DDR von A-Z, Band 1960

Demokratisierung (1960)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Schlagwort des Pj. zur Tarnung der zunehmenden Sowjetisierung im öffentlichen Leben der SBZ. Außer in der Verwaltung, den Schulen, den Betrieben usw. hat sich die D. besonders verhängnisvoll in der Justiz erwiesen. Auf der Forderung nach einer „D. der Justiz“ beruht die Einrichtung der Volksrichterlehrgänge. Es bestand angeblich die Notwendigkeit, „den wiedereingestellten akademisch gebildeten Richtern und Staatsanwälten, die wegen ihres Alters und ihrer Traditionsgebundenheit auch nicht immer das richtige Verhältnis zu den neuen Aufgaben finden können, neue Kräfte zur Seite zu stellen, die auf Grund ihrer Lebenserfahrung und ihrer politischen Tätigkeit diesen Aufgaben gewachsen sind“ (Hilde ➝Benjamin in: „Neue Justiz“ 1947, S. 15). „Die Einrichtung der Volksrichter in der Sowjetzone ist der Weg, um die deutsche Richterschaft möglichst schnell zu demokratisieren, d. h. sie aus Menschen aus allen Schichten des Volkes zusammenzusetzen und dadurch die Grundlagen für eine demokratische Justiz zu schaffen“ (Hilde Benjamin in: „Neue Justiz“ 1948, S. 194). Folgeerscheinung dieser „Demokratisierung der Justiz“ ist die Ausmerzung der unerwünschten „bürgerlichen Juristen“. (Rechtswesen)

 

Mit dem bewußt gebrauchten irreführenden Leitwort „Demokratisierung der Verwaltung“ wurden im Juli 1952 die altbewährten, bodenständigen Länder der SBZ in vierzehn Bezirke zerschlagen, wurden neue Verwaltungsordnungen 1. für die Räte und Bezirkstage dieser Bezirke, 2. für die Räte und Kreistage der großenteils veränderten und aufgespaltenen Kreise erlassen. Diese Ordnungen wurden 1957 durch eine „weitere D.“ der Staatsverwaltung und der Selbstverwaltung abgelöst. Denn im Anschluß an die 3. Parteikonferenz der SED (März 1956) und propagiert durch die Nationale Front, beschloß die Volkskammer am 17. 1. 1957 zwei Gesetze, die Hermann ➝Matern am 30. 8. 1956 als Mittel „zur weiteren D.“ bezeichnet hatte: 1. das „Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen“; 2. das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“.

 

Das erste Gesetz gibt (so bes. in den §§ 1,3 und 6) der Volkskammer bzw. ihrem neugebildeten „ständigen Ausschuß für die örtlichen Volksvertretungen“ gegenüber den Bezirkstagen, Kreistagen und Gemeindeversammlungen die Stellung eines zentralen, alles lenkenden Obersten Parlamentes — eines Obersten Sowjets, der gesetzgebend, ausführend, richtend und kontrollierend in einem ist. Das zweite Gesetz verleiht, dem Buchstaben nach, den örtlichen Parlamenten eine weitgehende Leitungsgewalt, aber diese Selbständigkeit ist nur scheinbar. Ihre im ersten Gesetz vorgeschriebene Unterordnung unter die Volkskammer und der in der „DDR“ allgemein verbindliche demokratische Zentralismus drücken die örtlichen Parlamente und Verwaltungen zu nur noch formal freien Ausführungsstellen der zentralen, [S. 87]völlig von der SED beherrschten Volkskammer hinab.

 

Nur auf dem Papier will die SED die straffe Zentralisierung und Totalisierung der bezirklichen, kreisweisen und gemeindlichen Selbstverwaltung mildern. Die völlig zentralisierte SED soll alle örtlichen Volksvertretungen und Behörden lenken. Ministerpräsident Otto ➝Grotewohl hatte dazu am 28. 3. 1956 erklärt: „In der Tätigkeit der Gemeindeorgane gibt es starke Reste des bürgerlichen Parlamentarismus und noch eine künstliche Trennung der beschließenden und vollziehenden Tätigkeit … Eine der wichtigsten Ursachen der mangelhaften Arbeit der staatlichen Organe in den Gemeinden ist auf die ungenügende Anleitung durch die Ortsparteiorganisationen zurückzuführen.“ Auch die weitere D. der SBZ seit 1957 ist nur eine scheinbare D. (Kommunale ➝Selbstverwaltung)

 

Literaturangaben

  • Chronologische Materialien zur Geschichte der SED 1945 bis 1956. Berlin 1956, Informationsbüro West. 637 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 86–87


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.