DDR von A-Z, Band 1959

Zivilprozeß (1959)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Die im Perspektivplan des Justizministeriums (Justizreform) vorgesehene neue Z.-Ordnung soll am 1. 1. 1963 in Kraft treten. Bis dahin bleibt die deutsche ZPO vom 30. 7. 1877 noch formell geltendes Recht. Das bisherige Z.-Recht ist aber schon in den vergangenen Jahren durch neue gesetzliche Bestimmungen und durch die gerichtliche Praxis grundlegend verändert worden.

 

Die wichtigsten Neuerungen brachten das Gerichtsverfassungsgesetz vom 2. 10. 1952 (Gerichtsverfassung) und die im Anschluß hieran ergangene Angleichungs-VO.

 

Entsprechend dem dreistufigen Gerichtsaufbau gibt es nur noch zwei Instanzen. Die erste Instanz für fast alle Zivilsachen ist das Kreisgericht. Nur die Verfahren, in denen eine Partei Träger gesellschaftlichen Eigentums ist und der Streitwert 3.000 DM Ost übersteigt, gehören zur Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Das Bezirksgericht ist außerdem Berufungsinstanz für die Entscheidungen des Kreisgerichts. Gegen die erstinstanzlichen Urteile des Bezirksgerichts ist die Berufung an das Oberste Gericht möglich. Wie in Strafsachen ist das Oberste Gericht außerdem Kassationsgericht (Kassation). Der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte entzogen sind die Streitigkeiten zwischen sozialistischen Betrieben aus Lieferungs- und Leistungsverträgen. Diese Verfahren gehören vor das Staatliche ➝Vertragsgericht.

 

Die Zivilkammern des Kreisgerichts und die erstinstanzlichen Zivilsenate des Bezirksgerichts sind mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei mit vollen richterlichen Befugnissen versehenen Schöffen besetzt.

 

Die Aufgaben des früheren Rechtspflegers insbesondere im Mahnverfahren und in der Zwangsvollstreckung sind dem Sekretär (Sekretäre der Gerichte) übertragen worden (§§ 28 ff. der Angleichungs-VO).

 

Für alle Verfahren in erster Instanz gelten gemäß § 38 der Angleichungs-VO die Bestimmungen der §§ 495 ff. der ZPO. Vor dem Bezirksgericht findet jedoch keine Güteverhandlung statt. Ein Verfahren vor dem Einzelrichter gibt es in erster Instanz nicht.

 

Neu geregelt ist das Verfahren in Ehesachen durch die Eheverfahrensordnung vom 7. 2. 1956 (Eherecht).

 

Anwaltsvertretung ist in ajlen Berufungsverfahren notwendig. Das Gericht kann jedoch von der Vorschrift des Anwaltszwanges befreien. VEB können sich im Anwaltsprozeß durch eigene Angestellte vertreten lassen.

 

Neben dem Recht, die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen zu beantragen, kann der Staatsanwalt gemäß § 20 des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft vom 23. 5. 1952 (GBl. S. 408) „zum Zwecke der Wahrung der demokratischen Gesetzlichkeit“ in jedem Zivilrechtsstreit durch Einreichung von Schriftsätzen und Teilnahme an den Verhandlungen mitwirken. Diese Mitwirkung ist in allen Rechtsstreitigkeiten erforderlich, die „gesellschaftliches Eigentum und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen“ betreffen. (Staatsanwaltschaft)

 

Über die gesetzgeberischen Maßnahmen hinaus sind die formell weiter geltenden Vorschriften der Z.-Ordnung mit einem „neuen Inhalt“ erfüllt worden. Ausgehend von den im § 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes niedergelegten Aufgaben der Rechtsprechung (Rechtswesen), sind die grundlegenden Prinzipien des deutschen Z. beseitigt worden. An die Stelle des Verhandlungs- und des Verfügungsgrundsatzes ist weitgehend das Prinzip der Erforschung der materiellen Wahrheit getreten: „Ziel unseres Zivilprozesses ist die Ermittlung der objektiven Wahrheit. … Das wichtigste Mittel, um von der schädlichen, nur den Interessen der ökonomisch Stärkeren dienenden Verhandlungsmaxime loszukommen und die objektive Wahrheit zu finden, bildet eine konsequente, weitgehende Anwendung des § 139 ZPO“ (Niethammer in: „Neue Justiz“, 1954, S. 314). Dieses Ziel wird ohne gesetzliche Änderungen durch eine verallgemeinernde Anwendung aller Bestimmungen der ZPO, die eine gewisse Einschränkung des Verhandlungs- und des Verfügungsgrundsatzes enthalten, erreicht. Wie das Oberste Gericht im Urteil vom 11. 9. 1954 („Neue Justiz“, 1954, S. 489) feststellt, bindet das Anerkenntnis des Klageanspruches durch den Beklagten den Richter nicht, wenn es gegen Zweck und Inhalt der Gesetze, vor allem der Verfassung, verstößt.

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1959: S. 409


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.