
Nationale Volksarmee (NVA) (1962)
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Bezeichnung für die aus der früheren Kasernierten Volkspolizei hervorgegangene Armee (Militärpolitik). Am 18. 1. 1956 wurde in der Volkskammer das „Gesetz über die Schaffung der NVA und des Ministeriums für Nationale Verteidigung“ verabschiedet: Die Armee sei „für die Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit und die Sicherheit der DDR“ notwendig. Sie besteht aus Land-, Luft- und Seestreitkräften. „Die zahlenmäßige Stärke wird begrenzt entsprechend den Aufgaben zum Schutze des Territoriums der DDR, der Verteidigung ihrer Grenzen und der Luftverteidigung.“
Zu dem gleichzeitigen Gesetz über die Uniform der NVA betonte Generaloberst Willi ➝Stoph die Ausstattung der NVA „mit einer Uniform, die im Farbton, Schnitt und in der Trageweise der nationalen Tradition des deutschen Volkes entspricht“. Er versuchte, der Wiedereinführung der alten feldgrauen Wehrmachtsuniform einen zugleich kommun. und nationalrevolutionären Sinn zu unterschieben: Es kämpften „in diesen Uniformen, mit roten Abzeichen aber, … Arbeiter und Bauern gegen die … Reichswehr. In diesen Uniformen traten … Offiziere und Soldaten im Nationalkomitee Freies Deutschland gegen die hitlerfaschistische Armee auf“.
Für den Ausbau der NVA sieht der Haushaltsplan 1960 eine Mrd. DM Ost vor; tatsächlich liegen die Kosten der Remilitarisierung der SBZ aber höher: von 1948–1955 sind — ohne daß sie im Staatshaushalt erschienen — mehr als 30 Mrd. DM Ost ausgegeben worden. Seit 1957 wurde eine Flak-Div. aufgestellt und die Luftwaffe verbessert. Auch ist die Aufstellung neuer Schiffsverbände zu erwähnen.
Das Ministerium für Nationale Verteidigung in Strausberg (ostwärts Berlin) ist oberste Kommandobehörde. Auf dem Papier blieb lange die Propaganda-Ankündigung des Ministerrates der „DDR“ vom 28. 6. 1956, die NVA würde von 120.000 auf 90.000 vermindert.
[S. 305]Dies wurde allmählich doch verwirklicht, weil der Arbeitskräftemangel es unmöglich machte, die Stärke von 110.000 Mann dauernd aufrechtzuerhalten. Zum Ausgleich hat die NVA ihre Feuerkraft durch bessere Ausstattung verstärken können. Die Ausbildung für eine Abwehr von Atomwaffen wird seit 1955 betrieben; die Divisionen haben je eine Atomschutz-Kompanie, bezeichnet als „Chem. Komp.“ (Eine Ausbildung an Atomgeschützen und Raketenwerfern, wie sie die Sowjetarmee besitzt, ist nicht sicher belegt, aber wahrscheinlich.) Seit 1956 lassen SED und NVA Zirkel und Aktivs der Reservisten, d. h. der seit 1946 in den bewaffneten Organen Ausgebildeten, bilden, die seit 1958 meist als Reservistenkollektive bezeichnet werden; Sie sollen sich als Ausbilder in der GST und in den Kampfgruppen betätigen. Seit Ende 1957 werden diese Reservisten von den Kreiskommandos (Wehrmeldeämtern) listenmäßig erfaßt. Sie sollen regelmäßig zu Übungen einberufen werden und bei der Werbung für die NVA mitwirken (Wehrpflicht). Die Dienstzeit beträgt zwei Jahre. — Die Ausbildung zum Reserveoffizier erfolgt bei der Truppe. Auch werden in großer Zahl Studenten zu Reserveoffizieren ausgebildet, die schon eine vormilitärische Ausbildung hinter sich haben (militärische ➝Studentenausbildung).
Das Heer gliedert sich in Armeekorps Nord (amtlich: Militärbezirk V) und Süd (Militärbezirk III). Die Militärbezirke I, II, IV (Rostock, Magdeburg, Frankfurt/Oder) bestehen nur verwaltungsmäßig. Zu Nord (Sitz Neubrandenburg) gehören die 1. (teilmechanisierte) mot. Schützen-Div. (Potsdam), 8. (teilmechanisierte) mot. Schützen-Div. (Schwerin), 9. Panzer-Div. (Eggesin, südlich Ueckermünde); dazu Korpstruppen. — Zu Süd (Sitz Leipzig) gehören: 4. (teilmechanisierte) mot. Schützen-Div. (Erfurt), 11. (teilmechanisierte) mot. Schützen-Div. (Halle), 7. Panzer-Div. (Dresden); dazu Korpstruppen. — Dem Ministerium unterstehen direkt: das in Strausberg liegende Wachregiment und 5 Regimenter Heerestruppen. (Die mot. Schützen-Div. können nur als „teilmechanisiert“ bezeichnet werden, da nur ein Teil ihrer Verbände „mechanisiert“, d. h. mit Kettenfahrzeugen versehen ist.) — Die Inf.-Div. werden, wie Nachrichten besagen, atomar umgegliedert. Die Schützenkomp. werden etwas verkleinert. Die vormals heeresunmittelbare 1. mot. Schützen-Div. gehört zum Armeekorps Nord. Die 6. mot. Schützen-Div. wurde aufgelöst. Dafür gibt es drei Ausbildungs-Regimenter.
Die Bewaffnung mit modernen Kanonen und Haubitzen (bis zu 15,2 cm), Flak (bis zu 10 cm) und Granatwerfern (bis zu 12 cm) wurde verstärkt. Geschützzahl: rund 900, ferner rund 400 Pak, Granatwerferzahl: rund 700. — Moderne schwere und mittelschwere sowjet. Panzer, Sturmgeschütze auf Selbstfahrlafette, Panzerspähwagen und Schützenpanzerwagen, dazu Schwimmpanzer, werden mehr und mehr geliefert. Zahl der Panzer: rund 1800; der Sturmgeschütze: rund 300; der Schwimm- und Panzerwagen: rund 1.200.
Dem Ministerium unterstehen die Offiziersschulen für Infanterie (Plauen/Vogtland), Artillerie (Dresden), Panzer (Großenhain/Bez. Dresden), Nachrichten (Döbeln), Pioniere und Chem. Dienste (Dessau), Panzer- und Artillerietechnik (Erfurt), Kraftfahrzeugtechnik (Stahnsdorf, südl. Berlin). Auch unterstehen ihm die Kriegsakademie „Friedrich Engels“ (Dresden), die Kadettenanstalt (Naumburg), die Militärärzte-Akademie (Greifswald) und die Polit-Offiziersschule (Berlin-Treptow). — Ferner werden Offiziere und Stabsoffiziere zu Lehrgängen an den Kriegsschulen der SU in Moskau, Kiew und Leningrad abgestellt.
Die Verwaltung (= Kommando) der Luftstreitkräfte und Luftverteidigung sitzt in Eggersdorf bei Strausberg. Chef: Generalleutnant Keßler. Ihr unterstehen die 1. Flieger-Div. (Cottbus), 2. Flieger-Div. (Drewitz, Bez. Cottbus), Flieger-Ausbildungs-Div. (Bautzen), dazu die als technische Basen bezeichneten Flugplätze mit Flugplatz-Bataillonen. Die Luftwaffe hat 4 eigene Lehranstalten. — Sie hat etwa 200 Flugzeuge YAK 18 und YAK 11 und rund 180 MIG-Düsenjäger. — Die Luftverteidigung verfügt über die 1. Flak-Div. (Sitz Frankenberg/Bez. Chemnitz), 2 Radar-Btl., 1 Radar-Schule und 1 Flak-Offiziers-Schule (Geltow b. Potsdam). Die Verwaltung (= Kommando) der Volksmarine, die seit 3. 11. 1960 so heißt, ist in Rostock. Chef seit Juni 1960: Konteradmiral Willi Ehm. Ihr unterstehen 7 Flottillen: 3 Zerstörer- u. Schnellboot-, 2 Minenlege- und Räumboot-, 1 U-Boot- und 1 U-Jäger Flottillen. Ferner sind ihr unterstellt: 1 Bergungs- und Rettungskommando, 1 Schiffsstammabt., 1 Pioniereinheit und einige Spezialeinheiten, 1 Abt. Baubelehrung, 1 Flottenschule, 1 Marineoffiziersschule. Sie verfügt über etwa 180 Fahrzeuge, die z. T. nur küstendienstfähig sind: 4 Zerstörer, 5 Küstenschutzschiffe, 7 U-Boote, 22 Minenlege- und Räumboote, 49 Räumpinassen, 6 Räumboote, 11 U-Jäger, 14 Schnellboote, 40 Küstenschutzboote, 1 Schul- und [S. 306]Flakschiff, 7 Begleitschiffe, rund 12 Hilfs- und Schulfahrzeuge.
Das Kommando Grenze (a. h. der Stab der seit 15. 9. 1961 der NVA eingegliederten vormaligen Deutschen Grenzpolizei) sitzt in Pätz bei Königs Wusterhausen. Chef: Oberst Erich Peter. - über eine Neuorganisation dieses Teiles der NVA ist noch nichts bekannt.
Die Machthaber der SBZ vermeiden es grundsätzlich, die Stärke ihrer bewaffneten Kräfte anzugeben. Naturgemäß ist es schwierig, Nachrichten über die Rüstung der SBZ zu beschaffen und richtig einzuschätzen. Nach zuverlässigen Berichten war die NVA im Herbst 1961 mindestens 190.000 Mann stark: davon Luftwaffe 18.000 und Seestreitkräfte 17.000, unter Kommando Grenze: 48.000. Die Zunahme beruht darauf, daß von Aug. bis Okt. 1961 das Aufgebot der „FDJ-Regimenter“ mindestens 50.000 Rekruten für die NVA ergab. Dies übertraf sehr stark die üblichen zusätzlichen Lehrgänge für Reserveoffiziere und Reservisten. Zahl der Reservisten: etwa 240.000 (einschließlich derer, die bei der ehem. KVP oder den Polizeitruppen gedient haben.) „Deutscher Militärverlag“, der Verlag des Verteidigungsministeriums, gibt die Wochenzeitung „Die Volksarmee“ und die „Armeerundschau“ heraus, ferner Militärliteratur, Erzählungen und Jugendschriften. Er veröffentlicht viele Übers. a. d. Russ.
Dienstgrade der NVA: Soldat (= Matrose), Gefreiter (= Obermatrose), Stabsgefreiter (= Maat), Unteroffizier (= Obermaat), Feldwebel (= Meister), Oberfeldwebel (= Obermeister); Offiziersränge: entsprechend der Bundeswehr, außer Unterleutnant; Generalmajor (= Konteradmiral), Generalleutnant (= Vizeadmiral), Generaloberst (= Admiral), Armeegeneral.
Literaturangaben
- Bohn, Helmut: Die patriotische Karte in der sowjetischen Deutschland-Politik. (Aus: „Ostprobleme“ 1955, H. 38, 40, 42) Bad Godesberg. 32 S.
- Boutard, R. J.: L'Armée en Allemagne Orientale … Paris 1955, Nouvelles Éditions Latines. 208 S.
- Kopp, Fritz: Chronik der Wiederbewaffnung in Deutschland, Rüstung der Sowjetzone — Abwehr des Westens (Daten über Polizei und Bewaffnung 1945 bis 1958). Köln 1958, Markus-Verlag. 160 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 304–306
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