Produktionsgenossenschaften, Landwirtschaftliche (LPG) (1960)
Siehe auch:
Eine in Deutschland neuartige Organisationsform genossenschaftlich-sowjetischer Prägung für den Zusammenschluß bis dahin individuell wirtschaftender Bauern, Landarbeiter und auch sonstiger Berufszugehöriger zu einem kollektiven landwirtschaftlichen Betrieb [S. 321]zwecks gemeinsamer Bewirtschaftung und Nutzung der eingebrachten und der vom Staat bereitgestellten Bodenflächen und Produktionsmittel („sozialistischer landwirtschaftlicher Großbetrieb“).
Die organisatorischen und rechtlichen Verhältnisse in den LPG sind durch Ende 1952 und in neuer Fassung vom 9. 4. 1959 vom Ministerrat bestätigte Musterstatuten geregelt, die durch ein „Gesetz über die LPG“ vom 3. 6. 1959 wesentlich ergänzt und verbindlich gemacht worden sind. Sie reglementieren die Verwaltung und das gesamte Wirtschaftsgeschehen der LPG, so daß das Mitspracherecht der Mitglieder entscheidend unterbunden ist. Dadurch unterscheiden sich die LPG grundlegend von den Genossenschaften westlicher Art, die auf den drei Prinzipien der Selbstbestimmung, Selbstverwaltung und Selbsthilfe beruhen. Um — wie Ulbricht sagt — „den Bauern, die noch schwanken, den Weg in die LPG leicht zu machen“, wird in der SBZ das „Prinzip des stufenweisen Übergangs zur sozialistischen genossenschaftlichen Großproduktion“ praktiziert.
Es gibt drei verschiedene Typen von LPG, denen gemeinsam ist, daß sie nach „sozialistischen Grundsätzen organisiert und geleitet“ werden. Unterschiede bestehen nur im Grad der Vergesellschaftung der Bodenflächen und Produktionsmittel und in der Verteilung der Einkünfte. Die Vergesellschaftung bezieht sich entweder nur auf die gemeinsame Bewirtschaftung des von den Mitgliedern eingebrachten Ackerlandes und teilweise auch des Grünlandes (Typ I) oder zuzüglich auf die zur Feldwirtschaft erforderlichen Zugkräfte, Maschinen und Geräte (Typ II) oder auch auf alle übrigen land- und forstwirtschaftlichen Flächen sowie auf das Zucht- und Nutzvieh (Typ III). Im Typ III sind damit wie im Kolchos alle Zweige der landwirtschaftlichen Produktion vergesellschaftet. Die Genossenschaftsbauern behalten zur persönlichen Nutzung eine „individuelle Wirtschaft“, die in den drei Typen verschieden groß ist. Beim Typ I handelt es sich um 0,5 ha Ackerland und um die gesamte übrige Wirtschaft, bei Typ II können neben 0,5 ha Ackerfläche, Gärten, Wiesen, Weiden und Wälder, das gesamte Zucht- und Nutzvieh, vom Zugvieh 1 Pferd, 1 Ochse sowie das zur Bearbeitung des verbleibenden Landes nötige Inventar in individueller Nutzung bleiben. Im Typ III umfaßt die individuelle Wirtschaft nur noch die persönliche ➝Hauswirtschaft, über die Arbeitsorganisation Brigaden der LPG. Nach Erfüllung der Ablieferungspflicht, Durchführung der vorgesehenen Verkäufe freier Spitzen, Abgeltung aller sonstigen Verrichtungen und der Bildung der Natural- und Geldfonds verbleibende Natural- und Geldeinkünfte werden nach den von jedem Mitglied erzielten Arbeitseinheiten und zum geringeren Teil nach der eingebrachten Bodenfläche in den einzelnen Typen wie folgt verteilt:
Die Bildung von LPG wurde eingeleitet durch die Verlautbarung Ulbrichts über den Aufbau des Sozialismus anläßlich der II. Parteikonferenz der SED vom 9. bis 12. 7. 1952. Der Werbung für den „freiwilligen“ Zusammenschluß in LPG lag das simple Prinzip zugrunde: Benachteiligung der Einzelbauern — Begünstigung der LPG. Durch mehrere Ministerratsbeschlüsse wurden als Begünstigungen für die LPG u. a. festgelegt: Bevorzugte Bedienung durch die MTS beim billigsten Tarif, bevorzugte Kreditgewährung, Steuerermäßigungen, Senkung des Ablieferungssolls, vorrangige Versorgung mit mineralischen ➝Düngemitteln, Futtermitteln, Saatgut, Zuchtvieh und Geräten sowie Befreiung von Schulden, die aus der Übernahme von Land im Zuge der Bodenreform herrührten. Alle Agrarinstitutionen in der SBZ wurden aufgerufen, an der Forcierung der LPG mitzuwirken.
Durch die offizielle politische und staatsbürokratische Förderung der LPG wurden alle außerhalb stehenden Privatbetriebe so benachteiligt, daß auf sie ein zunächst indirekter, aber nachhaltiger Druck zur Aufgabe der Individualbewirtschaftung ausgeübt wurde. Die Zwangskollektivierung ist nicht kontinuierlich verlaufen. Stagnationen zeigten sich im Jahre 1953 und dann besonders 1956 und 1957: Die Auswirkungen des Juni-Aufstandes, der Unruhen in Polen und des Aufstandes in Ungarn treten deutlich hervor. Der Anstieg in den Jahren 1954 und 1955 ist fast ausschließlich eine Folge der Umwandlung von örtlichen Landwirtschaftsbetrieben. Ende 1959 bestanden 10.465 LPG mit 448.239 Mitgliedern, die eine landwirtschaftliche Nutzfläche von rd. 2,9 Mill. ha bewirtschafteten (45,1 v. H. der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der SBZ). Anfang 1960 setzte eine systematische Kampagne der SED ein, dazu be[S. 322]stimmt, den Widerstand der letzten Bauern zu brechen. SED- und FDGB-Funktionäre, Aktivisten, Organe der Polizei, der Staatsanwaltschaften, des SSD überschwemmten die Dörfer, Verhaftungen, Selbstmorde, Nervenzusammenbrüche, Fluchtversuche häuften sich, und mit dem Beitritt zur LPG wurde oft auch noch die Erklärung erpreßt, daß er „freiwillig“ erfolgt sei. In den ersten 3⅓ Monaten des Jahres 1960 ist ein annähernd gleich großer Nutzflächenanteil kollektiviert worden wie in den Jahren von 1952 bis 1959. Am 14. April 1960 meldete der letzte Bezirk die „Vollsozialisierung“. Die tatsächlichen Ergebnisse dieser Terroraktion und ihrer Folgen werden vermutlich erst nach Jahren zu übersehen sein.
Wenn bei der Argumentation für die Zwangskollektivierung die Forderung nach Steigerung der Marktproduktion mit dem Ziel, die BRD auf agrarischem Gebiet bis 1965 einzuholen und zu überholen, im Vordergrund steht, so stellt sich zugleich die Frage nach dem wirtschaftlichen Wert der LPG. Alle Erfahrungen aus den vergangenen Jahren sprechen dafür, daß die LPG aus ihrer Konstruktion heraus trotz der vielfältigen wirtschaftlichen Begünstigungen gegenüber den selbständigen Bauernbetrieben in der Erfolgsrechnung unterliegen. Es ist festzustellen, daß auf dem historisch übernommenen hohen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsstand in Mitteldeutschland die Unterdrückung der bäuerlichen Selbständigkeit und der freien Unternehmerinitiative ein Gedeihen der Landwirtschaft verhindern muß. Den Beweis dafür erbringt das Ertragsniveau der bis zum Frühjahr 1960 teilsozialisierten Landwirtschaft.
Auf die LPG-Hochschule Meißen können Mitglieder oder Funktionäre der LPG durch die Mitgliederversammlung zu 2jährigem, gebührenfreiem Studium delegiert werden. Es endet mit dem Staatsexamen als „Diplom-Agronom“. (Produktionsgenossenschaften werktätiger Fischer)
Literaturangaben
- Gade, H.: Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der SBZ. (Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 1957, H. 3)
- Kramer, Matthias: Die Bolschewisierung der Landwirtschaft in Sowjetrußland, in den Satellitenstaaten und in der Sowjetzone (Rote Weißbücher 3). Köln 1951, Kiepenheuer und Witsch. 144 S.
- Merkel, Konrad, und Eduard Schuhans: Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland — „Sozialisierung“ und Produktionsergebnisse. (BB) 1960. 191 S. mit 53 Tab. (Führt M. Kramers Schrift fort.)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 320–322
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