DDR von A-Z, Band 1962

Volkskammer (1962)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

[S. 466]„Volksvertretung“ der SBZ, deren verfassungsrechtliche Stellung entsprechend der Verneinung des Gewaltentrennungsgrundsatzes und der zentralstaatlichen Tendenz der Verfassung außerordentlich stark ausgestaltet ist („höchstes Organ der Republik“, Art. 50 der Verfassung). Infolge der tatsächlichen politischen Machtverhältnisse, stellt sich die V. jedoch als Scheinparlament dar.

 

Die verfassungsmäßigen Rechte der V. sind (Art. 63 der Verfassung): die Bestimmung der Grundsätze der Regierungspolitik und ihre Durchführung; die Bestätigung, Überwachung und Abberufung der Regierung; die Bestimmung der Grundsätze der Verwaltung und die Überwachung der gesamten Tätigkeit des Staates; das Recht zur Gesetzgebung, soweit nicht ein Volksentscheid stattfindet; die Beschlußfassung über den Staatshaushalt, die Wirtschaftspläne (Fünfjahrplan), Anleihen und Staatskredite und die Zustimmung zu Staatsverträgen; der Erlaß von Amnestien; die „Wahl“ des Staatsrates; die „Wahl“ der Mitglieder des Obersten Gerichts (Gerichtsverfassung) und des obersten Staatsanwaltes (Staatsanwaltschaft). Das Verfahrensrecht der V. hat die Verfassung in herkömmlich parlamentarisch-demokratischer Weise geregelt und im einzelnen in die Geschäftsordnung verwiesen.

 

Organe der V. sind das Präsidium (Präsident, Vizepräsidenten, Beisitzer) und 16 Ausschüsse, in denen jedoch keine parlamentarische Arbeit geleistet wird und von denen mehrere bisher noch zu keiner Arbeitssitzung zusammengetreten sind.

 

Die V. besteht aus 400 Abgeordneten, die nach Art. 51 Abs. 2 der Verfassung „in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes auf „die Dauer von vier Jahren gewählt“ werden sollten; hinzu kommen 66 Ost-Berliner Vertreter. Die zur Bildung der V. vorgeschriebenen Wahlen haben jedoch nicht stattgefunden. Die am 7. 10. 1949 auf Grund des LDP und CDU aufgezwungenen verfassungsändernden Gesetzes vom 7. 10. 1949 (GBl. S. 1) gebildete Provisorische V. hat sich vielmehr „in der Zusammensetzung des vom Dritten Deutschen Volkskongreß am 30. Mai 1949 gewählten Deutschen, Volksrates“ (Art. 1 des Gesetzes) konstituiert, nachdem der Volksrat zuvor die Verschiebung der Wahlen um ein Jahr angeordnet hatte. Aber auch die für Oktober 1950 versprochenen Wahlen fanden nicht statt. Die V. konstituierte sich vielmehr nach der am 15. 10. 1949 auf Grund des verfassungsändernden Gesetzes vom 9. 8. 1950 (GBl. S. 743) durchgeführten Abstimmung über die Einheitsliste der Nationalen Front (Wahlen) endgültig. Angeblich sollen 99,7 v. H. der Stimmberechtigten für die Einheitsliste gestimmt haben. Von den 400 Abgeordneten stellten auf Grund einer bereits im Juli 1950 auf der Basis der Blockpolitik getroffenen Vereinbarung 280 die SED und die von ihr gelenkten Organisationen (70 v. H.) und nur je 60 die LDP und die CDU (je 15 v. H.). Nach Ablauf der ersten Legislaturperiode wiederholte sich am 17. 10. 1954 auf Grund des verfassungsändernden Gesetzes vom 4. 8. 1954 (GBl. S. 667) die Abstimmung über die von der Nationalen Front aufgestellte Einheitsliste, die diesmal in noch stärkerem Maße als 1950 von der SED beherrscht war.

 

Die Wahl vom 16. 11. 1958 ergab mit 99,87 v. H. Ja-Stimmen wiederum das erwartete Bild und die entsprechende Zusammensetzung der V. Das Verhältnis für die wenigstens noch dem Namen nach nicht kommun. geführten Parteien ist noch ungünstiger geworden. Nach dem amtlichen „Handbuch der V. der DDR“ von 1959 bestehen die Fraktionen der Massenorganisationen (FDGB, FDJ, DFD, VdgB und Kulturbund) fast ganz aus Mitgliedern der SED. Von 120 Abgeordneten dieser Massenorganisationen gehören 107 zur SED, einer zur LDP und 12 sind parteilos. Die Fraktionen der gegenwärtigen V. haben folgende Stärken (Sitzanteil in v. H.):

 

 

Zählt man die Sitze der SED mit denen der Massenorganisationen zusammen, so ergibt sich mit 207 Abgeordneten auch formell die absolute Mehrheit. (Wählerauftrag, Wählerversammlung)

 

Präsident der V. ist seit deren Konstituierung 1949 Johannes ➝Dieckmann (LDP).

 

Literaturangaben

  • Handbuch der Sowjetzonen-Volkskammer. 2. Legislaturperiode. Berlin o. J., Informationsbüro West. 386 S. u. Nachträge.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 466


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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