DDR von A-Z, Band 1962

Genossenschaften (1962)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

G. im traditionellen Sinne sind Vereinigungen zur Förderung des Erwerbs und der (individuellen!) Wirtschaft ihrer Mitglieder auf freiwilliger Grundlage. Diese G. — auch die Produktions-G. (PG) — lehnte Marx als Strukturelement grundsätzlich ab. Dagegen formulierte Lenin in den zwanziger Jahren sein „Genossenschaftsprogramm“, und dieses ist für die SBZ seit 1945 gültig: die selbständig Wirtschaftenden sollen über die Vergenossenschaftung der Handels- und Kreditfunktionen („einfache“ G.) zur Vergenossenschaftung der Produktion (PG = „höhere“ G.) geführt werden.

 

Da diese Lehre den nach dem Zusammenbruch in der SBZ bestehenden G. — nahezu ausschließlich Handels- und Kredit-G. — eine besondere Bedeutung gab, wurde ihnen die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit gestattet. Der Nutzen der G. für das System lag zunächst darin, daß sie einige Kreditfunktionen der geschlossenen Banken und besonders der Handelsfunktionen des liquidierten privaten Großhandels bis zum Aufbau eines leistungsfähigen staatlichen Handels- und Kreditapparates übernehmen konnten. In dieser Periode nahmen die G. z. T. Monopolstellung ein (z. B. wurden Düngemittel an bäuerliche Betriebe nur über G. zugeteilt). Im Rahmen der 1948 beginnenden Wirtschafts-Planung hatten die G. dann organisatorische Aufgaben zu übernehmen. (Aufschlüsselung der Pläne, statistische Berichterstattung, Versorgung der Betriebe mit Produktionsmitteln usw.) Gleichzeitig begann aber die Beseitigung der genossenschaftlichen Demokratie: systemfreundliche Funktionäre übernahmen zentrale Positionen innerhalb der G. [S. 149]Die G. verloren ihre wirtschaftliche Selbständigkeit und hörten auf, G. im traditionellen Sinne zu sein. Zwar behielten sie ihre wirtschaftlichen Funktionen, doch trat nun ihr gesellschaftspolitischer Nutzen für das System in den Vordergrund, über die G. erfolgte der Angriff der SED auf die Selbständigen. Mehr und mehr war es seit 1948/50 Aufgabe der G., ihren Mitgliedern gegenüber die Politik der Partei zu vertreten und durchzusetzen, z. B. seit Beginn der Kollektivierung (1952) zum Eintritt in PG aufzufordern. In dem Maße, wie die Bildung von PG fortschritt, wurden traditionelle G. überflüssig; ihre Einrichtungen wurden, in der Regel unter Ausschluß der Liquidation der G., von den neu gebildeten PG übernommen.

 

Nach 1945 wurden in diesem Sinne vor allem die Raiffeisen-G. (ländliche ➝G.) und die Einkauf- und Liefer-G. des Handwerks eingespannt und umgewandelt.

 

Während die Existenz der Handels- und Kredit-G. mit der Vollendung des „Aufbaus des Sozialismus“ endet, sind die PG ein Endziel dieser Entwicklungsperiode. Ihrer formalen Struktur nach sind sie mit den traditionellen Produktiv-G. identisch. Zweck der PG im „Sozialismus“ ist aber die Beseitigung der Selbständigkeit der Mitglieder. Die Methode ist der Entzug der individuellen Verfügungsgewalt über die in Privateigentum stehenden materiellen Produktionsfaktoren (Boden, Kapital) durch Einbringen in die G. (genossenschaftlich-sozialistisches Eigentum) und die Übertragung der Unternehmerfunktion auf das Kollektiv. Daß in den landwirtschaftlichen PG aller kommun. Länder mit Ausnahme der SU der in die PG eingebrachte Boden rechtlich Privateigentum geblieben ist hat nur formale Bedeutung (es soll — nach Lenin — dem „Besitzinstinkt“ der „kleinen Warenproduzenten“ Rechnung tragen); der totale Entzug der Verfügungsgewalt und die praktische Unmöglichkeit des Austritts aus der PG bedeuten de facto Enteignung.

 

Die PG haben also die Aufgabe, den Selbständigen in wirtschaftliche, politische und schließlich persönliche Abhängigkeit vom ommun. (Wirtschafts-) System zu bringen. G. im Kommunismus dienen also nicht der Förderung, sondern der Liquidation der Wirtschaft ihrer Mitglieder. Wirtschaftliche Anreize (z. B. Steuervergünstigungen, bevorzugte Belieferung mit Produktionsmitteln, hohe Preise für die Produkte, billige Kredite) sollen zum Eintritt in PG verleiten. Auch politische und psychologische Druckmittel werden angewandt.

 

Im einzelnen bestehen in der SBZ: LPG, PG des Handwerks, PG werktätiger Fischer, Gärtner-PG (Gartenbau). Es gibt auch bereits PG der Künstler und Kollegien der Rechtsanwälte (Rechtsanwaltschaft).

 

Eine Sonderstellung nehmen die Konsum-G. ein. (Handel)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 148–149


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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