DDR von A-Z, Band 1959

Militärpolitik (1959)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985

 

[S. 236]Das Potsdamer Abkommen (Besatzungspolitik) sah auch für die SBZ eine völlige und dauernde Entwaffnung vor. Doch die SU und später in ihrem Aufträge die SED und die DDR betrieben eine M., indem sie 1. militärische und militärähnliche (paramilitärische) Verbände aufstellten und 2. weite Bereiche des öffentlichen und politischen Lebens schrittweise in den Dienst dieser Wiederbewaffnung stellten. Nur in den ersten drei Jahren blieb die SBZ von dieser M. verschont, denn die SU tarnte ihre Bolschewisierungsmaßnahmen (Verstaatlichung von ¾ der Industrie) mit der formellen Befolgung des Potsdamer Abkommens: die antimilitaristischen Formeln der Siegermächte und die antitotalitären Grundsätze der antifaschistisch-demokratischen Ordnung verboten die Schaffung von Streitkräften, die von vornherein Werkzeuge einer totalitären Staatspartei — der SED — und des sowjetischen Imperialismus waren.

 

Immerhin traf schon vor Mitte 1948 die SU insgeheim einige Vorkehrungen für ihre M.: 1. Sie gab die (seit August 1946 im Gegensatz zu den Polizeien der westlichen Besatzungszonen zentralisierte) nichtmilitärische Volkspolizei schon sehr früh in die Hand der SED, um zuverlässige Kräfte für die künftige Zonenarmee in Bereitschaft zu halten; 2. sie baute seit 1. 12. 1946 eine militärähnliche kasernierte Grenzpolizei auf, die bis Mitte 1948 schon eine Stärke von 9.100 Mann erreichte, während in den westlichen Besatzungszonen an Derartiges noch nicht zu denken war; 3. sie sammelte unter den deutschen Kriegsgefangenen in der SU Kräfte für die Kader der geplanten Zonenarmee. Die zunächst geheime und völlig getarnte Bewaffnung der SBZ begann Mitte 1948, als die Ende 1947 vollzogene Mundtotmachung der nichtmarxistischen Blockparteien (CDU und LDPD) die Umwandlung der SBZ in eine kommunistisch regierte Volksdemokratie eingeleitet hatte. Seit dem 3. 7. 1948 ließ die Besatzungsmacht militärische Einheiten (Kasernierte Volkspolizei) aufbauen. Sie sollten angeblich nur polizeiliche Bereitschaftsverbände sein, wuchsen in Wirklichkeit jedoch schon bis Anfang 1951 zu einer einsatzfähigen Armee von rund 65.000 Mann an, die 24 verstärkte, mit Artillerie und Panzern versehene Regimenter und zahlreiche Ausbildungs- und Sondereinheiten umfaßte. Seit Januar 1952 wurden nach scharfer Siebung mittels militärischer und parteikommunistischer Maßstäbe aus diesen Regimentern (die bis Januar 1951 Bereitschaften, danach Volkspolizei-Dienststellen hießen) sechs moderne motorisierte Divisionen zusammengestellt. Mit der Errichtung von Seestreitkräften der KVP wurde Mitte 1950 begonnen, mit der Vorbereitung einer Luftwaffe der KVP im März 1951.

 

Schon in dieser Zeit verfügten die SU und die SED nicht nur über die KVP. Unter Willi ➝Stoph arbeitete seit Mitte 1951 eine Stelle zur Organisierung einer Rüstungsindustrie der SBZ. Sie wirkte ganz geheim seit Oktober 1951 unter der Tarnbezeichnung „Büro für Wirtschaftsfragen“. Die Grenzpolizei war am 1. 3. 1951 etwa 17.000 Mann stark; die Transportpolizei war von 1946 bis 1951 auf rund 8.000 Mann angewachsen; und die seit Frühjahr 1950 aufgebauten Wachverbände des Ministeriums für Staatssicherheit (Staatssicherheitsdienst) umfaßten 1951 mindestens rund 6.000 Mann. Diese drei Verbände mit zusammen rund 31.000 Mann waren schon 1951 kasernierte militärähnliche Polizeitruppen, die militärisch einsetzbar waren.

 

Da für die SBZ offiziell noch das Potsdamer Abkommen galt, wurde die als „Volkspolizei“ getarnte Armee bis zum Frühjahr 1952 nicht nur auf [S. 237]dem Papier überwiegend aus Freiwilligen gebildet. Für die noch nicht sehr umfangreichen Verbände fanden sich damals um so leichter Freiwillige, da sie 1. meist glaubten, einer bloßen Polizei beizutreten, da sie 2. weit besser verpflegt wurden als weite Teile der Bevölkerung, und da 3. das undemokratische, diktatorische und ausbeuterische Wesen der seit Oktober 1949 bestehenden „DDR“ erst allmählich sichtbar wurde. Diese verhältnismäßige Freiwilligkeit bei der Werbung für die Armee der SBZ war aber nur vorübergehend.

 

Grundlegend und bezeichnend für die Armee (bis 1955 KVP, später Nationale Volksarmee) und die militärähnlichen Polizeitruppen war von Anfang an und ist bis heute die politische Überwachung und Anleitung durch die Politorganisation der SED in den bewaffneten Kräften (Politverwaltung, Politschulung). Sie will Offiziere und Mannschaften zu dem Bewußtsein erziehen, sie seien wichtige Werkzeuge und Vorkämpfer 1. der SED, als der Vorhut der Arbeiterklasse, und 2. der vermeintlich sozialistischen, fortschrittlich-demokratischen und nationalen „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ (später, seit Anfang 1956, der „Arbeiter-und-Bauern-Macht“).

 

Von großer Bedeutung war und ist für die Armee und die Polizeitruppen auch die scharfe und lückenlose Überwachung durch jene Organe und Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit, die mehr oder weniger verdeckt innerhalb der bewaffneten Kräfte eingesetzt sind. — Innerhalb der Armee, in etwas schwächerer Weise auch bei den Polizeitruppen, war und ist noch eine dritte Kontrollorganisation tätig, die zugleich anleitend wirkt: die sowjetischen Berater (Sowjetnik) für die militärische Ausbildung und Führung der Truppe. Ihr unbeschränkter Einfluß macht es deutlich, wie sehr die Armee der SBZ dazu bestimmt ist, ein Werkzeug des sowjetischen Imperialismus zu sein.

 

Bis zum April 1952 wurde die strenge Abschirmung der M. der SBZ dadurch verstärkt, daß die SED und mit ihr alle politischen Mitträger der Blockpolitik und Organe der „DDR“ behaupteten, der SBZ läge eine Bewaffnung, eine M. völlig fern. So fehlte in dem (bis zum 5. 4. 1954 geltenden) II. Parteistatut der SED vom 24. 7. 1950 jeder Hinweis auf eine Waffen- oder Verteidigungspflicht der Parteimitglieder. So verwarf Walter ➝Ulbricht, als er am 9. 5. 1951 als 1. Stellv. des Ministerpräsidenten vor der Volkskammer sprach, jede Rüstung. Er sagte: „Wozu brauchen wir in Deutschland ein Heer, wo wir unsere ganze Kraft benötigen, um unsere deutsche Heimat wieder aufzubauen, und wo es in Europa niemanden gibt, der die Absicht hat, die Beziehungen mit einem friedliebenden Deutschland zu stören?“ Und Ministerpräsident Grotewohl behauptete am 11. 8. 1951 in bezug auch auf die KVP: „Die Volkspolizei der DDR hat keinen militärischen Charakter… Sie hat die Aufgabe, den friedlichen Aufbau der DDR gegen Saboteure, Spione und Diversanten zu schützen.“

 

Seit dem Mai 1952 bezeichnete die SED „nationale Streitkräfte“ als notwendig und betrieb ihre M. ziemlich offen. Zu dieser Wendung trug so manches bei: 1. Auf die Dauer ließ sich der Aufbau der Armee nicht verheimlichen; 2. die SU hatte am 10. 3. 1952 einem nach ihren Wünschen neutralisierten, wiedervereinigten und „demokratisierten“ (d. h. auf kaltem Wege bolschewisierten) Deutschland „eigene nationale Streitkräfte“ in Aussicht gestellt; 3. die Armee sollte offen zur Stärkung der Staatsgewalt der SBZ beitragen, die von der 2. Parteikonferenz der SED (am 12. 7. 1952) zum „Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“ erklärt wurde.

 

[S. 238]Die Regierung der SBZ gab ihre Streitkräfte unter Vorwänden bekannt. Sie stellte die Verteidigungsbemühungen der Westmächte gegen die Übermacht der sowjetischen Rüstung als „imperialistische Kriegstreibereien“ hin (so Pieck am 1. 5. 1952) und bezeichnete die immer weiter hingezögerte Verteidigungsplanung der bis dahin unbewaffneten Bundesrepublik als „wiedererstehenden Militarismus in Westdeutschland“ (so Ulbricht am 3. 5. 1952). Ulbricht forderte „den bewaffneten Schutz der DDR“. Außenminister Dertinger teilte am 8. 5. 1952 die bevorstehende Errichtung „nationaler Streitkräfte“ mit.

 

Die SED mußte die Forderung nach einer „nationalen“ Armee im Bereiche des FDGB und vor allem auch in der FDJ in Verbindung mit Friedenskampf-Losungen bringen. Die Propaganda der SED ergab schon am 30. 5. 1952, daß das IV. Parlament der FDJ im Art. 4 der FDJ-Satzung den Dienst in der Armee verlangte: „Der Dienst in der Deutschen Volkspolizei ist für die Mitglieder der FDJ Ehrendienst.“

 

Die 2. Parteikonferenz der SED, die am 12. 7. 1952 die bisher „antifaschistisch-demokratische DDR“ zu einer Volksdemokratie umprägte und den raschen Übergang zum Sozialismus beschloß, legte auch die Rolle der Streitkräfte bei der geplanten Sowjetisierung des gesamten Deutschland fest. In Ulbrichts Referat, das zum Beschluß des ZK erhoben wurde, hieß es: „Die nationalen Streitkräfte werden die Armee des vom Imperialismus befreiten Volkes in der DDR sein … ein Werkzeug zur weiteren Stärkung der volksdemokratischen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung … Sie werden erfüllt sein vom Willen zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes. Die nationalen Streitkräfte werden sich brüderlich verbunden fühlen mit allen patriotischen Kräften Westdeutschlands.“ Bezeichnenderweise hatte Ulbricht vorher in seinem Referat erklärt: „Die Schaffung nationaler Streitkräfte wird der Volksbewegung in Westdeutschland einen stärkeren Rückhalt und Mut in ihrem Kampf für den Sturz der Bonner Vasallenregierung geben.“ (Neue Welt 1952, Nr. 15, S. 1810 u. 1825.)

 

Vom „nationalen“ Anstrich der M. versprach sich die SED starke Wirkungen auf breitere mittelständische Bevölkerungsteile, auf ehemalige Soldaten und vormalige Nationalsozialisten in der SBZ und in der Bundesrepublik. Deshalb wurde auch die Nationaldemokratische Partei (NDPD) für den nunmehr offenen Aufbau der Streitkräfte und ihre Propagierung sehr stark eingespannt.

 

Um die von Mitte bis Ende 1952 vorgesehene Vergrößerung der Armee von etwa 65.000 auf rund 110.000 Mann zu erreichen, mußten Regierung und SED immer stärker zu Zwangseinziehungen greifen (Wehrpflicht), die z T. als Parteiauftrag oder Verbandsauftrag (der SED bzw. der FDJ) getarnt wurden.

 

Die Verbesserung der militärischen Ausbildung und der Ausbau der Verbände führten schon am 1. 9. 1952 zur Aufstellung des ersten, drei Divisionen umfassenden Armeekorps, dem bald ein zweites folgte. Bezeichnend für die strenge, bis heute gewahrte Geheimhaltung und Tarnung aller militärischen Dinge war, daß die beiden Armeekorps als „Territorialverwaltungen“ bezeichnet wurden — und daß z. B. das Rüstungsamt, das zeitweise als „Amt für Wirtschaftsfragen“ getarnt war, seit dem 1. 1. 1953 unter dem Decknamen „Staatliche Verwaltung für Auftragserteilung“ die Einfuhr und die Herstellung von Waffen leitete. Vorwiegend als Armeeministerium diente nach wie vor das Ministerium des Inneren (MdI). Nur die Bildung eines besonderen [S. 239]Staatssekretariates für Innere Angelegenheiten in diesem Ministerium (am 19. 2. 1953) deutete darauf hin, daß die Leitung der eigentlichen Inneren Verwaltung nur eine Seite dieses MdI ausmachte.

 

Die als KVP auftretende Armee, deren See- und Luftstreitkräfte stärker ausgebaut wurden, wurde seit dem August durch zwei militärähnliche Milizorganisationen ergänzt: 1. die der vormilitärischen Ausbildung dienende Gesellschaft für ➝Sport und Technik (GST); 2. die Kampfgruppen der SED. Bis zum 7. 8. 1952, an dem der Ministerrat die GST errichtete, hatte die vormilitärische Ausbildung bei der FDJ gelegen. Sie wurde ihr entzogen, da sie organisatorischer Mängel nicht Herr wurde und da ihre Mitglieder sich noch allzusehr in pazifistischen Vorstellungen bewegten. — Von militärischer Bedeutung waren ferner die drei kasernierten militärähnlichen Polizeitruppen: 1. die Grenzpolizei, die seit Mai 1952 nicht mehr dem Innen-, sondern dem Staatssicherheitsministerium (MfS) unterstand; 2. die Transportpolizei, seit Januar 1953 ebenfalls dem MfS untergeordnet; 3. die Wachverbände des MfS.

 

Wie schon vor der Ankündigung der „nationalen Streitkräfte“ hatte die SED die politische Erziehung und Schulung der Armee, der drei Polizeitruppen und der beiden Milizen inne. Die FDJ wurde zu der politischen Erziehung der Armee und der militärischen Organisationen herangezogen. Schon jetzt forderte die SED, nach dem Vorbild der Sowjetarmee sollten politisch-ideologische und militärische Schulung eng miteinander verbunden werden. Neben dem Netzwerk der Politschulung, das die Armee und die anderen bewaffneten Kräfte durchzog, waren auch nach dem Mai 1952 die Überwachungsnetze des Staatssicherheitsdienstes und der Sowjetniks über der Armee usw. ausgespannt.

 

Während des Juni-Aufstandes 1953 gingen Teile der allgemeinen Volkspolizei (DVP) zum Volke über, doch die Wacheinheiten des MfS ließen sich von der SED überall bedenkenlos neben den Sowjettruppen gegen das Volk einsetzen. Die Zuverlässigkeit der KVP, auf deren Einsatz die sowjetische Besatzungsmacht vorsichtshalber nur in äußersten Notfällen zurückgriff, wurde nicht ernsthaft geprüft. — Nach dem 17. Juni ging die GST stark zurück, da FDJ und SED im Zeichen des Neuen Kurses die Zwangswerbung für sie zunächst abschwächten.

 

Die Erfahrungen mit der Volkspolizei (DVP) und der GST sowie die Ungewißheit darüber, wie sich die KVP im Ernstfälle bewähren würde, bewogen die Regierung zu ständiger Siebung und Härtung der KVP in politischer und militärischer Beziehung. Ferner wurden 1. die DVP überprüft; 2. kasernierte Bereitschaftskommandos der DVP (unabhängig von den Wacheinheiten der Staatssicherheit) aufgestellt; 3. bei Wiederbelebung und erneuter Vergrößerung der GST deren politische Schulung mindestens so stark betrieben wie die militärische; 4. neue Kampfgruppen der SED dort errichtet, wo es gegen den stillen Widerstand vieler Industriearbeiter und Behördenangestellter schon möglich war.

 

Noch rascher und rücksichtsloser als vor dem 17. Juni 1953 wurde die KVP nach Beendigung des „Neuen Kurses“ zu einer bewußt politischen Armee entwickelt und entsprechend geschult. Die KVP warb nicht nur mit sozialistisch-klassenkämpferischen, sondern auch mit „nationalen“ Losungen, aber das allgemeine Mißtrauen der Bevölkerung, vor allem der Jugend, konnte sie nicht überwinden. Nur eine Minderheit ließ sich [S. 240]von den Zielsetzungen der KVP ergreifen — und die SED versuchte, diese Minderheit zu ihrem zuverlässigen Werkzeug zu erziehen. Die SED konnte es nicht wagen, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, obgleich diese zu den grundsätzlichen Forderungen marxistisch-leninistischer M. gehört.

 

Die SED beschloß auf ihrem IV. Parteitag (am 5. 4. 1954) in ihrem neuen Statut (9. Abs. der Einl.) die „aktive Verteidigung der Heimat, des Staates der Arbeiter und Bauern“. Bei seiner Satzungsänderung am 18. 6. 1955 machte es der FDGB seinen Mitgliedern zur „Pflicht, die DDR und ihre Errungenschaften zu verteidigen“, d. h. in der Armee ihren Wehrdienst zu leisten. Auch der Sport wurde für die M. eingespannt: Manfred Ewald (SED), der Vorsitzende des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport, erhob auf der III. Sportkonferenz (25. 11. 1955) die Forderung, den Massensport für die vormilitärische Erziehung einzusetzen.

 

Die Propaganda für die M. stieß immer wieder auf den Widerwillen der Bevölkerung. Deshalb erachtete es z. B. Innenminister Willi Stoph, Chef der KVP, am 14. 4. 1954 für „erforderlich, den Ungeist des Pazifismus … entschieden zu bekämpfen“. — Auf der gleichen Linie lag die Verfassungsergänzung, welche die Volkskammer am 26. 9. 1955 beschlossen hatte. Sie erhob, im Hinblick auf eine später vielleicht notwendige Wehrpflicht, den Verteidigungsdienst zur „nationalen Ehrenpflicht der Bürger der DDR“.

 

Gerade weil die Militärpropaganda so geringe Erfolge hatte, setzte die SED alles daran, um die KVP und die vier Polizeitruppen zu verbessern und auszubauen: Die Grenzpolizei wurde bis Ende 1955 auf etwa 34.000 Mann gebracht; die Transportpolizei zählte damals rund 9.000; die militärähnlichen Bereitschaftskommandos der Volkspolizei rund 13.000; die aus den Wacheinheiten der Staatssicherheit entstandenen „inneren Truppen“ zählten etwa 15.000 Mann. Diese rund 71.000 Mann standen neben der Armee (KVP) zur Verfügung. Auch die Kampfgruppen fielen seit Mitte 1955 nicht nur politisch, sondern auch militärisch ins Gewicht, und die GST entlastete die KVP nicht unbeträchtlich. Sie war neben der FDJ das beste Werbungsfeld der KVP und der vier verschiedenen Polizeitruppen.

 

Bereits die KVP wurde mit dem Anspruch erzogen, sie sei die eigentlich berufene gesamtdeutsche Armee. Seit dem 18. 1. 1956, seit der Umbenennung der KVP in Nationale Volksarmee (NVA) wird dieser Anspruch noch stärker betont. Sie soll, so erklärte am 18. 1. 1956 der Minister für Nationale Verteidigung, Willi Stoph, „den Interessen des ganzen deutschen Volkes dienen … auf der Wacht für die Sicherung des Friedens“. Sie soll ein Machtinstrument werden, das entscheidend an der geplanten Bolschewisierung auch der Bundesrepublik mitwirkt. „Die Arbeiterklasse Deutschlands“, so sagte Stoph am 12. 6. 1957, „verfügt in Gestalt der NVA über eine reguläre, den Anforderungen eines modernen Krieges entsprechende Armee.“

 

Vor diesem Hintergrund muß die gesamte M. der SBZ gesehen werden: die Hebung der Politschulung, der Disziplin und der militärischen Schlagkraft aller bewaffneten Kräfte, ferner der Kampfgruppen und der GST. Die ständige Überwachung der Armee und aller anderen Verbände muß dabei seit 1956 immer wieder verschärft werden, denn der Widerspruch zwischen den demokratisch und national klingenden Losungen der „DDR“ einerseits und der Wirklichkeit dieses Gebildes andererseits ist zu groß. Mehr denn je ist die M. der SED auf die [S. 241]Jugend angewiesen. Deshalb verlangt das Statut der FDJ vom 27. 5. 1955 den Einsatz der Mitglieder in der vormilitärischen Erziehung und den Wehrdienst in jeder Form. Das Statut der FDJ vom 15. 5. 1959 fordert dies noch bestimmter (Teil I, 11. Abs.).

 

Die NVA trägt wieder die feldgraue deutsche Uniform des 1. und 2. Weltkrieges, aber die Sowjetarmee gilt ihr als Vorbild. Und unter Berufung auf den Marxismus-Leninismus soll sie zu einem Werkzeug des sowjetischen Imperialismus erzogen werden. Diese Rolle spielt die Volksarmee auch insofern, als sie dem Oberkommando des Warschauer Beistandspaktes untersteht. Als bolschewistische Armee arbeitet sie unter strengster Geheimhaltung gegenüber der Öffentlichkeit. So war das Rüstungsamt der SBZ von Anfang 1956 bis Mitte 1958 als „Amt für Technik“ getarnt.

 

Die seit Sommer 1958 durchgeführte Atomkriegs-Gliederung der NVA und die Entfaltung chemischer Kampfverbände zeigen, ebenso wie die ständige Verbesserung der Bewaffnung, daß die NVA für einen ernsten Einsatz vorbereitet wird.

 

Die zielbewußte M. der SED hat der Armee und den Polizeitruppen eine beträchtliche Kampfkraft gegeben. Dies gilt auch von großen Teilen der beiden Milizen, vor allem der Kampfgruppen der SED. Man darf dies nicht unterschätzen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß das unablässige Bemühen der SED, aus der Armee (und den Polizeitruppen wie den Milizen) eine starr kommunistische Parteiarmee zu machen, schwere Konflikte in die Armee trägt. Es führt zu schweren Spannungen mit den soldatischen Kräften der Armee und mit den menschlich-freiheitlichen Elementen unter den Soldaten und auch Offizieren. Die nicht geringe Zahl jener Soldaten und Polizeisoldaten, die in die Bundesrepublik fliehen, ist aufschlußreich. So verschärfen sich seit Mitte 1956 die schon lange bestehenden Unstimmigkeiten zwischen jenen Offizieren, die mehr militärisch als parteipolitisch denken, und den vorwiegend kommunistisch geschulten Offizieren und Polit-Offizieren. — Diesen Spannungen sucht die Regierung mit aller Kraft zu begegnen — so auch durch den planmäßigen Aufbau eines politisch zuverlässigen Reserveoffizierkorps, zu dem auch die Mitglieder und Sympathisierenden der Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere, also vormalige Offiziere der Wehrmacht, herangezogen werden.

 

Auch nach der Ausrufung der Nationalen Volksarmee hat die SED es nicht gewagt, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Vielmehr versucht sie wie vor 1956, in parteiergebenen Kernverbänden (in der Grenzpolizei, in der Bereitschaftspolizei und in den Kampfgruppen) Einsatzkräfte gerade gegen das drohende, ihr unzuverlässig erscheinende Volk zu bilden. Diese Tatsache läßt Schlüsse auf die wirklichen Ergebnisse der M. zu.

 

Literaturangaben

  • Bohn, Helmut: Armee gegen die Freiheit — Dokumente und Materialien zur Ideologie und Aufrüstung in der Sowjetzone. Köln 1956, Markus-Verlag. 241 S.
  • Boutard, R. J.: L'Armée en Allemagne Orientale … Paris 1955, Nouvelles Éditions Latines. 208 S.
  • Kopp, Fritz: Chronik der Wiederbewaffnung in Deutschland, Rüstung der Sowjetzone — Abwehr des Westens (Daten über Polizei und Bewaffnung 1945 bis 1958). Köln 1958, Markus-Verlag. 160 S.
  • Bericht über den Aufbau der Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone. (BMG) Frühjahr 1951. 27 S.
  • Die Kasernierte Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (Denkschrift). (BMG) 1954. 44 S. m. 6 Anlagen.
  • Die vormilitärische Ausbildung in der Sowjetzone. Materialien über die „Gesellschaft für Sport und Technik“. (BMG) 1952. 12 S.
  • Garthoff, Raymond L.: Die Sowjetarmee — Wesen und Lehre (m. Einführung v. General a. D. Günther Blumentritt, übers. v. Helmut Bohn). Köln 1955, Markus-Verlag. 592 S. m. 12 Karten.
  • Bohn, Helmut (und andere): Die Aufrüstung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. (BB) 1958. 174 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 236–241


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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