DDR von A-Z, Band 1959

Landwirtschaft (1959)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985

 

[S. 207]Die L. in der SBZ ist seit 1945 einer grundlegenden Agrarreform unterworfen.

 

1. Phase:

 

Die 1945/46 durchgeführte Bodenreform hatte einschneidende Veränderungen der landwirtschaftlichen Besitz- und Betriebsstruktur zur Folge. Die nachstehende Übersicht zeigt die Verteilung im Anteil (in v. H.) der einzelnen Betriebsgrößen an der Gesamtzahl der Betriebe und an der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN).

 

 

Der Vergleich der Jahre 1939 und 1951 (letztes Jahr vor der Gründung von LPG) zeigt die Verschiebung zur klein- und mittelbäuerlichen Betriebsstruktur auf. Sie ist die Folge der Enteignung aller Privatbetriebe über 100 ha Betriebsfläche und der Schaffung von Neubauern-Stellen mit einer durchschnittlichen Größe von 8 ha.

 

2. Phase:

 

Die von der Bodenreform nicht direkt betroffenen Betriebsgrößen (20 bis 50 und 50 bis 100 ha) haben anteil- und auch zahlenmäßig ganz erheblich abgenommen. Dies ist zurückzuführen auf die Maßnahmen gegen die nicht werktätigen Bauern, wie z. B. Überforderungen in der Ablieferungspflicht und Benachteiligungen im Agrarpreissystem. Ferner haben Verhaftungen, Verurteilungen zu Zuchthaus und damit verbundene Vermögensentziehungen einen beträchtlichen Teil dieser Bauern bereits damals bedroht und zur Republikflucht veranlaßt.

 

3. Phase:

 

Diese setzte im Juli 1952 mit der Verkündung vom Aufbau des Sozialismus durch Ulbricht während der II. Parteikonferenz der SED ein. Ihr wesentliches Merkmal wurde die als freiwillig betonte, in Wirklichkeit jedoch vom Politbüro gesteuerte Gründung von landwirtschaftlichen ➝Produktionsgenossenschaften (LPG). Dies sind „sozialistische landwirtschaftliche Großbetriebe“ in drei, nach dem Sozialisierungsgrad unterschiedenen Typen. Die Vergesellschaftung bezieht sich dabei entweder nur auf die Bewirtschaftung des Ackerlandes (I) oder zuzüglich auf die zur Feldwirtschaft erforderlichen Zugkräfte, Maschinen und Geräte (II) oder darüber hinaus auch auf die des Grünlandes und Waldes sowie des Nutzviehs (III), wobei den Mitgliedern in allen Typen 0,5 ha Ackerland sowie entsprechendes Vieh zur privaten Nutzung (individuelle Hauswirtschaft) belassen wird. Die organisatorischen und rechtlichen Verhältnisse in den LPG sind durch Ende 1952 und in neuer Fassung am 1 9. 4. 1959 vom „Ministerrat der DDR“ bestätigte Musterstatuten geregelt, die durch ein „Gesetz über die LPG“ vom 3. 6. 1959 wesentlich ergänzt und verbindlich gemacht worden sind.

 

[S. 208]Der rigorose Kampf gegen die Mittel- und Großbauern und die den Genossenschaftsbauern eingeräumten wirtschaftlichen Vorteile führten vor dem Juni-Aufstand 1953 zu einem raschen Ansteigen der LPG von 1906 (Dez. 1952) auf 5.389 (Juni 1953). Dies bestätigen der vorübergehende Stillstand der Kollektivierung sowie eine große Zahl von LPG-Auflösungen im Zeichen des Neuen Kurses nach dem Juni-Aufstand. Um diese Periode zu überwinden, wurden die örtlichen Landwirtschaftsbetriebe (ÖLB) größtenteils in LPG umgewandelt, deren Zahl damit erneut anstieg von 4.985 (Juni 1954) auf 6.270 (Juni 1956). Die ohnehin schon im Vergleich zu den privaten sehr rückständigen Kollektivwirtschaften wurden dadurch in ihrem Leistungsniveau noch weiter gesenkt. Diese Entwicklung hatte eine weitgehende Zurückhaltung der noch existenzfähigen Einzelbauern gegenüber den LPG zur Folge, die aus Gründen der chronischen Engpässe in der Versorgung staatlicherseits gebilligt wurde. Von Juni 1956 bis 1957 hatte sich die Zahl der LPG nur um 15 Einheiten erhöht.

 

Auf dem 33. ZK-Plenum der SED im Okt. 1957 wurde darauf das Ziel gesetzt, den „sozialistischen Sektor“ bis 1960 auf 50 v. H. auszuweiten, und damit eine neue Kollektivierungskampagne ausgelöst, die mit heftigen Agitationen, Drohungen und Verlockungen auf den Dörfern und Feldern von Parteifunktionären geführt wurde. Der Erfolg war ein sprunghafter Anstieg von 6.285 (Juni 1957) auf 9.523 LPG im Februar 1959, womit sich der „sozialistische Sektor“ (einschließlich der VEG-Flächen) auf 46 v. H. der LN erweitert hatte. Die dabei entstandene Unruhe auf dem Lande wurde durch eine als „neue Taktik“ popularisierte Äußerung Ulbrichts vor dem 3. Kongreß der Nationalen Front am 22. 9. 1958 besänftigt, wonach niemals ein festes Datum für die Vollendung der Kollektivierung festgelegt worden sei und ihr Tempo davon abhänge, in welchem Maße die Bauern von den Vorteilen der „sozialistischen genossenschaftlichen Großproduktion“ überzeugt werden könnten.

 

Das jüngste Entwicklungsstadium ist von organisatorischen Bemühungen um die „wirtschaftliche Festigung der LPG“ gekennzeichnet: Vergrößerung der LPG durch Zusammenlegung mehrerer kleiner Einheiten; Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen LPG und MTS durch das System der komplexen Mechanisierung und die Schönebecker Methode, wobei die MTS immer mehr unter die Herrschaft der LPG gestellt werden und ihren Maschinenpark also zum Zwecke schlagkräftigeren Einsatzes dezentralisieren soll (Leihvertragssystem); Übernahme von Patenschaften über neu errichtete oder wirtschaftlich schwache durch gut fundierte LPG. Schließlich werden Bemühungen erkenntlich, den Typ I auf die „höchste Stufe“ (Typ III) zu verlagern, wozu noch weitere maschinen- und bautechnische Ausrüstungen geschaffen werden sollen, worauf jedoch die Statutenabänderungen für den Typ I (z. B. Erweiterung der Inventarbeiträge) schon deutlich hinweisen.

 

Nach wie vor befindet sich das SED-Politbüro in der Zwickmühle zwischen den Zielen, möglichst bald mit der mitteldeutschen Produktionskapazität diejenige der Bundesrepublik erreichen und überholen zu können und dabei die „Kraft der LPG“ sich immer mehr entfalten zu lassen. In diesem Zeichen steht die Forderung nach einer „engen kameradschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Genossenschafts- und Einzelbauern“, wie sie Ulbricht auf der VI. LPG-Konferenz im Februar 1959 mit Nachdruck gefordert hat.

 

[S. 209]Die einzelnen Besitzformen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche hatten Mitte 1959 folgende Anteile erreicht:

 

 

Wie die Übersicht zeigt, befinden sich als zwangsläufige Folge der seit 1952 eindeutig auf die Kollektivierung der Landwirtschaft gerichteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen nur noch rd. 52 v. H. der LN in der Hand von Einzelbauern.

 

Die oben dargestellte Änderung der Agrarstruktur wurde durch die Zentralverwaltungswirtschaft gesteuert. Wesentlich hierbei war und ist das Zusammenwirken von Ablieferungspflicht und Agrarpreissystem. Alle dem Markt zugeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse werden von der VEAB erfaßt bzw. aufgekauft. Die Umsätze auf dem Bauernmarkt fallen kaum ins Gewicht. Die Belieferung der Landwirtschaft mit Betriebsmitteln (z. B. Mineralische ➝Düngemittel, Futtermittel, Betriebsstoffe) wird ebenfalls staatlich gelenkt und durch die VdgB (BHG) bzw. Staatlichen ➝Kreiskontore für den landwirtschaftlichen Bedarf zugeteilt. Bevorzugt werden dabei die Betriebe des „sozialistischen Sektors“. Eine besondere Behandlung erfahren größere Maschinen und Geräte, die für die MTS und Volkseigenen Güter vorbehalten werden.

 

Die Folgen dieses Zwangssystems konnten nicht ausbleiben. Der einstmals hohe Stand der L. im Gebiet der SBZ ist seit 1945 abgesunken. In der Feldwirtschaft bleiben die Ernten trotz allen „Kampfes um die Produktionsverbesserung“ hinter dem Vorkriegsstand zurück (Erntestatistik).

 

 

[S. 210]In der Viehwirtschaft sind die durch Kriegs- und vor allem Nachkriegseinwirkungen besonders dezimierten Vorkriegs-Bestandszahlen zwar überschritten worden, jedoch mußten die forcierte Steigerung der Nutzviehbestände ohne entsprechende Futterflächen in der Anbauplanung und die hohen Ablieferungsquoten pflanzlicher Erzeugnisse dazu führen, daß die tierischen Leistungen weit unter dem Normalmaß zurückbleiben. Dies geht vor allem aus dem Zurückbleiben der durchschnittlichen Schlachtgewichte bei Rindern und Kälbern, der Schlachtumtriebe bei Rindern und Schweinen und der Milchleistung je Kuh um 25 bis 30 v. H. gegenüber dem Leistungsstand der BRD hervor. Um die Diskrepanz zwischen Viehbestand und Futterversorgung zu mildern, werden verschiedene Neuerermethoden in der Landwirtschaft (Maisprogramm, Grünes Fließband, Naturgemäße Viehhaltung) propagiert.

 

Die geschilderten Verhältnisse müssen sich auch auf die Ernährungswirtschaft der Gesamtbevölkerung auswirken. Alljährlich wiederkehrende Engpässe in der Versorgung und die nach vielen Versprechungen erst 13 Jahre nach dem Kriege aufgehobene Lebensmittelrationierung (Lebensmittelkarten) beweisen das zur Genüge. Hinzu kommt die Abhängigkeit der Versorgung von Einfuhren, vorwiegend aus den Ostblockstaaten, die ihrerseits häufig mit der Erfüllung der Lieferverträge Schwierigkeiten haben. Ausfuhrverpflichtungen und die Versorgung der Besatzungsmacht erschweren die Ernährungslage zusätzlich. Wenn auch die Nahrungsmittelversorgung durch gewisse Steigerungen in der Eigenerzeugung und durch Einfuhrerhöhungen verbessert werden konnte, so darf nicht verkannt werden, daß diese Entwicklung durch die Republikflucht begünstigt worden ist. In dem von Ulbricht auf dem III. Parteitag der SED gesteckten Planziel, 1961 den Pro-Kopf-Verbrauch der westdeutschen Bevölkerung zu erreichen und zu übertreffen, verbirgt sich das Eingeständnis der eigenen Mangellage.

 

Diese sachlichen Erörterungen agrarwirtschaftlicher und politischer Fakten reichen zur Beurteilung der Situation nicht aus, in die sich das noch relativ selbständige Bauerntum in der SBZ hineingestellt sieht. Die wirtschaftliche Not ist nicht zu trennen von der Depression des Zukunftserlebens und den vielfältigen seelischen Konflikten, die auf den Menschen in der L. der SBZ lasten.

 

Literaturangaben

  • Gade, H.: Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der SBZ. (Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 1957, H. 3)
  • Krömer, Eckart: Die Sozialisierung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands als Rechtsproblem. Göttingen 1952, Otto Schwartz. 184 S.
  • Kramer, Matthias: Die Bolschewisierung der Landwirtschaft in Sowjetrußland, in den Satellitenstaaten und in der Sowjetzone (Rote Weißbücher 3). Köln 1951, Kiepenheuer und Witsch. 144 S.
  • Kramer, Matthias: Die Landwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone. 4. Aufl. (unter Mitarb. v. Gerhard Heyn und Konrad Merkel). (BB) 1957. Teil I (Text) 159 S., Teil II (Anlagen) 224 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 207–210


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.