DDR von A-Z, Band 1960

Abweichungen (1960)

 

 

Siehe auch:


 

Stehender Begriff des Pj. für Auffassungen, die nicht der als „Generallinie“ vom ZK der KPdSU in Moskau verkündeten Lehre des Marxismus-Leninismus und ihrer häufig wechselnden Auslegung entsprechen: sie werden seit Lenin auf das schärfste bekämpft. A. gelten nicht nur als Verstoß gegen die Parteidisziplin, sondern auch als Verrat am Sozialismus und an den Interessen der Arbeiterklasse, die den Interessen des Volkes gleichgesetzt werden. Je nachdem, ob die A., gemessen an der jeweils gültigen „Parteilinie“, zum Radikalismus oder zur Mäßigung bzw. zum Ausgleich mit den Gegnern neigen, werden sie als Linksabweichungen (Sektierer, Dogmatismus), Rechtsabweichungen, Versöhnlertum oder Opportunismus gebrandmarkt. Darunter fiel und fällt auch die als Revisionismus und als „Paktieren mit dem Klassenfeind“ verdammte Lehre der deutschen Sozialdemokratie (Sozialdemokratismus) seit Bernstein und Kautsky. Da der Bolschewismus vorgibt, alle Natur- und Lebenszusammenhänge endgültig und eindeutig wissenschaftlich erkannt zu haben, wird das abendländische Bestreben, die Wahrheit über die Natur- und Lebenszusammenhänge durch empirische Beobachtung und selbständiges Denken frei von Vorurteilen objektiv zu erkennen, als Objektivismus gefürchtet und verfolgt. Infragestellung der vom Bolschewismus behaupteten zwangsläufig wirkenden Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung (Marxismus-Leninismus) wird als Subjektivismus bekämpft. Die seit Jahren in der SBZ in breitesten Kreisen bis in die Parteimitglied[S. 11]schaft hinein bestehende Hoffnung auf einen Ausgleich zwischen beiden Teilen Deutschlands und die damit verbundene Ablehnung einer „kämpferischen“ Haltung gegenüber der Bundesrepublik unter gleichzeitiger Einschätzung des bolschewistischen Regimes der SBZ als eines bloßen Provisoriums wird von den Bolschewisten schärfstens als „Theorie vom Dritten Weg“ (Dritter Weg) bekämpft. Zur Bekämpfung aller A. wird immer wieder die revolutionäre ➝Wachsamkeit der Parteimitglieder aufgerufen.

 

A. innerhalb der kommunistischen Parteien werden in leichten Fällen durch das Verfahren der Kritik und Selbstkritik ausgemerzt. In schweren Fällen, und wenn die Betroffenen nicht widerrufen, ist Parteiausschluß die Folge; außerdem (wenigstens bis zum XX. Parteitag der KPdSU von 1956) gegebenenfalls gesellschaftliche Vernichtung in Zwangsarbeitslagern oder Liquidierung mit oder ohne Gerichtsverfahren. (Stalinismus)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 10–11


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.