DDR von A-Z, Band 1963

Periodisierung (1963)

 

 

Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Nach der marxistischen Theorie entwickelt sich die menschliche Gesellschaft in einer Kette von Klassenkämpfen. (Marxismus-Leninismus, Historischer Materialismus). Im Schoße der jeweils herrschenden Gesellschaftsordnung entsteht durch die Widersprüche in den Produktionsverhältnissen aus der unterdrückten Klasse der Träger der nachfolgenden neuen Gesellschaft. So entwickelt sich, Marx zufolge, im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft das Proletariat, die revolutionäre Vorkämpferin für den Sozialismus bzw. Kommunismus. Die gesellschaftliche Umwälzung erfolge jedoch nicht in einem Akt, sondern in bestimmten Etappen oder Perioden. Der proletarischen Revolution muß die erfolgreiche „bürgerlich-demokratische“ vorausgehen, die den Feudalismus beseitigt und durch die Errichtung der parlamentarischen Demokratie dem Proletariat ermöglicht, unter Ausnützung der bürgerlich-demokratischen Rechte die Voraussetzungen für die Diktatur des Proletariats zu schaffen. Nach Lenin greift die verzweifelt um die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft kämpfende Bourgeoisie u. U. auch zu brutalster Gewalt und absolutem Terror. Nach bolschewistischer Auffassung war der Nationalsozialismus ein solches System äußersten bourgeoisen Terrors, das dadurch möglich wurde, daß die bürgerlich-demokratische Revolution in Deutschland nach ihren 1848 erfolgten Ansätzen auch 1918 nicht vollendet wurde. Der halbfeudale Apparat der Militärorganisationen, der Verwaltung und Justiz blieb erhalten. Feudalismus, Militarismus und monopolkapitalistische Schwerindustrie gingen angeblich ein Bündnis ein, während die demokratischen Kräfte infolge mangelhafter Organisation und politischer Kurzsichtigkeit (mit Ausnahme der KPD) in diesem formal-demokratischen System nicht zur Geltung kamen.

 

Die erste Phase nach der Kapitulation von 1945 wird dementsprechend für die SBZ als Periode der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ bezeichnet, in der die „Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution“ auf der Tagesordnung stand. Diese Periode endete mit der Gründung der „DDR“ im Oktober 1949. Ihre wesentlichen Kriterien sind: Enteignung des Großgrundbesitzes (Bodenreform), Enteignung der Schlüsselindustrien, Banken und Versicherungen, Zerschlagung der Reste des alten Verwaltungs- [S. 359]und Justizapparates sowie die sog. demokratische Bildungsreform. Zugleich wurde ab Mitte 1948 durch die Umbildung der SED in eine bolschewistische Kaderpartei die Grundlage für die Inangriffnahme der „proletarischen Revolution“ geschaffen.

 

Mit der zwischen 1949 und 1952 durchgeführten Unterwerfung aller übrigen Parteien und Organisationen vollzog sich der Übergang von der „antifaschistisch-demokratischen“ Periode zur Volksdemokratie. Auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 wurde der „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ proklamiert. Völlige Zentralisierung der Verwaltung, strikte Unterordnung des Staatsapparates unter die Befehlsgewalt der SED, volle Verstaatlichung der Industrie und Teilkollektivierung der Landwirtschaft sind die entscheidenden Maßnahmen in dieser Periode.

 

Auf dem V. Parteitag der SED proklamierte Ulbricht den Übergang in die neue Phase der Vollendung des Sozialismus (neue, von Ulbricht hierfür angesichts der politischen und sozialen Rückschläge im Okt. 1962 geprägte Formel: „Umfassender Aufbau des Sozialismus“, wobei kein Termin für die „Vollendung“ genannt wird). In dieser Periode erfolgte im April 1960 der Abschluß der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Diese parteioffizielle P. unterschlägt allerdings die entscheidende Tatsache, daß diese gesellschaftlichen Prozesse, die die einzelnen Phasen kennzeichnen, keineswegs aus innerem Zwang, aus den Bedürfnissen und der Bereitschaft der Bevölkerung erfolgten, sondern als eindeutiges Diktat einer kleinen Minderheit. Dieses Diktat wurde zunächst von der Sowjet. Besatzungsmacht und später von der im Schutze ihrer Bajonette arbeitenden SED-Führung ausgeübt, der es bis heute nicht gelungen ist, die Mehrheit der Bevölkerung für ihre Ziele zu gewinnen und damit den Akt der „kalten Revolution“ zu legitimieren.

 

Literaturangaben

  • Mampel, Siegfried: Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands — Text und Kommentar. Frankfurt a. M. 1962, Alfred Metzner. 453 S.
  • Richert, Ernst (m. e. Einl. von Martin Drath): Macht ohne Mandat — der Staatsapparat in der SBZ. 2., erw. Aufl. (Schr. d. Inst. f. polit. Wissenschaft, Berlin, Bd. 11). Köln 1958, Westdeutscher Verlag. 349 S.
  • Stern, Carola: Porträt einer bolschewistischen Partei — Entwicklung, Funktion und Situation der SED. Köln 1957, Verlag für Politik und Wirtschaft. 372 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 358–359


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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