Landwirtschaft (1960)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 236]Die L. In der SBZ steht seit 1945 im Zeichen der von der kommun. Doktrin bestimmten Agrarpolitik. Danach sind die Beseitigung des selbständigen Bauernstandes und seine Kollektivierung unerläßliche Voraussetzungen für den Aufbau des Sozialismus, Unter Mißachtung der ganz anders gearteten historischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Mitteldeutschland kopiert die Agrarpolitik der SED das sowjetrussische Vorbild. Es liegt klar zutage, daß die agrarpolitischen Maßnahmen, die den Wandlungsprozeß der L. bewirkten, in den Grundzügen und in vielen Einzelheiten mit dem sowjet. Muster übereinstimmen.
Hier wie dort war die erste Phase der sozialistischen Umgestaltung der L. eine Bodenreform. Sie führte zur totalen und entschädigungslosen Enteignung der Großgrundbesitzer und zur Aufteilung ihres Landes in eine Vielzahl kleiner einzelbäuerlicher Betriebseinheiten. Ein ansehnlicher Teil des aus dem enteigneten und aus staatlichem Land gebildeten „Bodenfonds“ bildete den Grundstock für die Errichtung volkseigener Güter. Im Gegensatz zu Rußland konnte allerdings in der SBZ von einer revolutionären Bewegung auf dem Lande keine Rede sein, und auch das bäuerliche Eigentumsrecht am Boden wurde formal nicht aufgehoben. Sonst aber entspricht die Agrarentwicklung von 1945 bis 1952 in der SBZ weitgehend der von 1917 bis 1926 in Sowjetrußland. Wie in der UdSSR hat sich auch in der SBZ in dieser ersten Phase die Entwicklung nicht zum „sozialistischen Großbetrieb“, sondern zum bäuerlichen Kleinbetrieb hin bewegt. Der durch die Bodenreform 1945 ausgelöste Prozeß der Vermehrung des Kleinbetriebes auf Kosten des Großbetriebes war jedoch nur der taktische Beginn einer „Revolution von oben“. Das offensichtliche Nahziel war, die Bauernschaft zu neutralisieren, die Klassenspaltung im Dorf künstlich herbeizuführen und das neue Kleinbauerntum in eine vielfältige Abhängigkeit zu bringen, um es dem politischen Einfluß der kommun. Staatspartei auszuliefern. Der Verwirklichung dieser Absichten diente von Anfang an das in der staatlichen Befehlswirtschaft etablierte Plansystem sowjetischer Prägung, nach dem alle aus wirtschaftspolitischen Gründen erwünschten Maßnahmen zentral dirigiert werden. Vor allem zeigte die Kollektivierung der technischen Ausrüstung in staatlichen Maschinen-Traktoren-Stationen die Absicht des Regimes an, die zahlreichen Neubauern in seine Gewalt zu bringen. Die Bauern wurden vom Monopol der MTS technisch abhängig. Zum Machtinstrument der kommun. Partei auf dem Lande wurde die als „Massenorganisation“ deklarierte Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB).
Schon bald nach einer gewissen Übergangszeit (1946 bis 1948), die etwa mit den von Lenin als „Atempause“ bezeichneten Jahren der „neuen ökonomischen Politik“ in Rußland (1921 bis 1928) vergleichbar ist, zeichnete sich eine zweite Etappe in dieser ersten — noch auf den Kleinbetrieb gerichteten — Entwicklungsphase ab. In Übereinstimmung mit dem sowjetischen Vorbild setzte der Klassenkampf auf dem Lande ein (1948/49 bzw. 1928/29). Systematisch wurde damit das Feld für den späteren Kurswechsel zur Kollektivierung weiter vorbereitet. Nächst den bereits völlig ausgeschalteten Großgrundbesitzern konzentrierte sich der neue Angriff auf die „reichen Bauern“ („Kulaken“), da der „revolutionäre Weg zum Sozialismus“ vorschreibt, die Bauernschaft nicht als einheitliche Klasse zu behandeln. Der „Klassenkampf auf dem Lande“ verlagerte sich denn auch später in der Kollektivierungsphase auf das Verhältnis [S. 237]zwischen Einzel- und Genossenschaftsbauer, und im heutigen Stadium der „Vollkollektivierung“ zeichnet er sich bereits zwischen den LPG-Typen I und III ab.
Die Kampfmethoden gegen die Bauern mit größeren Wirtschaften (in der Regel über 20 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche) waren vielfältig und zahlreich. Sie reichten von der hohen Einstufung im Tarif-, Ablieferungs- und Steuersystem einerseits und von der Benachteiligung in der Belieferung mit Betriebsmitteln aller Art und in den Erzeugerpreisen andererseits bis zur Verschärfung des Strafmaßes bei Nichterfüllung der auferlegten Verpflichtungen, bis zur gesellschaftlichen Diskriminierung und reinen Willkür. Der Klassenkampf auf dem Lande wurde vor allem von folgenden Organisationen getragen: Von den MTS, von den nach Auflösung der Raiffeisengenossenschaften reorganisierten VdgB (BHG), von den volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetrieben mit dem Handelsmonopol für landwirtschaftliche Produkte und von der Deutschen Bauernbank, die als Finanzierungsinstitut die Geld- und Kreditpolitik der L. beherrscht. In enger Verbindung damit vervollständigten das Agrarpreissystem und die Ablieferungspflicht die Möglichkeiten, die Groß- und Mittelbauern stark zu benachteiligen. Die Maßnahmen des Klassenkampfes führten zu einem ständigen Absinken der durchschnittlichen Betriebsgröße, da die Zahl der größeren Bauernbetriebe laufend zurückging.
Mit dem von Ulbricht auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 verkündeten „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ begann die zweite Phase der Wandlung der mitteldeutschen Agrarstruktur. Ihr Kernstück ist die „freiwillige“ Vorbereitung des Sozialismus auf dem Lande in Form der Gründung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG), d. h. das Zusammenfassen der Bauernhöfe in Kollektivwirtschaften. Dieser Prozeß lief mit zeitweise unterschiedlichem Tempo von Juli 1952 bis April 1960 ab. Zu seiner Begründung beruft man sich auf die marxistisch-leninistische Theorie, nach welcher „der Kleinbetrieb die erstrebenswerte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte naturnotwendig ausschließt“. Der Kleinbetrieb müsse also notwendigerweise vom Großbetrieb verdrängt werden, allerdings nicht vom „kapitalistischen“, sondern vom „sozialistischen“.
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Das jüngste Entwicklungsstadium ist von organisatorischen Bemühungen um die „wirtschaftliche Festigung der LPG“ gekennzeichnet: Vergrößerung der LPG durch Zusammenarbeit mehrerer kleinerer Einheiten; Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen LPG und MTS durch das System der komplexen Mechanisierung und die Schönebecker Methode, wobei die MTS durch die Übergabe der ➝Technik immer mehr unter die Herrschaft der LPG gestellt werden; Übernahme von Patenschaften über neuerrichtete oder wirtschaftlich schwache durch gut fundierte LPG. Schließlich werden Bemühungen erkenntlich, den Typ I auf die „höchste Stufe“ (Typ III) zu verlagern, wozu noch weitere maschinen- und bautechnische Ausrüstungen geschaffen werden sollen, worauf jedoch die Abänderungen der Statuten für den Typ I (z. B. Erweiterungen der Inventarbeiträge) schon deutlich hinweisen.
Die SED hat sich den „Aufbau des Sozialismus auf dem Lande“ und die „Steigerung der Marktproduktion“ zum Ziele gesetzt. Aber zwischen beiden Zielen besteht ein realer Widerspruch. Alle Bemühungen, beide Aufgaben zugleich zu bewältigen, um die „Überlegenheit der sozialistischen landwirtschaftlichen Großproduktion“ über die „kapitalistischen“ Produktionsformen nachzuweisen, sind eine offenbare Fehlspekulation. Das Ertragsniveau der mitteldeutschen L. erbringt dafür den untrüglichen Beweis. Der einstmals hohe Stand der L. im Gebiet der SBZ ist seit 1945 abgesunken. In der Feldwirtschaft bleiben die Ernten trotz allen „Kampfes um die Produktionsverbesserung“ hinter dem Vorkriegsstand zurück. (Agrarstatistik)
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In der Viehwirtschaft sind die durch Kriegs- und vor allem Nachkriegs-Einwirkungen besonders dezimierten Vorkriegs-Bestandszahlen zwar überschritten worden, jedoch mußten die forcierte Steigerung der Nutzviehbestände ohne entsprechende Futterflächen in der Anbauplanung, die hohen Ablieferungsquoten pflanzlicher Erzeugnisse und eine völlig unzureichende Versorgung mit Handelsfuttermitteln (staatlicher Futtermittelfonds) dazu führen, daß die tierischen Leistungen weit unter dem Normalmaß zurückbleiben. Dies geht vor allem aus dem Zurückbleiben der durchschnittlichen Schlachtgewichte bei Rindern und Kälbern, der Schlachtumtriebe bei Rindern und Schweinen und der Milchleistung je Kuh um 25 bis 30 v. H. gegenüber dem Leistungsstand der BRD hervor.
Die geschilderten Verhältnisse müssen sich auch auf die Ernährungswirtschaft der Gesamtbevölkerung auswirken. Alljährlich wiederkehrende Engpässe in der Versorgung und die nach vielen Versprechungen erst 13 Jahre nach dem Kriege aufgehobene Lebensmittelrationierung (Lebensmittelkarten) beweisen das zur Genüge. Hinzu kommt die Abhängigkeit der Versorgung von Einfuhren, vorwiegend aus den Ostblockstaaten, die ihrerseits häufig mit der Erfüllung der Lieferverträge Schwierigkeiten haben. Ausfuhrverpflichtungen und die Versorgung der Besatzungsmacht erschweren die Ernährungslage zusätzlich. Wenn auch die Nahrungsmittelversorgung durch gewisse Steigerungen in der Eigenerzeugung und durch Einfuhrerhöhungen verbessert werden konnte, so darf nicht verkannt werden, daß diese Entwicklung durch die Republikflucht begünstigt worden ist. In dem von Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED gesteckten Planziel, 1961 den Pro-Kopf-Verbrauch der westdeutschen Bevölkerung zu erreichen und zu übertreffen, verbirgt sich das Eingeständnis der eigenen Mangellage.
Im Gegensatz zu den beachtlichen Forschritten in der BRD haben die seit 1945 eingetretenen gewaltsamen Änderungen im Gefüge der L. die SBZ noch nicht einmal die Ertragshöhe der Vorkriegszeit wieder erreichen lassen. Seit nunmehr 15 Jahren hat der vielfältige Wechsel zwischen Zerstörung und Aufbau die Gesamtentwicklung der L. in der SBZ in einem solchen Maße gehemmt, daß das dortige Gesellschafts- und Wirtschaftssystem den Beweis der Überlegenheit schuldig bleiben muß.
Diese sachlichen Erörterungen agrarpolitischer und agrarwirtschaftlicher Fakten reichen zur Beurteilung der Situation nicht aus, in die sich das Bauerntum in der SBZ hineingestellt sieht. Die wirtschaftliche Not ist nicht zu trennen von der Depression des Zukunftserlebens und den vielfältigen seelischen Konflikten, die auf den Menschen in der L. der SBZ lasten.
Literaturangaben
- Krömer, Eckart: Die Sozialisierung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands als Rechtsproblem. Göttingen 1952, Otto Schwartz. 184 S.
- Gade, H.: Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der SBZ. (Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 1957, H. 3)
- Kramer, Matthias: Die Bolschewisierung der Landwirtschaft in Sowjetrußland, in den Satellitenstaaten und in der Sowjetzone (Rote Weißbücher 3). Köln 1951, Kiepenheuer und Witsch. 144 S.
- Kramer, Matthias: Die Landwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone. 1. Aufl. (unter Mitarb. v. Gerhard Heyn und Konrad Merkel). (BB) 1957. Teil I (Text) 159 S., Teil II (Anlagen) 224 S.
- Merkel, Konrad, und Eduard Schuhans: Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland — „Sozialisierung“ und Produktionsergebnisse. (BB) 1960. 191 S. mit 53 Tab. (Führt M. Kramers Schrift fort.)
- *: Die Zwangskollektivierung des selbständigen Bauernstandes in Mitteldeutschland, Denkschrift. (BMG) 1960. 142 S. m. zahlr. Faks.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 236–239
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