Produktionsgenossenschaften, Landwirtschaftliche (LPG) (1962)
Siehe auch:
Eine in Deutschland neuartige Erscheinungsform gemeinschaftlicher Landbewirtschaftung sowjet. Prägung, entstanden durch den Zusammenschluß bis dahin individuell wirtschaftender Bauern, Landarbeiter und auch sonstiger Berufszugehöriger zu einem kollektiven landwirtschaftlichen Betrieb zwecks gemeinsamer Bewirtschaftung und Nutzung der eingebrachten und der öffentlich bereitgestellten Bodenflächen und Produktionsmittel („sozialistischer landwirtschaftlicher Großbetrieb“).
Die LPG sind keine Genossenschaften in unserem Sinne des Wortes. Es handelt sich nicht um freiwillige genossenschaftliche Zusammenschlüsse, die dazu dienen, die wirtschaftliche Lage ihrer Mitglieder, die einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb besitzen, zu fördern, sondern um Kooperationsformen der Landbewirtschaftung, die nach „sozialistischen Grundsätzen organisiert und geleitet werden“. LPG sind Zwangsgemeinschaften kommun. Art im Dienste des kollektiven Erwerbs, deren Verwaltung und Wirtschaftsgeschehen durch Gesetz und Musterstatuten zentral reglementiert und kontrolliert werden, so daß das Mitspracherecht der Mitglieder, ihre Eigenverantwortung und Privatinitiative entscheidend unterbunden ist.
Die organisatorischen und rechtlichen Verhältnisse in den LPG sind durch Ende 1952 und in neuer Fassung vom 9. 4. 1959 vom Ministerrat bestätigte Musterstatuten geregelt, die durch ein „Gesetz über die LPG“ vom 3. 6. 1959 wesentlich ergänzt und verbindlich gemacht worden sind.
Nach dem „Prinzip des stufenweisen Übergangs zur sozialistischen genossenschaftlichen Großproduktion“ gibt es drei Typen von LPG, die sich im Grad der Vergesellschaftung der Bodenflächen und Produktionsmittel sowie in der Verteilung der Einkünfte voneinander unterscheiden. Die Vergesellschaftung bezieht sich entweder nur auf die gemeinsame Bewirtschaftung des von den Mitgliedern eingebrachten Ackerlandes und teilweise auch des Grünlandes (Typ I) oder zuzüglich auch auf die zur Feldwirtschaft erforderlichen Zugkräfte, Maschinen und Geräte (Typ II) oder auf den gesamten bäuerlichen Betrieb einschließlich lebendem und totem Inventar (Typ III). Die Mitglieder behalten zur persönlichen Nutzung eine „individuelle Wirtschaft“, die in den drei Typen verschieden groß ist. Beim Typ I handelt es sich um 0, 5 ha Ackerland und um die gesamte übrige Wirtschaft, bei Typ II können neben 0,5 ha Ackerfläche, [S. 338]Gärten, Dauergrünland und Wälder das gesamte Zucht- und Nutzvieh, vom Zugvieh 1 Pferd, 1 Ochse sowie das zur Bearbeitung des verbleibenden Landes nötige Inventar in individueller Nutzung bleiben. Im Typ III umfaßt die individuelle Wirtschaft nur noch die persönliche ➝Hauswirtschaft.
Typ I u. II stellen nur Übergangsformen zum Typ III dar, bei ihnen handelt es sich im Gegensatz zu Typ III noch um keinen geschlossenen „Großbetrieb“, sondern um eine Gemeinschaft von Bauernwirtschaften, die nur den Betriebszweig Ackerbau gemeinsam betreiben.
Bei der Eigentumsregelung wird zwischen „Eigentum der Genossenschaftsbauern“ und „genossenschaftlichem Eigentum“ unterschieden. Das Eigentum des Mitgliedes an Grund und Boden bleibt zwar formal erhalten, verliert jedoch seine Funktion, weil es unentgeltlich „zur gemeinsamen Nutzung eingebracht“ und dem Eigentümer die Verfügungsgewalt darüber entzogen wird. Er wie sein Erbe dürfen den Grund und Boden „nur an den Staat, die LPG oder deren Mitglieder, die wenig oder gar kein Land besitzen“, veräußern. Hinzu kommt, daß jedes bäuerliche Mitglied beim Eintritt in die LPG III dieser auch sämtliche Inventarien und Wirtschaftsgebäude zur allgemeinen Nutzung unentgeltlich übergeben muß, soweit sie nicht zur Führung der persönlichen Hauswirtschaft benötigt werden. Diese Entwicklung zu „neuen, genossenschaftlichen“, also scheinbaren Eigentumsformen hat die SBZ-Machthaber davon enthoben, das Eigentumsrecht formell aufzuheben.
Die LPG wird durch den Vorstand, den Vorsitzenden und die Mitgliederversammlung geleitet. Letztere kann „zur Teilnahme der Genossenschaftsmitglieder an der Leitung und Verwaltung der Genossenschaft“ Kommissionen bilden, unter denen die „Revisionskommission“ zur laufenden Kontrolltätigkeit die wichtigste ist. Diese ist auch berechtigt, notfalls die Funktionen des Vorstandes zu überwachen, wenn dieser versagt. Stellen Beschlüsse der Mitgliederversammlung, die mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt und bei Anwesenheit von mindestens ⅔ aller Mitglieder gültig sind, „einen Mißbrauch der innergenossenschaftlichen Demokratie“ dar, so können sie — nach Anhören des LPG-Beirates, dem parteipolitischen Gremium der LPG, vom Rat des Kreises aufgehoben werden. Von der SED nicht gebilligte Beschlüsse, auch wenn sie statutengerecht sind, werden auf diese Weise torpediert. Die Bewachung und Kontrolle der Arbeitsleistungen und der wirtschaftlichen Entwicklung der LPG obliegt dem Buchhalter, der den Vorsitzenden bzw. die Revisionskommission darüber regelmäßig unterrichtet. Dies erfordert einen umfangreichen Verwaltungsapparat, dessen Kosten die LPG belasten, ganz abgesehen davon, daß die darin beschäftigten Menschen der Güterproduktion entzogen werden.
Über die Arbeitsorganisation der LPG Brigaden der LPG.
Die nach Erfüllung der Marktproduktion, nach Abgeltung aller Verpflichtungen und den statutenmäßigen Einlagen zur Bildung der Natural- und Geldfonds verbleibenden Natural- und Geldbeträge werden an die LPG-Mitglieder nach den im Jahre geleisteten Arbeitseinheiten und nach dem Umfang und der Güte der eingebrachten Bodenanteile in den einzelnen Typen wie folgt verteilt:
Die Bodenanteile — falls solche überhaupt gezahlt werden können — sind u. U. für jedes Mitglied gleich. Ihre Höhe wird von der Mitgliederversammlung bestimmt und in vielen Fällen auch gänzlich außer acht gelassen. In den LPG erhalten die Mitglieder also keinen verbindlich vereinbarten Arbeitslohn, d. h., das LPG-Mitglied weiß während des ganzen Jahres, noch nicht, mit welchem Entgelt für die AE es endgültig rechnen kann, da dieses vom Betriebserfolg abhängt. „Bis zu 70 v. H. des zu erwartenden Geldes“ kann es im Laufe des Jahres als Anzahlung auf die geleisteten AE erhalten. Dieses Lohnsystem und damit die ganze betriebswirtschaftliche Konstruktion des Typ III müssen als absolut widersinnig angesehen werden: auf der einen Seite steht das LPG-Mitglied als Lohnarbeiter ohne unternehmerische Einflußmöglichkeit auf die Betriebsführung, auf der anderen Seite trägt es aber das volle Unternehmerrisiko wie ein verantwortlicher Betriebsleiter. Diese betriebswirtschaftliche Fehlkonstruktion hat daher die SBZ-Machthaber gezwungen, den Mitgliedern der LPG III eine Mindestbezahlung der AE zu garantieren und bei ungenügendem Betriebserfolg die hierfür erheblichen Mittel zuzuschießen. Kennzeichnenderweise besteht diese Garantie seit der vollständigen Kollektivierung nicht mehr, die Subventionierung der AE im Typ III wird aber praktisch noch fortgeführt.
Der entscheidende betriebswirtschaftliche Unterschied zwischen Typ I [S. 339]und II gegenüber Typ III besteht darin, daß den Bauern in den Typen I und II bei nur gemeinsamer Bewirtschaftung des Ackerlandes noch ein Rest von eigener Leistungsinitiative für die Veredlungswirtschaft geblieben ist, während im Typ III die Mitglieder bezahlte Kolchosarbeiter sind. Deshalb wäre es für die Lebensverhältnisse vieler Bauern in der SBZ von großer Bedeutung, ob die Möglichkeit bestehen wird, den Typ I und II auf längere Zeit durchzuhalten. Auf die Dauer ist dem Kommunismus das Nebeneinander von Kollektivformen mit so unterschiedlichem Vergesellschaftungsgrad nicht vereinbar. Die „schrittweise Vergesellschaftung weiterer Betriebszweige“ in den Typen I und II zeichnet sich bereits sehr deutlich ab. Die Versorgungsabhängigkeit der Viehwirtschaft in diesen Typen mit Futtermitteln aus der kollektiven Feldwirtschaft impliziert auch ohne behördliche Zwangsmaßnahmen das Fortschreiten der Kollektivierung. Dem SED-Regime bringt dieser schrittweise Übergang zum Typ III den Vorteil der Einsparung erheblicher Subventionsmittel für die Erstellung der baulichen und technischen Voraussetzungen, da diese nunmehr aus eigener Kraft der LPG I und II erfolgen muß.
Über die agrarpolitischen Maßnahmen zur LPG-Bildung Agrarpolitik, über die Ertragslage der LPG Landwirtschaft.
[S. 340]Zur Fachausbildung und politischen Schulung von Mitgliedern und Führungskräften der LPG wurde am 1. 9. 1953 die Hochschule für LPG in Meißen gegründet. Das gebührenfreie Studium, zu dem die Mitgliederversammlung der LPG die Teilnehmer delegiert, dauert als Direktstudium 3 Jahre, als Fernstudium 5 Jahre, als Abendstudium sowie als Wechselstudium (Direkt- und Fernstudium) 4 Jahre und endet mit dem Staatsexamen als „Diplom-Agronom“. Der fachliche Ausbildungsstand der Führungskräfte in den LPG ist für die SBZ-Machthaber ein ernstes Problem: Ende Sept. 1960 hatten von 19.261 LPG-Vorsitzenden nur 4.058 (1) eine abgeschlossene Ausbildung, davon 659 einen Hochschulabschluß, 1.383 Fachschulabschluß, 1.147 Meisterprüfung und 869 Facharbeiterprüfung.
Literaturangaben
- Gade, H.: Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der SBZ. (Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 1957, H. 3)
- Kramer, Matthias: Die Bolschewisierung der Landwirtschaft in Sowjetrußland, in den Satellitenstaaten und in der Sowjetzone (Rote Weißbücher 3). Köln 1951, Kiepenheuer und Witsch. 144 S.
- Merkel, Konrad, und Eduard Schuhans: Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland — „Sozialisierung“ und Produktionsergebnisse. (BB) 1960. 191 S. mit 53 Tab. (Führt M. Kramers Schrift fort.)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Siebente, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1962: S. 337–340
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