtlichen Zerrungen aufweist. Diese Merkmale des L. in der SBZ werden also nicht verschwinden, sondern sich möglicherweise auf manchen Gebieten noch stärker ausprägen. Sie sind etwa folgendermaßen zu kennzeichnen:

 

1. Das ideologisch bestimmte System der staatlichen Wirtschaftsplanung verursacht seinem Wesen nach, aber auch infolge von Fehlleistungen des überforderten Planungsapparates, immer wiederkehrende Versorgungslücken, die den L. der Zonenbevölkerung wesentlich beeinflussen. So führt die kommunistische Agrarpolitik (Landwirtschaft) dazu, daß gewisse Grundnahrungsmittel, und zwar auch solche, die das Gebiet der heutigen SBZ früher im Überfluß erzeugte, häufig entweder gar nicht oder nur in unzureichenden Mengen erhältlich sind (z. B. Butter, Zucker, Fleisch). Die Konsumgüterversorgung wird aus allgemeinen wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten immer noch quantitativ und qualitativ zugunsten industrieller Investitionen und der Produktionsgütererzeugung (Produktionsmittelprimat) vernachlässigt.

 

2. Eine dünne Schicht von Parteifunktionären, Angehörigen der technischen ➝Intelligenz und anderer Mangelberufe. Spezialisten und Aktivisten bezieht Löhne und Gehälter, die ein Vielfaches der Durchschnittseinkommen ausmachen, und Vergünstigungen verschiedenster Art, die sie weit über den L. der „Normalverbraucher“ hinausheben; die Masse der letzteren kann einen höheren L. auch nicht durch größere Leistungen erreichen, da die höheren Stufen des Leistungslohnes auf einen bestimmten Prozentsatz der Arbeiterschaft begrenzt sind und bei allgemeiner Verbesserung der Leistungen die Arbeitsnormen heraufgesetzt werden.

 

3. Planmäßige Bevorzugung gewisser Versorgungsgebiete (Ost-Berlin, Leipzig während der Messe, Schwerpunkte des industriellen Aufbaues, Kurorte, Ferienlager usw.) verursacht ständige und oft beträchtliche regionale Differenzen in der Versorgung mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern und im allgemeinen L.

 

4. Das „Bildungsprivileg der Besitzenden“ ist mit Hilfe des Zulassungsverfahrens, eines reich dotierten Stipendien-Wesens und der allgemeinen Gesinnungskontrolle an die Abkömmlinge der Arbeiter, „werktätigen Bauern“ und „schaffenden Intelligenz“ übergegangen, die dafür Beschränkungen in der Berufswahl und im Berufsweg in Kauf nehmen müssen. Kulturgüter sind erschwinglich, werden den breiten Massen auch durch Besucherorganisationen und Verlagerung des „Kulturkonsums“ in die Betriebe (Erwachsenenbildung, Kulturpolitik, kulturelle Massenarbeit, Volkskunst) nahegebracht, stehen aber weithin im Dienst der politischen Agitation und der Produktionssteigerung und werden daher von der Masse der „Verbraucher“ abgelehnt.

 

[S. 212]5. Das System der sozialen Leistungen (Sozialversicherungs- und Versorgungswesen) wird ebenfalls vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Ausschöpfung aller Arbeitskräftereserven gehandhabt.

 

Aus all diesen Gründen erfordert ein Vergleich des L. der SBZ mit demjenigen der Bundesrepublik oder der westlichen Welt eine gründliche Vertiefung in die Motive und Methoden der sowjetzonalen Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. (Konsumgüterversorgung)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 211–212


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.