Wissenschaft (1960)
Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Der Bolschewismus behauptet, daß der Marxismus-Leninismus die höchste Stufe wissenschaftlicher Erkenntnis sei. An diesem philosophischen Gerüst haben sich daher alle Fachdisziplinen zu orientieren. Die marxistisch-leninistische Wissenschaft ist ein wichtiges Herrschaftsmittel des kommun.-totalitären Staates. Kontrolliert von den politischen Machthabern, dient die W. der Rechtfertigung der totalitären Ordnung, der Mobilisierung und „Anleitung“ der Machtunterworfenen und der Bekämpfung des „Klassenfeindes“. Die theoretische Grundlage der kommun. W. ist der Dialektische und Historische Materialismus (Stalinismus). Die dialektische Methode gilt als die Universalmethode für alle Fach-W. Verpflichtet auf das Prinzip der Parteilichkeit des Denkens, sind die Wissenschaftler gezwungen, die kommun. Machtordnung und ihre Ideologie bedingungslos zu bejahen. Jede Abweichung von diesem Prinzip unter Berufung auf die Objektivität der W. wird als bürgerlicher Objektivismus bekämpft. Das ebenfalls verbindliche Prinzip der Einheit von Theorie und Praxis zielt auf den bewußten Einsatz der W. für die Erhaltung des kommun.-totalitären Staates und für die Stärkung seiner wirtschaftlichen Produktionskraft (Koexistenz, Wirtschaftssystem).
Die marxistisch-leninistische W. unterscheidet zwischen Natur- und Gesellschafts-W. Während die [S. 462]bolschewistischen Natur-W. den Zusammenhang mit der internationalen Forschung zu wahren versuchen, haben sich die bolschewistischen Gesellschaftswissenschaften weitgehend von ihr getrennt.
Die Institutionen des kommun.-totalitären W.-Betriebes sollen die Verwandlung der W. in ein Werkzeug der kommun. Herrschaft sicherstellen. Träger der Kontrolle der W. sind in der SBZ in erster Linie die Organisationen der SED vom Politbüro bis zu den SED-Betriebsgruppen an Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstituten. Die Kompetenz, grundlegende Leitsätze und Theorien zu ändern, besitzen in letzter Instanz nicht die Gelehrten, sondern die führenden Gremien der SED.
Um der Macht- und Wirtschaftspolitik dienstbar zu sein, wird die W., besonders die Forschung, genauso wie die ökonomische Produktion, einer umfassenden Planung unterworfen. Besonders seit Anfang 1958 — SED-Hochschulkonferenz — sucht man die Bolschewisierung von W. und Hochschule zu beschleunigen. Die wesentlichen Träger der Planung sind in der SBZ das ZK, die Staatliche Plankommission, das Staatssekretariat für Hochschulwesen, der Zentralrat für Forschung und Technik bei der Staatlichen ➝Plankommission, die Deutsche ➝Akademie der Wissenschaften und der Deutsche ➝Forschungsrat.
Literaturangaben
- Lange, Max Gustav: Wissenschaft im totalitären Staat. Die Wissenschaft der sowjetischen Besatzungszone auf dem Weg zum „Stalinismus“, m. Vorw. v. Otto Stammer (Schr. d. Inst. f. pol. Wissenschaft, Berlin, Bd. 5). Stuttgart 1955, Ring-Verlag. 295 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Sechste, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1960: S. 461–462
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