DDR von A-Z, Band 1963

Moral, Sozialistische (1963)

 

 

Siehe auch:


 

Als Teil des ideologischen Überbaus (Marxismus-Leninismus) ist nach bolschewistischer Auffassung auch die Moral Ausdruck der Klasseninteressen. Es gibt demnach kein absolut Gutes und kein absolut Böses. Die traditionellen sittlichen Auffassungen der abendländischen Welt werden als einseitiger Niederschlag der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung interpretiert. Der bürgerlich-kapitalistischen M. setzte Lenin die SM. entgegen, die in der Erklärung gipfelt: „Alles, was notwendig ist, um die alte Gesellschaftsordnung der Ausbeuter zu vernichten und die Vereinigung des Proletariats herbeizuführen, ist moralisch.“ Dem entspricht die Erklärung der SED: „Nur der handelt sittlich und wahrhaft menschlich, der sich aktiv für den Sieg des Sozialismus einsetzt.“ Damit wird der schon in der Schule gepflegte Haß gegen die als „kapitalistisches Lager“ interpretierte westliche Welt ebenso wie die straff disziplinierte Unterordnung unter den Willen der Partei zur Grundlage der SM. Allerdings hat der Begriff der SM. in den letzten Jahren, seitdem Chruschtschow die neue Generallinie der Bolschewisten im Sinn des erbitterten wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes mit dem Westen festlegte (Koexistenz), einen bemerkenswerten Wandel durchgemacht. Als Hauptkriterium der SM. gilt nunmehr die Einstellung zur Arbeit; und der Kampf der Partei um die Durchsetzung und Hebung der SM. ist vor allem ein Kampf gegen die „kleinbürgerlichen“ Gewohnheiten, wie Eigenbrötelei, Individualismus, Ressortgeist, Gruppenegoismus. Demgegenüber soll die Bevölkerung zu einem Verhalten erzogen werden, das völlig am Kollektiv orientiert ist, auf maximale Produktionseffekte hinzielt und auf diese Weise das bolschewistische Lager weiter verstärken hilft. (Brigaden der sozialistischen Arbeit, Sozialistische ➝Gemeinschaftsarbeit). Unter anderen Bedingungen als in der SU, in einer Situation, in der die Mehrheit der Bevölkerung den Sozialismus Ulbrichtscher Prägung ablehnt, bemüht sich die SED, insbesondere seit dem V. Parteitag 1958, um die Erziehung des „neuen sozialistischen Menschen“, der sich in seinen ethischen Auffassungen und in seinen Handlungen an den Zehn Geboten der Sozialistischen Moral orientieren soll, die Ulbricht auf dem V. Parteitag verkündete. Sie besagen:

 

1. Du sollst dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen.

 

2. Du sollst dein Vaterland lieben und stets bereit sein, deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen.

 

3. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen.

 

4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen.

 

5. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen.

 

6. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren,

 

[S. 328]7. Du sollst nach Verbesserung deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen.

 

8. Du sollst deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen.

 

9. Du sollst sauber und anständig leben und deine Familie achten.

 

10. Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.

 

Gleichzeitig erklärt die SED-Propaganda, die 10 Gebote Gottes seien dazu erschaffen, Sklavenhalter und Feudalherren, Kapitalisten und Imperialisten zu unterstützen, und führten zu erbarmungsloser Ausbeutung, zu Unterjochung, zu Eroberungskriegen und zu Ausplünderungen. Ein Sozialist wisse, daß die 10 Gebote Gottes „im Mund der Kapitalisten, Imperialisten, der Klerikalen und der Militaristen nur Heuchelei sind und dazu dienen, den Werktätigen Sand in die Augen zu streuen“. Die 10 Gebote der sozialistischen Moral aber würden den Menschen glücklich und frei machen. (Jugendweihe, Namensweihe, sozialistische ➝Eheschließung, sozialistisches ➝Begräbnis, Haus- und Hofgemeinschaften)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 327–328


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.