
Bevölkerung (1963)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 77]Seit nunmehr zwölf Jahren ist das sowjetische Besatzungsgebiet Deutschlands das einzige Gebiet Europas — wenn nicht sogar der ganzen Welt — mit einer kontinuierlich abnehmenden B. Als Hauptursache dieser mißlichen Entwicklung gilt ein seit Jahren anhaltender Wanderungsverlust an den freien Teil Deutschlands sowie eine gegenüber der BRD niedrigere Geburtenzuwachsrate. Die ständig zunehmende Überalterung der B. und unliebsame Auswirkungen auf das Arbeitskräftepotential sind die Folgeerscheinungen.
Nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 29. 10. 1946 wird für das Gebiet der SBZ (Gebietsstand 31. 8. 1950) eine Wohn-B. von 17,18 Mill. (ohne Insassen von Umsiedler-, Kriegsgefangenen- und anderen Durchgangslagern) ausgewiesen. Im Berliner Sowjetsektor wurden 1,175 Mill., zusammen also 18,355 Mill. Einwohner gezählt. Gegenüber der letzten Volkszählung vor dem Kriege, vom 17. 5. 1939, war dies eine Zunahme von insgesamt 1,61 Mill. (=9,6 v. H.). Trotz eines Sterbefallüberschusses in den Nachkriegsjahren stieg die B.-Zahl durch einen gewissen „Wanderungsgewinn“ (Rückkehr von Kriegsgefangenen, Evakuierten, Zivilinternierten und „Zuwanderung“ von Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten) zunächst bis März 1949 auf etwas über 19 Mill. an. Bereits 1947 hatte aber eine Abwanderung von politisch und wirtschaftlich Andersdenkenden eingesetzt (Flüchtlinge), die von Jahr zu Jahr stärker wurde.
Bei der Volkszählung am 31. 8. 1950, die als die letzte gesamtdeutsche Zählung gilt, wurden nur noch knapp 18,4 Mill. Einwohner gezählt. Seitdem zeigen die Ergebnisse der amtlichen B.-Fortschreibung nach dem Gebietsstand vom 31. 12. 1961 folgendes Bild:
Von 1949 bis Ende Juni 1962 wurden allein im Bundesnotaufnahmeverfahren 2,748 Mill. Flüchtlinge statistisch erfaßt. Etwa die Hälfte der Flüchtlinge (langjähriger Durchschnitt) stand in einem Alter bis zu 25 Jahren, rd. 60 v. H. sind im Erwerbsleben stehende Personen gewesen. Unabhängig von den Ermittlungen im Bundesnotaufnahmeverfahren wurden durch das Statistische Bundesamt 3,612 Mill. Personen gezählt, die zwischen 1950 und Mitte 1962 aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet in die BRD und nach Berlin (West) zugezogen sind. Dieser Zahl stehen im gleichen Zeitraum nur 495.000 Abwanderungen aus der BRD (einschl. Berlin West) gegenüber. Auf jeden Fortzug aus dem freien Teil Deutschlands kamen also 7,3 Zuzüge aus dem sowjetischen Besatzungsbereich. Mehrmals war Ulbricht gezwungen, diese „illegale“ Wanderungsbewegung offiziell zuzugeben.
[S. 78]Unterstellt man die Richtigkeit der sowjetzonalen B.-Fortschreibung, so waren Ende 1961 nur die B.-Zahlen der Bezirke Frankfurt/Oder und Cottbus höher als im Jahr 1950, und zwar sehr gering. Eine regionale Übersicht der B.-Entwicklung zwischen 1950 und 1961 zeigt folgendes Bild:
Die Verteilung der B. auf die Gemeinden nach Größengruppen ist von derjenigen des Bundesgebietes sehr verschieden. Unter Einschluß von Berlin (West) lebten 1961 33,5 v. H. der westdeutschen B. in Großstädten (ohne Berlin 30,7 v. H.), während der Anteil der großstädtischen B. im gesamten sowjetischen Besatzungsgebiet nur 21,4 v. H. beträgt. Weitere 19,3 v. H. lebten in Gemeinden mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern (BRD = 16,8 v. H.), 18,8 v. H. der B. in Gemeinden mit 5.000 bis 20.000 Einwohnern (BRD = 16,7 v. H.) und je 12,5 v. H. der B. in Gemeinden mit 2.000 bis 5.000 Einwohnern. In den Kleingemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern lebten in der SBZ 28,0 v. H. (BRD = 23,2 v. H.) der B.
Durch den Zugang der Heimatvertriebenen war die B.-Dichte (einschl. Sowjetsektor von Berlin) bis 1946 auf 170 (1939 = 155) Einwohner je qkm gestiegen; seit dieser Zeit sinkt sie beständig, während sie im Bundesgebiet durch die Aufnahme von Flüchtlingen und infolge des höheren Geburtenüberschusses steigt.
Die B.-Dichte variiert in den Bezirken zwischen 59 Einw./qkm (Neubrandenburg) und 349 Einw./qkm (Chemnitz). Für den Berliner Sowjetsektor wird Ende 1961 eine B.-Dichte von 2.619 Einw./qkm und für Berlin (West) von 4.569 Einw./qkm ausgewiesen.
[S. 79]Die Sexualstruktur hat sich in den letzten Jahren leicht gebessert. Nachdem vor dem Kriege auf je 100 männliche Personen 104 Frauen kamen, schnellte dieses Verhältnis nach der Volkszählung von 1946 auf 100:135 hoch. Zur Volkszählung von 1950 wurden auf 100 Männer noch 125 Frauen ermittelt. In den Jahren 1959, 1960 und 1961 wird ein gleichbleibend hoher Frauenüberschuß von 122 Frauen auf jeweils 100 Männer ausgewiesen. Im Bundesgebiet, einschließlich Berlin (West) ist das Verhältnis günstiger. Hier entfallen nach dem Stand von 1960 auf je 100 Männer nur 113 Frauen. Der Berliner Sowjetsektor weist mit 133 Frauen auf jeweils 100 Männer den größten Frauenüberschuß im sowjetischen Besatzungsgebiet aus.
Durch die Abwanderung von überwiegend jüngeren Jahrgängen hat sich der Altersaufbau der B. seit 1950 ungünstig entwickelt. Unter Berücksichtigung des Sowjetsektors von Berlin ist der Anteil der B. im Alter bis zu 14 Jahren mit 21,1 v. H. im Jahr 1950 und 21,2 v. H. im Jahr 1961 fast gleich geblieben. Die Jahrgänge von 15 bis 44 Jahren haben im gleichen Zeitraum von 40,8 v. H. auf 37,9 v. H. abgenommen. Ebenso die Altersgruppe von 45 bis 64 Jahren, die von 27,5 v. H. im Jahr 1950 auf 26,8 v. H. im Jahr 1961 zurückging. Lediglich der Teil der B. von über 65 Jahren hat nicht unbeachtlich von 10,6 v. H. auf 14,1 v. H. zugenommen. In der BRD, einschließlich Berlin (West) hingegen ist der B.-Anteil bis zu 14 Jahren von 21,6 v. H. im Jahr 1950 auf 27,3 v. H. im Jahr 1961 nicht unbeträchtlich angestiegen. In der gleichen Zeit nahm allerdings der Anteil der Personen zwischen 15 und 44 Jahren von 44,5 v. H. auf 32,5 v. H. ab, jedoch ist im Gegensatz zur Sowjetzone bereits der Anteil der B. im Alter von 45 bis 65 Jahren von 24,5 v. H. auf 27,9 v. H. gestiegen. Die Zunahme des Anteils der über 65jährigen von 9,4 v. H. im Jahr 1950 auf 12,3 v. H. im Jahr 1961 fällt hier nicht so ins Gewicht wie bei der Sowjetzone.
Das Verhältnis der Quote der Sterbefälle zu den Lebendgeburten ist im Bereich der SBZ viel ungünstiger als im Bundesgebiet (ohne Berlin West). Auf 1.000 Einwohner entfielen 1939 im damaligen Reichsgebiet 8,1 Lebendgeburten. In der SBZ war zunächst 1946 ein Sterbefall Überschuß von 12,4, für 1947 von 5,9 und für 1948 von 2,4 pro 1.000 der B. festzustellen. Erst ab 1949 trat mit 1,1 pro 1.000 der B. wieder ein geringer Überschuß ein. Wie die Tabellenübersicht zeigt, sinkt der Geburtenüberschuß seit 1955 abermals bedenklich ab und droht nach amtlichen sowjetzonalen Vorausberechnungen in den nächsten Jahren sogar völlig zu verschwinden.
[S. 80]
Der Anteil der nichtehelich geborenen Kinder lag 1956 bei 13,3 und 1961 bei 11,2 v. H. aller Lebendgeburten.
Der niedrige Geburtenzuwachs und die anhaltende Abwanderung hatten einen ungünstigen Einfluß auf die Sozialstruktur der B. Der Anteil der Personen im Rentenalter (Männer über 65 und Frauen über 60 Jahre) nimmt ständig zu. Andererseits sinkt der Anteil der Kinder unter 15 Jah[S. 81]ren und der B. im arbeitsfähigen Alter (Männer von 15 bis unter 65 und Frauen von 15 bis unter 60 Jahre) rapide ab. Während die B. zwischen dem 31. 8. 1950 und dem 31. 12. 1961 um rd. 1,3 Mill. abgenommen hat, nahm gleichzeitig die Zahl der Personen im Rentenalter um 528.500 (= 12,1 v. H.) zu. Die Zahl der Kinder unter 15 Jahren nahm im gleichen Zeitraum um 174.600 (= 4,1 v. H.) und die Zahl der im arbeitsfähigen Alter stehenden Einwohner um 1,663 Mill. (= 14,3 v. H.) ab.
Hinsichtlich der künftigen Entwicklung der B. sind für die SED-Planer erhebliche Schwierigkeiten entstanden. Zur Erfüllung der ehrgeizigen Wirtschaftspläne muß die B. einen entsprechend hohen Anteil an arbeitsfähigen Kräften stellen. Wie wiederholte Untersuchungen sowjetzonaler Stellen über die künftige wahrscheinliche B.-Entwicklung ergaben, ist vor 1980 nicht mit einer nennenswerten Besserung zu rechnen. Bis 1980 soll zwar die B. wieder auf fast 17,7 Mill. (d. h. um rd. 3,5 v. H.) zunehmen, jedoch wird der Anteil der B. im arbeitsfähigen Alter bis dahin lediglich um 0,1 v. H. ansteigen. Die Sexualproportion wird dann etwa ein Verhältnis aufweisen, das den heutigen Gegebenheiten im Bundesgebiet entspricht. Wenn 1961 auf 100 der Wohn-B. 58,5 Personen im arbeitsfähigen Alter kamen, werden es 1980 sogar noch etwas weniger, nämlich 57,1 Personen sein. Der Anteil der noch nicht arbeitsfähigen Einwohner nimmt auf 24,9 leicht zu, während der Anteil der Rentner mit 18,0 je 100 Einwohner fast konstant bleibt. Von dem wahrscheinlichen Zuwachs der B. um rd. 600.000 Personen entfallen etwa 117.000 (= 19,5 v. H.) auf Rentner, etwa 97.000 (= 16,2 v. H.) auf arbeitsfähige Personen und 386.000 (= 64,3 v. H.) auf Kinder bis zu 16½ Jahren im noch nicht arbeitsfähigen Alter. Durch den obligatorischen Besuch der „Zehnklassenschule“ werden weitere anderthalb Jahrgänge der Gruppe der im Erwerbsleben stehenden B. vorenthalten. Die Geburtenzuwachsrate wird zunächst in den Jahren 1970 bis 1972 mit 1,0 pro 1.000 der B. einen absoluten Tiefstand erreichen und bis 1980 nur auf 2,1 zunehmen. Sie wird damit noch immer um mehr als die Hälfte niedriger als 1961 sein. Trotz der schon erwähnten wahrscheinlichen Zunahme der B. um rd. 600.000 bis zum Jahr 1980 gilt es zu bedenken, daß der mit 17,7 Mill. vorausberechnete Bevölkerungsbestand dann immer noch um rd. 700.000 niedriger als im Jahr 1950 und um rd. 800.000 niedriger als nach dem Kriege, im Jahre 1946, sein wird.
Literaturangaben
- *: Die Bevölkerungsbilanz der sowjetischen Besatzungszone 1939 bis 1954. (BB) 1954. 51 S. mit 22 Anlagen.
- Kabermann, Heinz: Die Bevölkerung des sowjetischen Besatzungsgebietes — Bestands- und Strukturveränderungen 1950 bis 1957. (BB) 1961. 143 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 77–81
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