DDR von A-Z, Band 1959

Schule (1959)

 

 

Siehe auch:


 

Zentrale Institution des Erziehungswesens. Die Organisation des Schulwesens ist zuerst durch das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ (1946) geregelt, inzwischen jedoch durch die Schaffung einer zehnklassigen Oberschule modifiziert worden.

 

Der Kindergarten bildet die nicht obligatorische Vorstufe, die zur Schulreife führt. Die daran anschließende Grundschule umfaßt acht aufsteigende Klassen und ist für alle Kinder obligatorisch (1. bis 4. Klasse Unterstufe und 5. bis 8. Mittelstufe). Die daran anschließende Oberstufe wird gebildet 1. von der vierklassigen Oberschule mit der Reifeprüfung als Abschluß und 2. von der Berufsschule, die die „breite Masse der werktätigen Jugend in der Stadt und auf dem Lande erfaßt“. Auch der Weg über die Berufsschule führt zur Hochschulreife, wenn im Anschluß an sie eine Fachschule absolviert wird. Oberschule und Berufsschule bilden keine Einheit, da sie getrennt verwaltet werden und verschiedenen Behörden unterstehen.

 

Durch Anordnung über die Umwandlung von Oberschulen vom 11. Mai 1955 (GBl. Nr. 48/55, S. 419) ist eine neue Schulform geschaffen worden, die zunächst als Mittelschule, jetzt als zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule bezeichnet wird. „Die zehnklassige Schulausbildung soll im zweiten Fünfjahrplan verstärkt und künftig obligatorisch werden.“ Schon jetzt wird das Lehrplanwerk so gestaltet, daß der Unterricht in den ersten acht [S. 315]Klassen mit dem Unterricht in den 9. und 10. Klassen der „Zehnklassenschule“ eine Einheit bildet.

 

Der Besuch der zehnklassigen Oberschule führt zur mittleren Reife.

 

Orientiert am allgemeinen Erziehungsziel der sowjetzonalen Schule, hat die Grundschule die Aufgabe, die Schüler mit den elementaren Erkenntnissen der „Wissenschaften“, das heißt der marxistisch-leninistischen Einheitswissenschaft und des praktischen Lebens auszurüsten und dadurch zur Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus der gesamten Bevölkerung beizutragen. Die Grundschüler werden von der 1. bis 4. Klasse in der Form des Anfangs- und fachvorbereitenden Unterrichts, von der 5. Klasse ab in der Form des Fachunterrichts unterrichtet. Von der 5. Klasse ab wird Russisch als 1. Fremdsprache gelehrt, von der 7. Klasse ab ist der fakultative Unterricht einer 2. Fremdsprache vorgesehen. Zentrum der politischen Erziehung sind die Fächer Geschichte und Staatsbürgerkunde. Im Laufe der Jahre ist der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht verstärkt worden. Physik wird vom 6., Chemie vom 7. Schuljahr an gelehrt.

 

Das vor 1956 üppig entwickelte System von Kontrollarbeiten und Versetzungsprüfungen ist seitdem stark reduziert worden. Nach Abschluß der 8. Klasse ist eine mündliche und schriftliche Abschlußprüfung abzulegen, deren Bestehen eine notwendige Bedingung für die Zulassung zur Ausbildung zu qualifizierteren Facharbeiterberufen ist.

 

Die zehnklassige Oberschule entsteht in der Regel durch Verbindung von 9. und 10. Klassen mit Grundschulen. Sie hat 1955 die Aufgabe erhalten, einen „qualifizierten Nachwuchs“ für die Industrie und Landwirtschaft, das Verkehrswesen und den Handel sowie für den Lehrer- und Erzieherberuf und das Militär heranzubilden, „vor allem qualifizierte Facharbeiter, Techniker und Unterstufenlehrer“. Zu diesem Zwecke hat sie eine „erweiterte, abgeschlossene Allgemeinbildung“ zu vermitteln. Mit der wechselnden Zahl der zehnklassigen Oberschulen ist der von ihr zu leistende Beitrag zur polytechnischen Erziehung und Bildung in den Vordergrund der Ausführungen über sie getreten. Aber erst seit Beginn des Schuljahres 1958/59 wurde begonnen, die polytechnische Erziehung und Bildung auf breiter Front zu verwirklichen. Kernstück dieser Bemühungen ist der Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion. Alle Schüler und Schülerinnen, von der 7. Klasse an, haben einige Stunden in der Woche in Betrieben der Industrie oder auf landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften produktiv zu arbeiten. Diese Arbeit wird durch den in der 1. Klasse einsetzenden Werkunterricht (eingeführt 1956) vorbereitet. Mit dem „Unterrichtstag“ ist das Fach „Einführung in die sozialistische Produktion“ verbunden, das die praktische Arbeit durch die Behandlung technologischer und ökonomischer Fragen zu unterbauen hat. Für die 9. und 10. Klassen sind außerdem je eine Wochenstunde technisches Zeichnen vorgesehen.

 

Alle Verlautbarungen zeugen von großen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Verfügungen über die polytechnische Erziehung und Bildung. Anscheinend gibt es noch schwerwiegende Mängel bei der Organisation der „produktiven Arbeit“, der Zusammenarbeit mit den Arbeitskräften in den Betrieben, die pädagogische Hilfsfunktionen zu übernehmen haben, und bei der Gestaltung der Lehrgänge. Es wird von den Behörden selbst zugegeben, daß die Lehrer noch nicht über die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, die Vorstellungen über das zu erlernende technische Abc noch nicht präzisiert sind und die Koordination des Unterrichtstages mit dem sonstigen Unterricht noch ungenügend ist. Das Ministerium ist vor allem bemüht, die polytechnische Bildung zu systematisieren. Für die Schulen industrieller Gebiete sind folgende Lehrgänge vorgesehen: Grundlehrgang Metall, Maschinenkunde I, Grundlehrgang Elektrotechnik, Landwirtschaft (ein Jahr), Maschinenkunde II (Werkzeugmaschinen), Aufbaulehrgang entsprechend dem für die Schule relevanten Industriezweig.

 

Die zehnklassige polytechnische Oberschule hat im Zusammenhang mit der Polytechnisierung ihren Schwerpunkt in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern. Eine zweite Fremdsprache ist nur fakultativ.

 

Die vierklassige Oberschule hat nach den Schulpolitischen Richtlinien (1949) die Aufgabe, eine neue „demokratische Intelligenz“, nach jüngsten Verlautbarungen eine „sozialistische Intelligenz“ heranzubilden, über die Zulassung zur Oberschule entscheiden besondere Kreiskommissionen.

 

Die Oberschule ist in drei verschieden strukturierte Züge aufgegliedert: A-Klassen neusprachlich, B-Klassen mathematisch-naturwissenschaftlich, C-Klassen altsprachlich. Die B-Klassen werden vor allem gefördert.

 

Fremdsprachlicher Unterricht: 1. Fremdsprache in allen Klassen [S. 316]Russisch; die 2. Fremdsprache in A-Klassen wird vom Ministerium bestimmt (Englisch, Französisch, Polnisch usw.), die 3. Fremdsprache ist Latein; B-Klassen: die 2. Fremdsprache wird vom Ministerium bestimmt; C-Klassen: Latein und Griechisch.

 

Auch die 12klassigen Oberschulen haben eine polytechnische Erziehung und Bildung zu vermitteln; dabei sind Schulen vereinzelt dazu übergegangen, die Schüler in einer Funktion in der industriellen bzw. landwirtschaftlichen Arbeit auszubilden.

 

Das Regime war bis vor einigen Jahren bemüht, den Unterschied zwischen Land- und Stadtschulen mit Hilfe eines einheitlichen Lehrplanes zu überwinden. Dem entsprach auch der Versuch, die weniggegliederten Landschulen durch achtklassige Zentralschulen in günstig gelegenen Orten zu ersetzen. 1945 gab es rund 4.000 einklassige Schulen, 1957 nur noch 23 mit 427 Schülern. Die Zentralschulen werden allmählich in zehnklassige Oberschulen verwandelt. Die Polytechnisierung hat den Behörden die Möglichkeit gegeben, den Schulen „landwirtschaftlicher“ Gebiete besondere Aufgaben zu stellen. Sie beschäftigen sich in dem entsprechenden Teil des Unterrichts vornehmlich mit Fragen der Landwirtschaft. Damit soll offenbar der Landflucht vorgebeugt werden.

 

Neben den angegebenen Schultypen gibt es noch Schulen mit erweitertem Russischunterricht (von der 3. Klasse an mit 5 oder 6 Wochenstunden), dazu eine 2. (von der 9.) und 3. Fremdsprache (von der 10. Klasse an); Kinder- und Jugendsportschulen (von der 5. Klasse an 6 bis 7 Wochenstunden Turnen) und Sonderschulen für blinde, gehörlose, taubstumme blinde, sehschwache, schwerhörige, sprachgestörte, körperbehinderte und bildungsfähige schwachsinnige Kinder und Jugendliche (Hilfsschulen).

 

Zahlenangaben für 1957: Grundschulen: 8.332 mit 1.613.167 Schülern; Mittelschulen (jetzt als zehnklassige Oberschulen bezeichnet): 1.150 (1955 nur 406) mit 73.495 Schülern (nur die 9. und 10. Klassen sind dabei berücksichtigt worden); zwölfklassige Oberschulen: 373 mit 91.311 Schülern; Sonderschulen: 616 mit 51.497 Schülern.

 

Die Zahl der Lehrkräfte betrug 1957 an Grund- und Mittelschulen 69.805, an zwölfklassigen Oberschulen 5.807, an Sonderschulen 3.922. Dazu kamen 3.516 hauptamtliche Pionierleiter an Grundschulen und 136 hauptamtliche FDJ-Sekretäre an Oberschulen.

 

Die durchschnittliche Schülerzahl je Klasse ist niedriger als in den verschiedenen Ländern der Bundesrepublik: in Grundschulen 26,9, Mittelschulen 25,5, Oberschulen 24,7.

 

Literaturangaben

  • Lange, Max Gustav: Totalitäre Erziehung — Das Erziehungssystem der Sowjetzone Deutschlands. Mit einer Einl. v. A. R. L. Gurland (Schr. d. Inst. f. pol. Wissenschaft, Berlin, Bd. 3). Frankfurt a. M. 1954, Verlag Frankfurter Hefte. 432 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 314–316


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.