Richter, Unabhängigkeit der (1959)
Siehe auch:
„Ein Richter muß nach seiner Persönlichkeit und Tätigkeit die Gewähr dafür bieten, daß er sein Amt gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt, sich vorbehaltslos für den Sieg des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik einsetzt und der Arbeiter- und-Bauern-Macht treu ergeben ist.“ (§ 15 des sowjetzonalen GVG in der Fassung vom 1. 10. 1959.) Voraussetzung für die Tätigkeit als Richter ist der Erwerb einer juristischen Ausbildung auf einer dazu bestimmten Ausbildungsstätte und die Bewährung während der vorgeschriebenen Vorbereitungszeit, in Richter soll mindestens 25 Jahre alt sein. Zu den Grund pflichten des Richters gehört u. a., „nach den Grundsätzen der sozialistischen Moral zu leben sowie aktiv und vorbildlich beim sozialistischen Aufbau mitzuwirken und sich aktiv an der politischen Arbeit unter den Werktätigen zu beteiligen“ (§ 18 GVG i. d. F. vom 1. 10. 1959).
Die Richter des Obersten Gerichts werden auf Vorschlag des Ministerrates durch die Volkskammer auf 5 Jahre, die Richter der Kreis- und Bezirksgerichte auf Vorschlag des Justizministers durch die örtlichen Volksvertretungen auf 3 Jahre gewählt (§§ 19, 28 GVG i. d. F. vom 1. 10. 1959).
Ein Richter kann vorzeitig abberufen werden, wenn er „gegen die Verfassung oder andere Gesetze verstoßen oder sonst seine Pflich[S. 305]ten als Richter gröblich verletzt hat“ (§§ 25, 30 des sowjetzonalen GVG).
Obwohl Art. 127 der Verfassung und § 7 des sowjetzonalen GVG lauten; „Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen“, werden laufend und planmäßig Weisungen an die Richter erlassen. Haftentlassungen von sog. Wirtschaftsverbrechern wurden für unzulässig erklärt und bedurften der Genehmigung des Ministeriums (Rundverfügung Nr. 98/50 des sächsischen Justizministeriums). Richter, die sich diesen Rundverfügungen nicht fügten, sind entlassen oder inhaftiert worden.
Die Kontrollkommission hatte bis zum Jahre 1953 weitgehende Befugnisse gegenüber den Gerichten. Mit der Rundverfügung Nr. 105/50 des Ministeriums der Justiz vom 10. 8. 1950 wurde verlangt, daß die Richter mehr als bisher in ihren Entscheidungen den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechen. In wichtigen Strafprozessen wird den Richtern seitens der SED, der Justizverwaltung, der Polizei oder des SSD vor der Verhandlung mitgeteilt, welche Strafe verhängt werden muß.
Einen selbständigen Apparat zur „Anleitung der Richter“ schuf Hilde ➝Benjamin nach dem 17. 6. 1953. Instrukteure eines sog. Operativstabes reisten durch die SBZ und erteilten in den Verfahren gegen Demonstranten des 17. Juni (Juni-Aufstand) Weisungen über das Strafmaß, die sie vorher telefonisch beim Operativstab in Ost-Berlin, zum Teil unmittelbar bei Hilde Benjamin, einholten. Dieses Instrukteurwesen wurde im Jahre 1954 in das Justizministerium übernommen. Richter, die die ihnen gegebenen „Anleitungen“ nicht beachten, setzen sich der Gefahr sofortiger Abberufung oder strafrechtlicher Verfolgung aus. Das Prinzip von „Anleitung und Kontrolle“ hat in der Neufassung des Gesetzes über die Gerichtsverfassung vom 1. 10. 1959 eine gesetzliche Verankerung erhalten: „Die Kreis- und Bezirksgerichte werden in ihrer Tätigkeit durch das Ministerium der Justiz angeleitet und kontrolliert“ (§ 13 GVG). (Justizverwaltung)
Aus dem Grundsatz der „richterlichen Verantwortlichkeit“ wurde eine weitere Möglichkeit zu Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit entwickelt. Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 18. 1. 1957 (GBl. S. 65) gibt der jeweiligen örtlichen Volksvertretung das Recht, Kritik an der Arbeit des Gerichts zu üben, wenn durch Mängel in dessen Tätigkeit „die Lösung der Aufgaben der örtlichen Volksvertretungen, der Aufbau des Sozialismus und die Entfaltung des demokratischen Lebens gehemmt werden“. Das Gericht ist „verpflichtet, innerhalb von vier Wochen zu dieser Kritik Stellung zu nehmen“, hat sich also praktisch gegenüber der örtlichen Volksvertretung für seine Entscheidungen zu verantworten und zu rechtfertigen. (Rechtswesen)
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 304–305
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