
Steuerwesen (1959)
Siehe auch:
Steuerpolitik, Steuerrecht und Steuerverwaltung haben in der SBZ neben der Beschaffung von Haushaltsmitteln für den Staat u.a. noch eine weitere Aufgabe zu erfüllen; sie sollen das volumenmäßige Verhältnis zwischen dem „privatkapitalistischen“ und dem „sozialistischen“ Sektor der Volkswirtschaft „neu abstimmen“; mit anderen Worten: zum Zwecke der allmählichen, aber systematischen Beseitigung des Privatunternehmertums und seiner Ersetzung durch die kommunistische Plan- und Zwangswirtschaft wurde das St. unter Mißachtung der Grundsätze der Gleichmäßigkeit und der Gerechtigkeit der Besteuerung zu einem Instrument des Klassenkampfes.
Der Aufbau des Sozialismus hätte, zumal auch die Finanzpläne der „volkseigenen“ Wirtschaft in den Staatshaushalt der SBZ einbezogen sind, eigentlich längst die Einführung eines vorzugsweise auf Erwerbseinnahmen beruhenden Systems öffentlicher Einnahmen verlangt. Der Staatshaushalt stützt sich jedoch nach wie vor hauptsächlich auf Steuereinnahmen. Über die Steuereinnahmen lassen sich im einzelnen keine zuverlässigen Angaben machen, da in der SBZ die Einzelheiten des Staatshaushalts nicht bekanntgegeben werden. Sicher ist jedoch, daß die Verbrauchsabgaben ständig gestiegen sind. Eine bedeutende Rolle spielt für die Einnahmeseite die PDA, die verbrauchssteuerähnlichen Charakter trägt.
Der Klassenkampfcharakter des sowjetzonalen Steuerrechts tritt am deutlichsten bei der Einkommenbesteuerung in Erscheinung. Die früher im wesentlichen gleichmäßige Belastung von Lohneinkünften und anderen Einkünften ist einer „Differenzierung nach sozialökonomischen Formationen“ gewichen. Lohnempfänger und Angehörige der freischaffenden Intelligenz (mit Ausnahme der Rechtsanwälte, Steuerberater und dergleichen) werden steuerlich begünstigt. Für die übrigen einkommensteuerpflichtigen Personen (also insbesondere für die Inhaber landwirtschaftlicher und gewerblicher Betriebe) gilt ein „Kapitalisten“-Tarif, dessen Progression in hohen Tarifstufen mehr als 90 v. H. beträgt. Ähnlich werden bei der Körperschaftsteuer — soweit sie durch die Einführung der PDA überhaupt noch erhoben wird — [S. 350]staatliche und „volkseigene“ Betriebe, gewerbliche Betriebe von Körperschaften des öffentlichen Rechts und Genossenschaften steuerlich privilegiert; bei ihnen beträgt der Steuersatz äußerstenfalls 65 v. H. des Einkommens. Die übrigen Körperschaften haben ihr Einkommen nach dem „Kapitalisten“-Tarif, also unter Umständen mit über 90 v. H. zu versteuern. Viele Betriebsausgaben sind steuerlich entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch teilweise abzugsfähig. Zur Begünstigung der Umwandlung von Kapitalgesellschaften hat der Neue Kurs Sonderbestimmungen geschaffen, die dazu beitragen, daß es in absehbarer Zeit in der SBZ keine Aktiengesellschaften usw. mehr gibt. Für Handwerker gilt seit 1950 eine die tatsächliche Ertragslage nicht berücksichtigende, sondern an objektive Merkmale anknüpfende „normative Einheitssteuer“ (Handwerksteuer). Die rückwirkend ab 1. 1. 1953 geplante Normativ-Besteuerung der Landwirtschaft ist dagegen anscheinend aufgegeben worden. Ab 1. Januar 1954 wurde in der „volkseigenen“ Wirtschaft die PDA nach dem Vorbild der sowjetischen „differenzierten Umsatzsteuer“ eingeführt. Sie tritt an Stelle der Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Beförderungssteuer und der Verbrauchsabgaben.
Die mit Wirkung vom 1. 1. 1957 eingeführte Handelsabgabe schließt in gewisser Hinsicht den Umwandlungsprozeß des sowjetzonalen Steuersystems ab. (Finanzämter, Abgabenverwaltung, Wirtschaftssystem, Finanzsystem)
Literaturangaben
- Kitsche, Adalbert: Die öffentlichen Finanzen im Wirtschaftssystem der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. (BMG) 1954. 68 S. m. 1 Anlage.
- Kitsche, Adalbert: Das Steuersystem in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Bonn (Diss.) 1958. 162 S.
- Frenkel, Erdmann: Steuerpolitik und Steuerrecht in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1953. 124 S. m. 11 Anlagen.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 349–350