
Rechtsanwaltschaft (1963)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
„Der V. Parteitag der SED hat der R. die Aufgabe gestellt, sich zu einem sozialistischen Organ der Rechtstätigkeit in der DDR zu entwickeln.“ (Aus der „Konzeption für die Aufgaben der R. bei der Durchführung des Siebenjahrplanes“.) Die R. hat die Aufgabe, „die Organe der Staatsmacht zur Verwirklichung der Aufgaben des Siebenjahrplanes bewußt und planmäßig zu unterstützen. Damit dient die R. in der DDR dem Siege des Sozialismus, der Erhaltung des Friedens und ist Vorbild für eine gesamtdeutsche Anwaltschaft“ (ebenda). „Die R. braucht daher einen klaren parteilichen Standpunkt wie jeder, der in unserem Staat eine gesellschaftliche Funktion auszuüben hat.“ („Neue Justiz“ 1960, S. 397.)
Es bedurfte zahlloser Maßnahmen der SED-Machthaber, um zum gewünschten Ziel zu gelangen, nachdem noch 1951 in der R. „die langsamste Vorwärtsentwicklung und die unterentwickeltsten Formen einer neuen Gestaltung“ festgestellt wurden (Hilde ➝Benjamin in „Neue Justiz“ 1951, S. 51). Mit Entziehungen der Zulassung, Auftrittsverboten, Strafverfolgungen und Verhaftungen ging man gegen die Anwälte vor, die als „Verfechter bürgerlich-kapitalistischer Rechtsansichten“ angesehen wurden. Der Versuch, Anwaltskollektivs nach sowj. Muster auf freiwilliger Basis entstehen zu lassen, schlug fehl. Am 15. 5. 1953 erging die „VO über die Bildung von Kollegien der Rechtsanwälte (GBl. S. 725) mit einem „Musterstatut für die Kollegien der Rechtsanwälte“ als Anlage. „Als Offizialverteidiger und als beigeordneter Rechtsanwalt in Zivilprozessen kann nur ein Rechtsanwalt bestellt werden, der Mitglied eines Kollegiums der Rechtsanwälte ist” (§ 3 der VO). Die Dienststellen und Institutionen des Regimes sind angewiesen, „in allen Rechtsangelegenheiten, die die Mitwirkung eines Rechtsanwalts erfordern, nur Mitglieder der Kollegien der Rechtsanwälte zu beauftragen“ (§ 4 Abs. 1 der VO). Freiberuflich tätige Rechtsanwälte werden nicht mehr neu zugelassen. Weil der Widerstand gegen die Kollegien innerhalb der R. zu stark war, wurden vielerorts Volksrichter aus dem Justizdienst entlassen und mit der Bildung und Leitung der Kollegien beauftragt. Auch ein Teil des akademisch ausgebildeten Nachwuchses (Rechtsstudium) wurde in die Anwaltskollegien gelenkt. Am 1. 7. 1957 wurde im Justizministerium ein „Beirat für Fragen der R.“ gebildet. Kurz vorher war das Statut der „Zentralen Revisionskommission“ für die Rechtsanwaltskollegien vom Ministerium bestätigt worden. Die Leitung der Revisionskommission hat die Aufgabe, „die Verbindung mit dem Ministerium der Justiz aufrechtzuerhalten, seine Anregungen entgegenzunehmen und ihm über die Arbeit der Zentralen Revisionskommission zu berichten“. § 14 des Statuts gibt der Revisionskommission das Recht, „von den Vorsitzenden der Rechtsanwaltskollegien Berichte anzufordern. Die Vorstände und Zweigstellenleiter der Rechtsanwaltskollegien sind verpflichtet, den Revisionsgruppen über alle Fragen Auskunft zu geben, ihnen alle Unterlagen vorzulegen und sie in jeder Weise bei ihrer Arbeit zu unterstützen”. Damit ist für die Kollegien das Anwaltsgeheimnis praktisch beseitigt. Die Zentrale Revisionskommission erstellte im Mai 1960 eine „Konzeption für die Aufgaben der R. bei der Durchführung des Siebenjahrplanes“ (s. o.), die die allgemeinen Grundsätze und die Methoden der Arbeit der sozialistischen R. darlegt. Danach hat der Rechtsanwalt u. a. „bei der Anwendung des Rechts auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens einen aktiven Beitrag zur Vollendung der sozialistischen Umwälzung“ zu leisten, er muß „die Klassenkampfsituation, die Schwerpunkte des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens jn seinem Arbeitsbereich kennen, die gesellschaftliche Erziehung von Bürgern, die ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt haben, unterstützen“ und „sich politisch sowie fachlich ständig weiter qualifizieren und sich auf der [S. 386]Grundlage der Erkenntnisse des Marxismus-Leninismus mit den bürgerlichen Staats- und Rechtsanschauungen auseinandersetzen”. Diese Konzeption entspricht den Beschlüssen des V. Parteitages der SED und dem § 14 des am 1. 10. 1959 neu gefaßten Gesetzes über die Gerichtsverfassung: „Die Rechtsanwälte in der DDR haben durch ihre gesamte Tätigkeit zur Entwicklung des sozialistischen Rechtsbewußtseins der Bevölkerung und zur Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit beizutragen. Sie haben die Rechtsuchenden sachgemäß zu beraten und vor Gericht zu vertreten.“ Angesichts dieser grundsätzlichen Auffassungen und Bestimmungen wird klar, daß insbesondere dem Verteidiger im Strafverfahren jede echte anwaltliche Tätigkeit unmöglich gemacht wird. Viele Rechtsanwälte sind gerade deswegen aus der SBZ geflüchtet. In der SBZ und in Ost-Berlin gibt es zur Zeit 673 Rechtsanwälte, von denen schon mehr als zwei Drittel dem Kollegium angehören, während der Rest seinen Beruf noch frei ausübt. Den nicht freiberuflich tätigen Anwälten soll in planmäßiger Aufklärungs- und Erziehungsarbeit klargemacht werden, daß „die Perspektiven ihrer Entwicklung im Anwaltskollegium liegen“ („Neue Justiz“ 1958, S. 665). (Rechtswesen)
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
- Samson, Benvenuto: Grundzüge des mitteldeutschen Wirtschaftsrechts. Frankfurt a. M. 1960, Alfred Metzner. 146 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 385–386
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