DDR von A-Z, Band 1962

Häftlinge, Politische (1962)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Die Zahl aller aus politischen Gründen inhaftiert gewesenen und noch inhaftierten Bewohner der SBZ ist nicht bekannt. Neben den in die Konzentrationslager verschleppten und zum großen Teil dort verstorbenen Menschen werden als PH. diejenigen bezeichnet, die aus ausschließlich oder überwiegend politischen Gründen durch ein sowjetisches Militärtribunal oder ein Gericht der SBZ wegen Boykotthetze, Friedensgefährdung oder eines anderen Staatsverbrechens verurteilt worden sind. Auch die in den Kriegsverbrecherprozessen verurteilten Angeklagten fallen in diese Kategorie. Die größten Strafanstalten, in denen sich in der SBZ PH. befinden, sind die in Bautzen, Berlin-Rummelsburg, Brandenburg, Bützow-Dreibergen, Cottbus, Halle, Luckau, Magdeburg-Sudenburg, Hoheneck bei Stollberg, Torgau, Untermaßfeld, Waldheim und Zwickau (Rechtswesen). Obwohl bis zum Sommer 1955 allein in den Strafanstalten über 20.000 PH. im Widerspruch zu den Grundrechtsgarantien der Verfassung eingesperrt waren und schwere und schwerste Zuchthausstrafen verbüßen sollten, gab es nach offizieller Version keine PH. in der SBZ. „Heute wird niemand seiner Gesinnung wegen inhaftiert. Wer unsere antifaschistisch-demokratische Ordnung angreift, wer den Aufbau unserer Friedenswirtschaft stört, begeht eine strafbare Handlung und wird seiner verbrecherischen Taten wegen bestraft. Die Strafgefangenen dieser Art sind deshalb auch keine ‚politischen‘ Gefangenen, sondern kriminelle Verbrecher. Die Bezeichnung dieser Strafgefangenen als politische Häftlinge wird daher hiermit untersagt“ (RV Nr. 125/51 des Justizministeriums der SBZ vom 5. 9. 1951).

 

Die Zahl der PH. verringerte sich infolge von einigen seit 1954 durchgeführten Entlassungs- und Begnadigungsaktionen. 1954 kamen zur Entlassung 6.143 SMT-Verurteilte und 913 Waldheim-Verurteilte (Waldheimer Prozesse), 1955 etwa 4.000 SMT-Verurteilte und 1.000 Verurteilte aus den Kriegverbrecher-Prozessen, 1956 etwa weitere 6.000 PH., darunter 691 Häftlinge, die früher der SPD angehört hatten.

 

Von der Amnestie des Staatsrates (1960) wurden etwa 3.000 PH. betroffen. Neben diesen Entlassungsaktionen gab es Einzelentlassungen nach sog. „Urteilsüberprüfungen“, die zunächst eine Herabsetzung der Strafe und dann die Entlassung zur Folge hatten. Die Strafgerichte sorgten aber in der Anwendung der entsprechenden Strafgesetze, seit dem 1. 2. 1958 unter Heranziehung der politischen Straftatbestände des Strafrechtsergänzungsgesetzes dafür, daß immer wieder neue PH. eingeliefert wurden. Nach dem 13. August 1961 nahm die Zahl der PH. auf Grund der verschärften Terrorjustiz wieder erheblich zu. Heute befinden sich noch 10.000 bis 12.000 Menschen auf Grund rein politischer Strafurteile in Haft.

 

Im Strafvollzug werden die PH. genauso behandelt wie die kriminell Bestraften, eine Privilegierung oder zusammengefaßte Unterbringung gibt es nicht. Die PH. werden im Gegenteil in der Regel zu bestimmten Funktionen oder Dienstverrichtungen (Brigadier, Zellenältester, Hausarbeiter), die möglicherweise gewisse Vergünstigungen zur Folge haben können, bewußt nicht herangezogen; Ärzte unter den PH. werden nur dann in ihrem Beruf beschäftigt, wenn kein anderer Arzt zur Verfügung steht. Literatur aus der Gefangenenbücherei erhalten PH. unter erheblich größeren Schwierigkeiten als kriminell Bestrafte, in der Untersuchungshaft ist die Behandlung der PH. bewußt hart und schikanös. Nach keinesfalls vollständigen Erfassungen in West-Berlin (Hilfskomitee für politische Häftlinge) wurden von 1945 bis 1960 49.178 Personen registriert, die von Zonengerichten oder sowjetischen Militärtribunalen aus ausschließlich oder überwiegend politischen Gründen verurteilt worden sind; davon lauteten 528 Urteile auf Todesstrafe und 654 Urteile auf lebenslängliches Zuchthaus.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 170


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.