DDR von A-Z, Band 1960

Staatsarchive (1960)

 

 

Siehe auch die Jahre 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Das Archivwesen ist nach sowjet. Vorbilde durch VO vom 13. 7. 1950 dem Ministerium des Innern (Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten) unterstellt. Aufsicht und Anleitung der St. obliegen der dort gebildeten Staatlichen Archivverwaltung (Sitz Potsdam). Das Deutsche Zentralarchiv (DZA) in Potsdam verwahrt Aktenbestände des Norddeutschen Bundes und der Reichsregierung von 1867–1945 (ehem. Reichsarchiv), sowie der von 1945–1957 aufgelösten zentralen Dienststellen der SBZ. Außerdem werden dort Urkunden und Akten der Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck, deren Übergabe an die betr. Städte vom Innenministerium der SBZ verweigert wird, zurückgehalten. In der Abt. Merseburg des DZA sind die von Berlin-Dahlem im Kriege ausgelagerten Bestände des Preußischen Geheimen St. und des Hohenzollernschen Hausarchivs untergebracht.

 

Die territoriale Zuständigkeit der 5 Landeshauptarchive (LHA) entspricht noch im wesentlichen der vor der Verwaltungsneugliederung des Jahres 1952 bestandenen Einteilung der SBZ in 5 Länder. Jedem LHA unterstehen Landesarchive, die als Bezirks-Archive ausgestaltet werden.

 

Die Bestände der mitteldeutschen St. sind durch Kriegsverluste und vor allem durch Beschlagnahmen der sowjet. Besatzungsmacht dezimiert, die trotz der Aktenrückgaben der Jahre 1955, 1957 und 1959 wichtige Aktenbestände deutscher Behörden in der SU zurückhält. Wiederaufbau und Neuordnung der St. sind durch Mangel an geeigneten Fachkräften und fehlende Investitionen für dringende Neubauten behindert. Die Ausbildung für den höheren Archivdienst [S. 393](Diplomarchivare) geschieht in einjährigen Kurzlehrgängen durch das im Jahre 1950 gegründete Institut für Archivwissenschaft (Sitz Potsdam), das 1958 der Ost-Berliner Humboldt-Universität angeschlossen wurde. Den Mangel an Fachkräften versucht man außerdem zu beseitigen durch Ausbildung von staatlich geprüften Archivaren an der Fachschule für Archivwesen (Sitz Potsdam), durch Kurzlehrgänge und Sonderkurse und durch die Einrichtung eines Fernstudiums, wobei stets die politische Bewußtseinsbildung durch SED-Dozenten vor der fachlichen Schulung steht.

 

Die Aktenbenutzung in den St. ist durch verschiedene Bestimmungen beschränkt. Im allgemeinen wird Forschern aus der Bundesrepublik und den westlichen Ländern seit 1958 der Zutritt zu den St. weitgehend verwehrt. Von Staatssekretär Grünstein wurde auch eine allgemeine Auskunftssperre für alle Anfragen aus der Bundesrepublik und West-Berlin über in mitteldeutschen St. befindliche Pensions-, Renten- und Versorgungsunterlagen verfügt. Durch den Leiter der staatlichen Archivverwaltung, Schirdewan, wird die Politisierung des Archivwesens noch beträchtlich verschärft. Abgesehen von der stärkeren Durchsetzung des Archivpersonals mit SED-Mitgliedern und SSD-Spitzeln, der verstärkten marxistisch-leninistischen Schulung und der strafferen Organisation und Kontrolle des ohnehin überzentralisierten Archivwesens sollen vor allem die in den St. vorhandenen Unterlagen zu gegen die Bundesrepublik gerichteten propagandistischen Aktionen (Ausschuß für deutsche Einheit) nutzbar gemacht werden. Jede objektive Geschichtsforschung soll bereits durch die St. weitgehend verhindert werden. Als bedeutendster „Erfolg“ in der jüngsten Entwicklung des „sozialistischen Archivwesens“ werden die kürzlich gebildeten „sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften der Archivare“ herausgestellt.

 

Die Kreis-, Stadt- und Gemeindearchive unterstehen besonderen Referenten für Archivwesen bei den Räten der Bezirke. Die Archive (Registraturen) der staatlichen Verwaltungsorgane befinden sich größtenteils in desolatem Zustand, ebenso werden die Betriebsarchive der VEB, die zwar gegenüber der staatlichen Aufsicht eine gewisse Selbständigkeit besitzen, als „Stiefkinder“ behandelt und sind — wie die laufenden Registraturen der Verwaltungen — dem Zugriff (Aktenvernichtung) durch die sowjet. Besatzungsmacht ausgesetzt.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 392–393


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.