
Berlin (1960)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
B. ist die Hauptstadt Deutschlands, kann jedoch z. Z. die damit verbundenen Funktionen nicht ausüben. Mit 883,8 qkm Bodenfläche und 3,39 Mill. Einwohnern ist B. die größte deutsche Stadt. Von ihren 20 Verwaltungsbezirken gehören 12 mit 481 qkm und 2,2 Mill. Einwohnern zu den drei westlichen Sektoren, 8 mit 403 qkm und 1,8 Mill. Einwohnern (1959) zum Sowjetsektor.
Als Hauptstadt Preußens und seit 1871 des Deutschen Reiches war B. bis 1945 das deutsche Verwaltungszentrum, durch seine günstige geographische Lage ein erstrangiger Knotenpunkt im europäischen Ost-West- und Nord-Süd-Verkehr. B. war ferner der Mittelpunkt des kulturellen Lebens in Deutschland und nicht zuletzt ein bedeutendes Industriegebiet. Infolge der schweren Kriegsschäden, der sowjetischen Demontagen und später der Spaltung der Stadt entwickelte sich der kulturelle und wirtschaftliche Wiederaufbau viel langsamer als in der Bundesrepublik. West-Berlin wurde hierbei durch Marshallplan-Gelder, später durch Bundesmittel unterstützt. Es konnte auf den Gebieten der Wissenschaft und Forschung sowie der Künste eine international anerkannte Stellung wiedererringen. 1945 wurde die Technische Universität, 1948 die Freie Universität, 1949 die Hochschule für Politik wieder bzw. neu gegründet. Zahlreiche weitere Institute und Kultureinrichtungen nahmen nach und nach ihre Tätigkeit wieder auf. Voraussetzung dafür war eine rege Bautätigkeit. Trotz Geld- und Kreditmangels schritt auch der Aufbau von Handel und Industrie in den letzten Jahren günstig fort. Besonders störend war hierbei das Fehlen des Hinterlandes, das sich sowohl auf die Ausfuhr von Gütern als auch auf die Versorgung der Stadt hemmend auswirkte. West-Berlin konnte jedoch den alten Ruf seiner Erzeugnisse aus der Elektroindustrie, dem Bekleidungsgewerbe, dem Maschinenbau, der Eisen- und Stahlindustrie und dem graphischen Gewerbe wiederherstellen. Die entsprechenden Anlagen im Sowjetsektor wurden vielfach in Konkurrenz zu West-Berlin entwickelt, und die wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen tragen oft repräsentativen Charakter. Wegen ihres parteiideologischen Anstriches ist ihnen aber die alte Bedeutung versagt geblieben. Die Bautätigkeit und die Wirtschaftsentwicklung leiden unter den für die gesamte SBZ geltenden Erschwerungen.
Das gesamte Berliner Verkehrs-, Nachrichten- und Energienetz wurde durch die Spaltung der Stadt zum größten Teil zerrissen. Der Personenverkehr über die Sektorengrenze ist z. Z. nicht, der Güter- und Warenverkehr aufs schwerste behindert.
Als Sitz des Kontrollrates auch nach der Kapitulation noch Regierungssitz für ganz Deutschland, wurde B. durch eine dem Kontrollrat nachgebildete Viermächteverwaltung einer Sonderbehandlung unterworfen. Die Stadt wurde anfangs in drei und bald danach, durch Ausgliederung eines französischen Sektors aus den westlich besetzten Teilen, in vier Sektoren geteilt. Ganz B. sollte durch den „Magistrat von Groß-Berlin“ unter Kontrolle der Alliierten Kommandantur einheitlich verwaltet werden. Vor Arbeitsbeginn der Kommandantur (11. 7. 1945) hatten die Sowjets alle in ihrem Interesse erforderlichen Maßnahmen bereits durchgeführt oder vorbereitet. Über 80 v. H. aller noch brauchbaren industriellen Einrichtungen wurden demontiert. Die Stadt erhielt eine rein kommunistische Verwaltungsspitze. Verwaltung und Gesetzgebung wurden weitgehend den Verhältnissen in der SBZ angeglichen (Finanzen, Schulen, Sozialversicherung, Verkehrswesen usw.). Durch ihren Vertreter in der Kommandantur verhinderten die Sowjets jede konstruktive Politik. Der 1946 nach einwandfreier demokratischer Wahl von der Stadtverordnetenversammlung mit großer Mehrheit (104 Abgeordnete der SPD, CDU und LDP gegen 26 der SED) gewählte Bürgermeister Prof. Reuter konnte infolge sowjetischen Vetos sein Amt nicht ausüben.
Um die Position der Westmächte in B. unmöglich zu machen, soll[S. 60]ten diese und die West-Berliner Bevölkerung durch die Blockade vom 24. 6. 1948 (Unterbrechung der Verbindungswege von West-Berlin nach der Bundesrepublik, dem Sowjetsektor und der SBZ) bis zum 12. 5. 1949 (Aufhebung der Blockade durch Viermächteabkommen vom 4. 5. 1949) von allen Nachrichten-, Verkehrs- und Handelsverbindungen abgeschnitten werden. Die SMAD und die SED vertraten plötzlich die Auffassung, B. sei ein Teil der SBZ. Die Blockade wurde durch die Luftbrücke, über die zuletzt ca. 8.000 t Güter pro Tag eingeflogen wurden, praktisch unwirksam und politisch zu einer kommun. Niederlage.
Die am 20. 6. durchgeführte Währungsreform verschärfte die schon seit Monaten sich abzeichnende Krise, bis am 24. 6. unter dem Vorwand von technischen Schwierigkeiten auf den Zufahrtswegen die Blockade von den Sowjets verhängt wurde. B. hatte durch die Währungsreform zwei verschiedene Währungen erhalten (DM West und DM Ost). Die Westmächte hätten der DM Ost für ganz Berlin zugestimmt, falls ihre Forderungen nach Mitkontrolle der Berliner Währung von den Sowjets angenommen worden wäre. Während heute im Sowjetsektor nur die DM Ost gültig und der Besitz von DM West strafbar ist, kann die DM Ost in West-Berlin bei privaten Wechselstuben frei konvertiert werden. Der Kurs richtet sich nach Angebot und Nachfrage.
Die Spaltung der Stadt durch die Sowjets und die SED wurde durch die kommun. Sprengung der im Sowjetsektor tagenden Stadtverordneten-Versammlung am 6. 9. 1948 vollendet. Seit 30. 11. 1948 hat Berlin getrennte Verwaltungen, da eine von der SED willkürlich zusammengesetzte „außerordentliche Stadtverordnetenversammlung“ einen „provisorischen Magistrat“ bestimmt hat. West-Berlin gehört nicht zur Bundesrepublik, durch Übernahme von Bundesgesetzen wird jedoch die weitgehende Rechtsgleichheit angestrebt seine Vertreter nehmen an den Bundestags- und Bundesratssitzungen zwar teil, besitzen jedoch kein Stimmrecht. West-Berlin gilt als deutsches „Land“ auf Grund der Verfassung vom 1. 9. 1950. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 21. 5. 1957 gilt dort auch das Grundgesetz, das nur durch die oberste Gewalt der Alliierten eingeschränkt werden kann. Von den 200 Sitzen des Abgeordnetenhauses werden 73 für die Abgeordneten des Sowjetsektors frei gehalten für den Fall, daß auch dort wieder freie Wahlen möglich sein sollten. Die Regierung besteht aus dem Senat mit höchstens 16 Senatoren und dem Regierenden Bürgermeister an der Spitze. West-Berlin wird z. Z. von einer Koalitionsregierung aus SPD und CDU regiert. — Der Sowjetsektor wird von einem nichtgewählten Magistrat unter Leitung eines Oberbürgermeisters verwaltet. Er ist verwaltungsmäßig nicht in die SBZ einbezogen. Der Viermächtestatus Berlins wird seitens der Westmächte sowie der West-Berliner und der Bundesregierung streng gewahrt. (Regierung und Verwaltung)
Mit einer Note vom 27. 11. 1958 kündigte die SU das Besatzungsstatut Berlins. Innerhalb der Frist eines halben Jahres sollte B. den Status einer „entmilitarisierten Freien Stadt“ erhalten und die Behörden der „DDR“ den Zugang zur Stadt auch für das alliierte Personal kontrollieren. Den Westmächten wurde gleichzeitig grundsätzlich ihr Aufenthaltsrecht in B. bestritten. Diese ultimative Forderung wurde seitens der Westmächte, der Bundesrepublik und des Senats von West-Berlin energisch zurückgewiesen. Seitdem steht B. wieder im Mittelpunkt der Weltpolitik. (Besatzungspolitik)
Literaturangaben
- Berlin — Kampf um Freiheit und Selbstverwaltung 1945 bis 1946 (hrsg. vom Senat von Berlin). Berlin 1957, Kulturbuch-Verlag. 244 S.
- Berlin — Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946 bis 1948 (hrsg. vom Senat von Berlin). Berlin 1959, Heinrich Spitzing. 760 S.
- Dokumente zur Berlin-Frage 1944 bis 1959 (hrsg. v. Forschungsinst. d. Dt. Gesellsch. f. Ausw. Pol. in Zusarb. m. d. Senat von Berlin). München 1959, Oldenbourg. 435 S.
- Brunn, Walter: Die rechtliche, politische und wirtschaftliche Lage des Berliner Sowjetsektors. Berlin 1954, Kulturbuch-Verlag. 156 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 59–60
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