DDR von A-Z, Band 1960

Schauprozesse (1960)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Sch., früher offiziell „Prozesse vor erweiterter Öffentlichkeit“ genannt, sind ein beliebtes Mittel der bolschewistischen Justiz, um abschreckende Wirkung auf die Bevölkerung auszuüben (Generalprävention). „Die Verhandlungen der Gerichte vor breitester Öffentlichkeit … können als Mittel zur Stärkung des allgemeinen demokratischen Rechtsbewußtseins und der Einsicht in die Notwendigkeit, die demokratischen Gesetze zu achten, sowie als wirksame Waffe im Kampf um die Festigung unserer demokratischen Ordnung nicht hoch genug eingeschätzt werden“ (Max Fechner in: „Neue Justiz“, 1949, S. 203). Aus der großen Zahl der mit dieser Zielsetzung in den Jahren 1949 bis 1953 durchgeführten Sch. seien als Beispiele erwähnt: Der „Conti-Prozeß“ gegen Herwegen, Brundert u. a. in Dessau im April 1950, der Prozeß gegen Hermann-Josef ➝Flade in Olbernhau am 10. 1. 1951, der Prozeß gegen den Staatsanwalt Formann in Bautzen am 1. 9. 1951.

 

Später wurde die Taktik in der Organisierung der Sch. verändert. An Stelle einer möglichst großen Zuhörerschaft wurden bestimmte Personengruppen zu einem Prozeß besonders eingeladen. Der Zutritt zu diesen Sch. ist meist nur gegen Eintrittskarten möglich (Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen). Gericht und Verhandlungsraum sind durch die Volkspolizei abgesperrt. Der Verlauf eines Sch. ist meistens vorher genau abgesprochen. Oft konnte beobachtet werden, daß sich die Angeklagten in ihren Aussagen an vor der Hauptverhandlung niedergeschriebene Protokolle hielten. Von für die „Bewußtseinsbildung“ und Erziehung der Bevölkerung besonders geeignet erscheinenden Szenen werden Rundfunk- und Fernsehübertragungen gesendet und [S. 359]Wochenschau-Berichte hergestellt. In der letzten Zeit wurden die vier Prozesse gegen 24 Studenten der Universität Jena vor dem BG Gera im September/Oktober 1958 (Gesamtstrafen: 110 Jahre Zuchthaus), der Prozeß gegen 5 Studenten der TU Dresden vor dem BG Dresden im April 1959 (Gesamtstrafen: 37½ Jahre Zuchthaus) und der Prozeß gegen den ehemaligen Grenzpolizei-Oblt. Smolka vor dem BG Erfurt (Todesstrafe) besonders bekannt. (Rechtswesen)

 

Literaturangaben

  • Unrecht als System — Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet. (BMG) 1952. 239 S.
  • Unrecht als System, Bd. II — Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet 1952 bis 1954. (BMG) 1955. 293 S. Eine englische, eine französische und eine spanische Ausgabe bringen die in Bd. I zusammengestellten Dokumente.
  • Unrecht als System, Bd. III — Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet 1954 bis 1958. (BMG) 1958. 284 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 358–359


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.