DDR von A-Z, Band 1960

Gnadenrecht (1960)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Das G. war bis zum 12. 9. 1960 dem Präsidenten der Republik vorbehalten. Nach dem Tode Wilhelm ➝Piecks wurde es durch Art. 106 der geänderten Verfassung dem neu gebildeten Staatsrat übertragen. Eine gesetzliche Regelung über das Gnadenverfahren gibt es nicht. Nachdem verschiedene Entwürfe einer Gnadenordnung ausgearbeitet worden waren, aber nie die Billigung aller beteiligten Stellen gefunden hatten, wurde schließlich im Januar 1954 eine Gnadenordnung erstellt, die jedoch nicht veröffentlicht wurde. Den mit der Bearbeitung von Gnadensachen befaßten Referenten in der Präsidialkanzlei wurde der Wortlaut dieser Gnadenordnung erst im Juni 1954 mitgeteilt. Im Oktober 1954 gab der Staatssekretär im Ministerium der Justiz, Dr. Toeplitz, den Vorsitzenden der Anwaltskollegen (Rechtsanwaltschaft) mündlich bekannt, daß eine Gnadenordnung erlassen sei, daß diese aber nicht veröffentlicht werde, und teilte den wesentlichen Inhalt mit der Bitte um Unterrichtung der anderen Kollegiums-Anwälte mit. Danach ist Gnadeninstanz bei Todesstrafen und allen Freiheitsstrafen der Staatspräsident (seit 12. 9. 1960 der Staatsrat), für Geldstrafen und Nebenstrafen ein für jeden Bezirk gebildeter besonderer Gnadenausschuß, dem der Leiter der Bezirks justizverwaltungsstelle, der Bezirksgerichtsdirektor und der Bezirksstaatsanwalt angehören. Die Gnadenentscheidung des Staatspräsidenten wurde in jedem Einzelfall durch eine Stellungnahme dieses Gnadenausschusses vorbereitet. Auf den Gnadenbericht des Bezirksgnadenausschusses erging eine Stellungnahme des Justizministeriums und des Generalstaatsanwalts, in vielen Fällen auch noch des Innenministeriums. In der Präsidialkanzlei wurde nach Eingang der Akten und einzelnen Stellungnahmen lediglich geprüft, für welche Meinung eine Mehrheit besteht und dementsprechend entschieden. Diese Entscheidungen, die Staatssekretär Max Opitz (SED) traf, beruhten also nicht auf sachlichen Erwägungen der für die Entscheidung an sich zuständigen Instanz. Einen Gnadenerweis gegen den Willen der Staatsanwaltschaft gab es in der Praxis nicht. Erfahrungen über die Gnadenpraxis des Staatsrats liegen zur Zeit noch nicht vor. Es ist aber kaum anzunehmen, daß in dieser Praxis eine wesentliche Änderung eintreten wird. Gnadengesuche können von Ehegatten, Geschwistern oder Personen eingereicht werden, die in gerader Linie mit dem Verurteilten verwandt sind. Gnadengesuche von Rechtsanwälten werden zwar heute nicht mehr, wie etwa bis zum Jahre 1956, grundsätzlich zurückgewiesen, finden aber volle Beachtung und Bearbeitung nur bei Verurteilungen zu Todesstrafe. Von Angehörigen eingereichte Gnadengesuche sollten auch die Mitwirkung eines Rechtsanwaltes nicht erkennen lassen.

 

Neben einem Gnadenerweis gibt es während des Strafvollzuges noch die Möglichkeit der bedingten Strafaussetzung. (Rechtswesen)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 149


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.