DDR von A-Z, Band 1962

Boykott-, Kriegs- und Mordhetze (1962)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

[S. 80]Begriffe des Pj. aus Art. 6 Abs. 2 der Verfassung: „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.“ Obwohl dieser Verfassungsartikel keinen Strafrahmen enthält, ist er vom Obersten Gericht zum unmittelbar anwendbaren Strafgesetz erklärt worden: Die in dem Artikel „selbst nicht enthaltenen Strafbestimmungen sind … dem allgemeinen Strafgesetzbuch zu entnehmen. Dieses droht für Verbrechen als Strafe an: Todesstrafe, lebenslängliche Zuchthausstrafe und zeitliche Zuchthausstrafe. Alle diese Strafen finden für Verstöße gegen den Artikel 6 der Verfassung je nach Schwere der Tat Anwendung.“ (Urteil des Obersten Gerichts gegen leitende Persönlichkeiten der Sekte Zeugen Jehovas vom 4. 10. 1950. „Neue Justiz“ 1950, 5. 452 ff.) Mit dieser Begründung wurden aus Artikel 6 ständig schwerste Strafen bis zur Todesstrafe verhängt. Die Grenze zwischen Vorbereitungshandlung, Versuch und Vollendung wurde immer mehr aufgehoben; Unterlassungen wurden dem aktiven Handeln gleichgesetzt. Nach üblicher Gesetzesauslegung stellte z. B. das Verbringen einiger Exemplare einer West-Berliner Zeitung in die SBZ „Kriegs- und Mordhetze“ dar, weil diese Tageszeitung „in jeder ihrer Ausgaben zum Kriege und zum Mord an demokratischen Politikern hetzt“ (Urteil des Landgerichts Potsdam gegen den 17jährigen Graef: 2 Jahre Zuchthaus). Auf Grund des Artikels 6 der Verfassung wurden auch die als Spionage bezeichneten Handlungen bestraft. Um die weite Fassung des Art. 6 aufzulösen und in einzelne Tatbestände zu konkretisieren, wurde von der Volkskammer am 11. 12. 1957 das Strafrechtsergänzungsgesetz erlassen, das nunmehr die Tatbestände für die Staatsverbrechen formuliert.

 

Trotzdem soll aber Art. 6 der Verfassung seinen Charakter als unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz nicht etwa verloren haben („Neue Justiz“ 1958. S. 80 u. S. 83). Der Art. 6 bleibt also als allumfassende Generalklausel hinter den neu geschaffenen Tatbeständen bestehen. (Rechtswesen)

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 80


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.