
Jugendweihe (1963)
Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Pseudosakraler, atheistischer Festakt, mit dem alle Jugendlichen beim Verlassen der Schule in das „aktive gesellschaftliche Leben“ aufgenommen werden sollen. Der Akt wird durch Jugendstunden vorbereitet, in denen die Jugendlichen im Geiste der Parteilichkeit“ in die pseudowissenschaftliche materialistische Weltanschauung des Bolschewismus eingeführt werden. Ihr Themenplan stützt sich vorwiegend auf sowjet. Literatur; aus ihm und aus den Anweisungen für die Leiter geht der atheistische Charakter der Jugendstunden eindeutig hervor.
Bei der J. verpflichten die Jugendlichen sich durch ein förmliches Gelöbnis, ihre „ganze Kraft für die große und edle Sache des Sozialismus einzusetzen“ und „mit dem Sowjetvolk und allen friedliebenden Menschen der Welt den Frieden zu sichern und zu verteidigen“ (Frieden). Die Veranstaltungen werden von Ausschüssen getragen, in denen die SED vorherrscht, und von „Betriebsaktivs (Aktiv) für J.“ unterstützt. Die J. soll freiwillig und mit den Kirchenpflichten (Konfirmation, Kommunion) vereinbar sein. Tatsächlich verstehen maßgebliche sowjetzonale Kommentare die J. als eine Verpflichtung auf die materialistische Weltanschauung und den Atheismus, und die Teilnahme aller Kinder an den Jugendstunden und der J. wird durch massiven Druck (vor allem über die Volksbildungsabt. der Räte) erzwungen (vgl. Rede Ulbrichts in Sonneberg vom 29. 9. 1957). Eine vom zentralen Ausschuß für J. 1961 veröffentlichte Materialsammlung bezeichnet die J. als „wichtiges Element im System der sozialistischen Bildung und Erziehung“ und als „festen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in unserem Arbeiter- und Bauernstaat“. Im Sinne der seit 1957 unverkennbaren Tendenz, das Weltanschauungsmonopol des kommun. geführten Regimes durchzusetzen („es gibt keine ideologische Koexistenz“), sollen die kirchlichen Feste und Amtshandlungen durch pseudosakrale Staatsakte ersetzt und verdrängt werden. 1960 sollen 87,8 v. H. der Schüler der 8. Klasse an J.-Feiern teilgenommen haben. Seit 1956 wird die J. in das Familienstammbuch eingetragen. (Namensweihe, sozialistische ➝Eheschließung, sozialistisches ➝Begräbnis)
Literaturangaben
- Jeremias, U.: Die Jugendweihe in der Sowjetzone. 2., erg. Aufl. (BMG) 1958. 120 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 227