Militärpolitik (1962)
Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 287]Das Potsdamer Abkommen sah auch für die SBZ eine völlige und dauernde Entwaffnung vor. Doch die SU und später in ihrem Auftrage die SED betrieben eine sehr wirksame M., indem sie militärische und militärähnliche (paramilitärische) Verbände aufstellten und weite Bereiche des öffentlichen und politischen Lebens in den Dienst der Wiederbewaffnung stellten.
Bis 1948 tarnte die SU ihre Bolschewisierungsmaßnahmen mit der formellen Befolgung des Potsdamer Abkommens: die antimilitaristischen Formeln der Siegermächte und die antitotalitären Grundsätze der antifaschistisch-demokratischen Ordnung verboten die Schaffung von Streitkräften. Doch schon vor Mitte 1948 traf die SU insgeheim einige Vorkehrungen für ihre M.: 1. Sie gab die (seit Aug. 1946 im Gegensatz zu den Polizeien der westlichen Besatzungszonen zentralisierte) nichtmilitärische Volkspolizei schon sehr früh in die Hand der SED, um zuverlässige Kräfte für die künftige Zonenarmee zu sammeln; 2. sie baute seit 1. 12. 1946 eine militärähnliche kasernierte Grenzpolizei auf, die bis Mitte 1948 auf 9.100 Mann anwuchs, während in den westlichen Besatzungszonen an derartiges überhaupt noch nicht zu denken war; 3. sie sammelte unter den deutschen Kriegsgefangenen in der SU Kräfte für die geplante Zonenarmee. Seit dem 3. 7. 1948 ließ die SU militärische Einheiten (Kasernierte Volkspolizei) aufbauen. Sie sollten angeblich nur polizeiliche Bereitschaftsverbände sein, wuchsen aber schon bis Anfang 1951 zu einer einsatzfähigen Armee von rd. 65.000 Mann an, die 24 verstärkte, mit Artillerie und Panzern versehene Regimenter und zahlreiche Ausbildungs- und Sondereinheiten umfaßte. Seit Januar 1952 wurden aus diesen Regimentern (die bis Jan. 1951 Bereitschaften, danach Volkspolizei-Dienststellen hießen) sechs moderne motorisierte Divisionen zusammengestellt. Mit der Errichtung von Seestreitkräften der KVP wurde Mitte 1950 begonnen, mit der Vorbereitung einer Luftwaffe der KVP im März 1951.
Schon seit Mitte 1951 arbeitete unter Willi ➝Stoph eine Stelle zur Organisierung einer Rüstungsindustrie der SBZ. Sie wirkte ganz geheim seit Okt. 1951 unter der Bezeichnung „Büro für Wirtschaftsfragen“. Die Grenzpolizei war am 1. 3. 1951 etwa 17.000 Mann stark; die Transportpolizei war von 1946 bis 1951 auf rd. 8.000 Mann angewachsen; und die seit Frühjahr 1950 aufgebauten Wachverbände des Ministeriums für Staatssicherheit umfaßten 1951 mindestens rd. 6.000 Mann. Diese drei Verbände mit zus. rd. 31.000 Mann waren schon 1951 militärähnliche Polizeitruppen.
Die als „Volkspolizei“ getarnte Armee wurde bis Frühjahr 1952 überwiegend aus Freiwilligen gebildet, die meist glaubten, einer bloßen Polizei beizutreten, und weit besser verpflegt wurden als weite Teile der Bevölkerung.
Grundlegend und bezeichnend für die Armee und die Polizeitruppen ist die politische Überwachung und Anleitung durch die Politorganisationen der SED in den bewaffneten Kräften (Politverwaltung, Politschulung). Sie will Offiziere und Mannschaften zu dem Bewußtsein erziehen, sie seien wichtige Werkzeuge und Vorkämpfer 1. der SED, als der Vorhut der Arbeiterklasse, und 2. der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ (später, seit Anfang 1956, der „Arbeiter-und-Bauern-Macht“).
Von großer Bedeutung ist auch die scharfe und lückenlose Überwachung durch jene Organe und Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit, die innerhalb der Verbände eingesetzt sind. — In der Armee und bei den [S. 288]Polizeitruppen war (und ist bei den Spitzenstäben noch heute) eine dritte Kontrollorganisation tätig, die zugleich anleitend wirkt: die sowjet. Berater (Sowjetnik) für die militärische Ausbildung und Führung der Truppe. Ihr unbeschränkter Einfluß macht deutlich, wie sehr die Armee der SBZ ein Werkzeug des sowjet. Imperialismus sein soll.
Bis April 1952 wurde die Abschirmung der M. dadurch verstärkt, daß die SED behauptete, der SBZ läge eine Bewaffnung völlig fern. So fehlte in dem (bis zum 5. 4. 1954 geltenden) II. Parteistatut der SED vom 24. 7. 1950 jeder Hinweis auf eine Verteidigungspflicht der Mitglieder. So verwarf Walter ➝Ulbricht, als er am 9. 5. 1951 als 1. Stellv. des Ministerpräsidenten vor der Volkskammer sprach, jede Rüstung. Er sagte: „Wozu brauchen wir in Deutschland ein Heer, wo wir unsere ganze Kraft benötigen, um unsere deutsche Heimat wieder aufzubauen, und wo es in Europa niemanden gibt, der die Absicht hat, die Beziehungen mit einem friedliebenden Deutschland zu stören?“ Und Ministerpräsident Grotewohl behauptete am 11. 8. 1951 auch über die KVP: „Die Volkspolizei der DDR hat keinen militärischen Charakter … Sie hat die Aufgabe, den friedlichen Aufbau der DDR gegen Saboteure, Spione und Diversanten zu schützen.“
Seit Mai 1952 bezeichnete die SED „nationale Streitkräfte“ als notwendig und betrieb ihre M. ziemlich offen. Dazu trug manches bei: 1. Auf die Dauer ließ sich die Armee nicht verheimlichen; 2. die SU hatte am 10. 3. 1952 einem nach ihren Wünschen neutralisierten, wiedervereinigten und „demokratisierten“ (d. h. auf kaltem Wege bolschewisierten) Deutschland „eigene nationale Streitkräfte“ in Aussicht gestellt; 3. die Armee sollte offen zur Stärkung der Staatsgewalt der SBZ beitragen, die von der 1. Parteikonferenz der SED (am 12. 7. 1952) zum „Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“ erklärt wurde.
Die Regierung der SBZ gab ihre Streitkräfte unter Vorwänden bekannt. Sie stellte die Verteidigungsbemühungen der Westmächte gegen die Übermacht der sowjet. Rüstung als „imperialistische Kriegstreibereien“ hin (Pieck am 1. 5. 1952) und bezeichnete die immer weiter hingezögerte Verteidigungsplanung der unbewaffneten Bundesrepublik als „wiedererstehenden Militarismus in Westdeutschland“ (Ulbricht am 3. 5. 1952). Ulbricht forderte „den bewaffneten Schutz der DDR“. Außenminister Dertinger teilte am 8. 5. 1952 die bevorstehende Einrichtung „nationaler Streitkräfte“ mit. — Die SED mußte die Forderung nach einer „nationalen“ Armee im Bereiche des FDGB und auch der FDJ mit Friedenskampf-Losungen bemänteln. Diese Propaganda bewog am 30. 5. 1952 das IV. Parlament der FDJ, im Art. 4 der FDJ-Satzung, den Dienst in der Armee zu fordern: „Der Dienst in der Deutschen Volkspolizei ist für die Mitglieder der FDJ Ehrendienst.“
Die 2. Parteikonferenz der SED, welche die bisher „antifaschistisch-demokratische DDR“ zu einer Volksdemokratie umprägte und den raschen Übergang zum Sozialismus beschloß, legte auch die Rolle der Streitkräfte bei der geplanten Sowjetisierung des gesamten Deutschland fest. In Ulbrichts Referat hieß es: „Die nationalen Streitkräfte werden die Armee des vom Imperialismus befreiten Volkes in der DDR sein … ein Werkzeug zur weiteren Stärkung der volksdemokratischen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung … Sie werden erfüllt sein vom Willen zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes. Die nationalen Streitkräfte werden sich brüderlich verbunden fühlen mit allen patriotischen Kräften Westdeutschlands.“ Bezeichnenderweise hatte Ulbricht vorher in seinem Referat erklärt: „Die Schaffung nationaler Streitkräfte [S. 289]wird der Volksbewegung in Westdeutschland einen stärkeren Rückhalt und Mut in ihrem Kampf für den Sturz der Bonner Vasallenregierung geben“ (Neue Welt 1952, Nr. 15, S. 1810 u. 1825). — Vom „nationalen“ Anstrich der M. versprach sich die SED starke Wirkungen auf breite mittelständische Volksteile, auf ehemalige Soldaten und vormalige Nationalsozialisten in der SBZ und in der Bundesrepublik. Deshalb wurde auch die Nationaldemokratische Partei (NDPD) stark eingespannt.
Um die Vergrößerung der Armee zu erreichen, mußten Regierung und SED immer stärker zu Zwangseinziehungen greifen (Wehrpflicht), die z. T. als Parteiauftrag oder Verbandsauftrag (der FDJ) getarnt wurden. — Schon am 1. 9. 1952 kam es zur Aufstellung des ersten, 3 Divisionen umfassenden Armeekorps, dem bald ein zweites folgte. Ende 1952 war die KVP (mit Luft und See) etwa 110.000 Mann stark. Vorwiegend als Armeeministerium diente nach wie vor das Ministerium des Inneren (MdI). Nur die Bildung eines Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten im MdI (am 19. 2. 1953) zeigte, daß dies nur eine Seite dieser Zentralbehörde ausmachte.
Neben die als KVP auftretende Armee, deren See- und Luftstreitkräfte ausgebaut wurden, traten seit Mitte 1952 zwei militärähnliche Milizen: 1. die der vormilitärischen Ausbildung dienende Gesellschaft für ➝Sport und Technik (GST); 2. die Kampfgruppen der SED. Bis zum 7. 8. 1952, an dem der Ministerrat die GST errichtete, lag die vormilitärische Ausbildung bei der FDJ. Sie wurde ihr entzogen, da sie organisatorischer Mängel nicht Herr wurde und da ihre Mitglieder sich noch allzusehr in pazifistischen Vorstellungen bewegten. — Von militärischer Bedeutung waren ferner die drei Polizeitruppen: 1. die Grenzpolizei, die seit Mai 1952 nicht mehr dem Innen-, sondern dem Staatssicherheitsministerium (MfS) unterstand; 2. die Transportpolizei, seit Jan. 1953 ebenfalls dem MfS untergeordnet; 3. die Wachverbände des MfS.
Während des Juni-Aufstandes 1953 gingen Teile der allgem. Volkspolizei (DVP) zum Volke über, doch die Wacheinheiten des MfS ließen sich von der SED überall bedenkenlos neben den Sowjettruppen gegen das Volk einsetzen. Die Zuverlässigkeit der KVP, auf deren Einsatz die SU vorsichtshalber nur in äußersten Notfällen zurückgriff, wurde nicht ernsthaft geprüft. Nach dem 17. Juni ging die GST stark zurück, da FDJ und SED im Zeichen des Neuen Kurses die Zwangswerbung für sie zunächst abschwächten.
Die Erfahrungen mit der Volkspolizei (DVP) und der GST sowie die Ungewißheit darüber, wie sich die KVP im Ernstfälle bewähren würde, bewogen die Regierung zu ständiger Siebung und Härtung der KVP in politischer und militärischer Beziehung. Ferner wurden 1. die DVP überprüft; 2. kasernierte Bereitschaftskommandos der DVP (unabhängig von den Wacheinheiten der Staatssicherheit) aufgestellt; 3. bei Wiederbelebung der GST deren politische Schulung mindestens so stark betrieben wie die militärische; 4. neue Kampfgruppen der SED dort errichtet, wo es gegen den stillen Widerstand vieler Industriearbeiter und Behördenangestellten schon möglich war. Noch rücksichtsloser als vor dem 17. Juni 1953 wurde die KVP nach Beendigung des „Neuen Kurses“ zu einer bewußt politischen Armee entwickelt und entsprechend geschult. Die KVP warb nicht nur mit sozialistisch-klassenkämpferischen, sondern auch mit „nationalen“ Losungen, aber das allgemeine Mißtrauen der Bevölkerung, vor allem der Jugend, konnte sie nicht überwinden. Nur eine Minderheit ließ sich von den Zielsetzungen der KVP ergreifen - und die SED versuchte, diese Minderheit zu ihrem zuverlässigen Werk[S. 290]zeug zu erziehen. Die SED konnte es nicht wagen, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, obgleich diese zu den grundsätzlichen Forderungen marxistisch-leninistischer M. gehört.
Der IV. Parteitag der SED machte (am 5. 4. 1954) im neuen Statut (9. Abs. der Einl.) die „aktive Verteidigung der Heimat, des Staates der Arbeiter und Bauern“ verbindlich. Bei seiner Satzungsänderung am 18. 6. 1955 machte es der FDGB (in Teil I, § 3) seinen Mitgliedern zur Pflicht, „die DDR und ihre Errungenschaften zu verteidigen“, d. h. in der Armee ihren Wehrdienst zu leisten. Auch der Sport wurde für die M. eingespannt: Manfred Ewald (SED), der Vors. des Staatl. Komitees für Körperkultur und Sport, erhob auf der III. Sportkonferenz (25. 11. 1955) die Forderung, den Massensport für die vormilitärische Erziehung einzusetzen. (Sport)
Die Propaganda für die M. stieß immer wieder auf den Widerwillen der Bevölkerung. Deshalb erachtete es z. B. Innenminister Willi Stoph, Chef der KVP, am 14. 4. 1954 für „erforderlich, den Ungeist des Pazifismus … entschieden zu bekämpfen“. — Auf der gleichen Linie lag die Verfassungsergänzung, die die Volkskammer am 26. 9. 1955 beschlossen hatte. Sie erhob den Verteidigungsdienst zur „nationalen Ehrenpflicht der Bürger der DDR“ und führte damit grundsätzlich die Wehrpflicht ein, auch wenn diese vorläufig noch nicht ausdrücklich und allgemein durchgesetzt wurde.
Gerade weil die Militärpropaganda wenig anschlug, wurden neben der Armee die vier Polizeitruppen ausgebaut: Die Grenzpolizei kam Ende 1955 auf etwa 34.000 Mann; die Transportpolizei zählte damals rund 9.000; die militärähnlichen Bereitschaftskommandos der Volkspolizei rund 13.000; die aus den Wacheinheiten der Staatssicherheit entstandenen „Inneren Truppen“ zählten etwa 15.000 Mann. Auch die Kampfgruppen fielen seit Mitte 1955 nicht nur politisch, sondern auch militärisch ins Gewicht, und die GST entlastete die KVP nicht unbeträchtlich. — Die Unterbringung großer Teile des Ministeriums für Nationale Verteidigung und beträchtlicher Verbände der Polizeitruppen, dazu der Politoffiziers-Schule der NVA im Sowjetsektor von Berlin verletzt den Viermächte-Status Berlins. Dies gilt auch von den häufigen bewaffneten Aufmärschen und Paraden.
Bereits die KVP wurde mit dem Anspruch erzogen, sie sei die eigentlich berufene gesamtdeutsche Armee. Seit dem 18. 1. 1956, seit der Umbenennung der KVP in Nationale Volksarmee (NVA) wird dieser Anspruch noch stärker betont. Sie soll „den Interessen des ganzen deutschen Volkes dienen … auf der Wacht für die Sicherung des Friedens“, so erklärte Stoph am 18. 1. 1956, als er die Errichtung des Ministeriums für Nationale Verteidigung ankündigte. Sie soll ein Machtinstrument werden, das entscheidend an der geplanten Bolschewisierung auch der Bundesrepublik mitwirkt. „Die Arbeiterklasse Deutschlands“, so sagte Stoph am 12. 6. 1957, „verfügt in Gestalt der NVA über eine reguläre, den Anforderungen eines modernen Krieges entsprechende Armee.“
Vor diesem Hintergrund muß die gesamte M. der SBZ gesehen werden: die Hebung der Politschulung, der Disziplin und der militärischen Schlagkraft aller bewaffneten Kräfte, ferner der Kampfgruppen und der GST. Die ständige Überwachung der Armee und aller anderen Verbände muß dabei seit 1956 immer wieder verschärft werden, denn der Widerspruch zwischen den demokratisch und national klingenden Losungen der „DDR“ einerseits und der Wirklichkeit dieses Gebildes [S. 291]andererseits ist zu groß. Mehr denn je ist die M. der SED auf die Jugend angewiesen. Deshalb verlangt das Statut der FDJ vom 27. 5. 1955 den Einsatz der Mitglieder in der vormilitärischen Erziehung und den Wehrdienst in jeder Form. Das Statut der FDJ vom 15. 5. 1959 fordert dies noch bestimmter (§ 1, 11. Abs.).
Die NVA trägt wieder die feldgraue deutsche Uniform des 1. und 2. Weltkrieges, aber die Sowjetarmee gilt als ihr Vorbild. Und unter Berufung auf den Marxismus-Leninismus soll sie zu einem Werkzeug des Sowjetimperialismus erzogen werden. Deshalb untersteht die Volksarmee auch dem Oberkommando des Warschauer Beistandspaktes. Als bolschewistische Armee arbeitet sie unter strengster Geheimhaltung.
Die seit Sommer 1958 durchgeführte Atomkriegs-Gliederung der NVA und die Entfaltung chemischer Kampfverbände zeigen, ebenso wie die ständige Verbesserung der Bewaffnung, daß die NVA für einen ernsten Einsatz vorbereitet wird. — Die zielbewußte M. der SED hat der Armee und den Polizeitruppen eine beträchtliche Kampfkraft gegeben. Dies gilt auch von großen Teilen der beiden Milizen. Man darf diese Gefahr für die nichtkommun. Welt nicht unterschätzen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß das unablässige Bemühen der SED, aus der Armee (und den Polizeitruppen wie den Milizen) eine starr kommun. Parteiarmee zu machen, schwere Konflikte in die Armee trägt. Es führt zu schweren Spannungen mit den soldatischen Kräften der Armee und mit den menschlich-freiheitlichen Elementen unter den Soldaten und auch Offizieren. Die nicht geringe Zahl jener Soldaten und Polizeisoldaten, die in die Bundesrepublik fliehen, ist aufschlußreich. So verschärfen sich seit Mitte 1956 die schon lange bestehenden Unstimmigkeiten zwischen jenen Offizieren, die mehr militärisch als parteipolitisch denken, und den vorwiegend kommunistisch geschulten Offizieren und Polit-Offizieren. Fast alle Offiziere, die aus der Deutschen Wehrmacht stammen und die KVP mitaufgebaut haben, wurden seit 1957 aus Kommandostellen entfernt, nicht wenige entlassen. (Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere)
Auch nach der Ausrufung der NVA hat die SED es nicht gewagt, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Vielmehr versucht sie wie vor 1956, neben der NVA in parteiergebenen Kernverbänden (in der Bereitschaftspolizei und in den Kampfgruppen) Einsatzkräfte gerade gegen das drohende, ihr unzuverlässig erscheinende Volk zu bilden. Diese Tatsache läßt Schlüsse auf die wirklichen Ergebnisse der M. zu.
Ein wichtiges Mittel der M. ist die Militärpropaganda: die unaufhörliche Durchdringung der Bevölkerung mit den scheinpatriotisch gefärbten (Patriotismus) Wehrauffassungen des Marxismus-Leninismus (Militarismus). Um die Bevölkerung der SBZ wie auch der Bundesrepublik gegen die NATO aufzuhetzen, wird mit der allgemeinen Militärpropaganda eine lebhafte militärpolitische Agitation gegen die Bundeswehr verbunden. Dabei bedienen sich die SED und das Regime seit Anfang 1959 immer stärker der fadenscheinigen Behauptung, die Bundesregierung wolle die SBZ gewaltsam in Besitz nehmen. Für eine solche Blitzkriegs-Aktion der atomar bewaffneten Bundeswehr, die sich auf die links der Elbe stehenbleibenden Truppen der NATO stützen werde, sollen angebliche Pläne bestehen. Sie trügen die Decknamen: Outline, DECO II, Sidestep u. ä.
Als das Regime der SBZ im Spätsommer 1961 einerseits mit der ihm feindlichen Flut der Flüchtlinge und mit Wirtschaftsnöten zu ringen hatte — andererseits als Satellit des Ostblocks seinen propagan[S. 292]distischen und militärischen Druck auf die Bundesrepublik verstärkte, wurde die Militärpropaganda beträchtlich angefacht und die „Freiwilligen“-Werbung für alle bewaffneten Kräfte vervielfacht. Am 15. 9. 1961 wurde die Deutsche Grenzpolizei als „Kommando Grenze“ in die NVA eingegliedert. Dies geschah wohl deshalb, um 1. die Kräfte dieser bisherigen Polizeitruppe militärisch zu heben und 2. den Bestand der NVA zu vergrößern. Das am 20. 9. 1961 von der Volkskammer beschlossene Verteidigungsgesetz brachte militärisch wenig Neues, da es überwiegend ein Notstands- und Diktaturgesetz zugunsten des Vors. des Staatsrates, Ulbricht, ist.
Literaturangaben
- Garthoff, Raymond L.: Die Sowjetarmee — Wesen und Lehre (m. Einführung v. General a. D. Günther Blumentritt, übers. v. Helmut Bohn). Köln 1955, Markus-Verlag. 592 S. m. 12 Karten.
- *: Die politische Armee der Sowjetzone in den Jahren 1955 bis 1958 (Denkschrift). (BMG) 1959. 45 S.
- Bohn, Helmut: Armee gegen die Freiheit — Dokumente und Materialien zur Ideologie und Aufrüstung in der Sowjetzone. Köln 1956, Markus-Verlag. 241 S.
- Bohn, Helmut (und andere): Die Aufrüstung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 2., veränd. Aufl. (BB) 1960. 216 S.
- Boutard, R. J.: L'Armée en Allemagne Orientale … Paris 1955, Nouvelles Éditions Latines. 208 S.
- Kopp, Fritz: Chronik der Wiederbewaffnung in Deutschland, Rüstung der Sowjetzone — Abwehr des Westens (Daten über Polizei und Bewaffnung 1945 bis 1958). Köln 1958, Markus-Verlag. 160 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 287–292
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