Propaganda (1960)
Siehe auch:
Der Kommunismus versteht unter P. abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch eine auf die „Aneignung und Verbreitung der Grundsätze und Lehren des Marxismus-Leninismus“ gerichtete Tätigkeit, die sich „zum Unterschied von der Agitation in erster Linie an die Mitglieder der Partei und die Mitglieder der Massenorganisationen wendet“ („Einheit“, Ost-Berlin, 1951, S. 670). Nach herkömmlicher Auffassung hingegen wird unter politischer P. eine Form der Aufklärung begriffen, die nicht so sehr den Verstand als die emotionalen Kräfte im Menschen anspricht und sich dazu weniger des überzeugenden Wortes in Rede und Schrift als vielmehr der massiveren und viel[S. 326]fach gleichzeitigen Wirkung von Bild und Ton bedient. Die Wirkung der P. ist unter rechtsstaatlichen Verhältnissen dadurch begrenzt, daß mißbräuchliche Anwendung ihrer Mittel leicht zurückschlägt, also der Absicht des Propagandisten entgegenwirkt, sei es, daß er durch allzu plumpe Methoden das Mißtrauen der Angesprochenen erregt, sei es, daß er durch Verstöße gegen die Wahrheit den Gegner auf den Plan ruft, der unter Umständen sogar Rechtsmittel gegen ihn in Anspruch nehmen kann.
Im totalitären Staatswesen (wie im Dritten Reich oder in der SU und ihren Satellitenstaaten einschließlich der „DDR“) fehlt es der politischen P. an einer derartigen Kontrolle; infolgedessen beherrscht sie dort die staatsbürgerliche Aufklärung und das gesamte öffentliche Leben derart uneingeschränkt, daß schließlich die Bevölkerung jede amtliche Äußerung als P. und damit als Schwindel ansieht. Während in der Bundesrepublik die kritische Einstellung der denkenden Staatsbürger die Formen der staatsbürgerlichen Aufklärung weitgehend bestimmt, stellen die P.-Methoden der SBZ eher noch eine Vergröberung des nationalsozialistischen P.-Stils dar. Unter dem Einfluß und nach dem Muster der SU steuern Partei und Staat eine P.-Maschinerie, die sich nicht nur der traditionellen Formen der Volksrede, der Plakate und Transparente (im Pj. Sichtwerbung) dient, sondern die vom Regime gegängelte Presse, den Staatsrundfunk, den Film, das Theater, das Kabarett mit Beschlag belegt (auch Agitprop-Gruppen), vor allem aber die Staatsbürger zu persönlicher Mitwirkung in den Aufklärungslokalen und in den von der Partei diktierten Briefaktionen beansprucht.
Obschon diese Häufung der Mittel die propagierten Lehren bei den Opfern der P. nicht glaubwürdiger macht, darf man den einschüchternden Eindruck der Massierung nicht unterschätzen, dem vor allem die Jugend und leicht beeinflußbare Menschen ausgeliefert sind; er wird nur teilweise durch die Offensichtlichkeit von Schwindelparolen neutralisiert; dagegen hat sich gezeigt, daß die Bevölkerung der SBZ allzu kühnen ideologischen Schwenkungen der P. (wie z. B. im Sommer 1952 von der Friedenspropaganda zur nationalistischen Verherrlichung des „Verteidigungs“-Krieges, im Frühjahr 1953 vom Aufbau des Sozialismus zum Neuen Kurs im Mai 1960 von der ideologischen Vorbereitung der Gipfelkonferenz zu ihrer Sprengung durch Chruschtschow) Widerstand entgegensetzt und damit die Grenzen der P. überhaupt sichtbar zu machen vermag. Die Ausstrahlungen der sowjetzonalen P. in die Bundesrepublik sind nur insoweit ernst zu nehmen, als sie mit falschen Friedens- und Wiedervereinigungsparolen arbeitet; sie können aber mit Aussicht auf Erfolg nicht durch ähnliche Mittel, sondern nur durch eine möglichst breite, durch Tatsachen belegte und gemeinverständliche Aufklärung über die wahren Tendenzen der bolschewistischen Machtpolitik und die Verhältnisse in ihrem Herrschaftsbereich unschädlich gemacht werden. (Parteipresse, Pressewesen)
Literaturangaben
- Kalninsk, Bruno: Der Sowjetische Propagandastaat — das System und die Mittel der Massenbeeinflussung in der Sowjetunion. Stockholm 1956, Tiden. 278 S.
- Richert, Ernst (zus. m. Carola Stern und Peter Dietrich): Agitation und Propaganda — das System der publizistischen Massenführung in der Sowjetzone (Schr. d. Inst. f. pol. Wissenschaft, Berlin, Bd. 10). Berlin 1958, Franz Vahlen. 320 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 325–326