
Staatsarchive (1963)
Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Das gesamte „staatliche“ Archivwesen der SBZ ist durch VO vom 13. 7. 1950 dem Ministerium des Innern (Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten) unterstellt. Aufsicht und Anleitung obliegen der ihm nachgeordneten Staatlichen Archivverwaltung (Sitz Potsdam). Das Deutsche Zentralarchiv (DZA) in Potsdam verwahrt im wesentlichen Aktenbestände deutscher Reichsbehörden und der seit 1945 aufgelösten zentralen Dienststellen der SBZ. Zurückgehalten werden dort u. a. Archivbestände der Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck. In der Abt. Merseburg des DZA sind die von Berlin-Dahlem im Kriege ausgelagerten Bestände des Preußischen Geh. St. und des Hohenzollernschen Hausarchivs untergebracht. Obwohl angestrebt wird, daß jeder der 14 Bezirke sein eigenes Staatsarchiv erhält, war es bisher nicht möglich, den 5 Landeshauptarchiven (LHA) ihre bisherige territoriale Zuständigkeit zu nehmen, die noch im wesentlichen der vor der Verwaltungsneugliederung bestandenen Einteilung in 5 Länder entspricht. Der Ausbau der bisher den LHA untergeordneten Landesarchive zu staatlichen Bezirksarchiven stieß auf verschiedene Widerstände. In den St. befinden sich etwa 200.000 laufende Meter Akten.
Das Fehlen von Investitionsmitteln für dringende Neubauten und der immer noch herrschende Mangel an gut geschulten Fachkräften hemmten die Ordnung und Erschließung des Archivguts. Offiziell wird das allgemein bemängelte „Zurückbleiben“ des Archivwesens auf die ungenügende Verbindung der Archivare zum dialektischen und historischen Materialismus zurückgeführt. In 7 ein- bis zweijährigen Lehrgängen wurden bisher 103 Anwärter für den höheren Archivdienst (Diplomarchivare) ausgebildet, doch teilweise mit unzureichendem politischen Erfolg. Die Ausbildung geschieht durch das 1950 begründete Institut für Archivwissenschaft (Sitz Potsdam). Durch AO vom 10. August 1961 wurde dieses der Philosophischen Fakultät, Fachrichtung Geschichte, der Humboldt-Universität in Ost-Berlin als selbständiges Institut angegliedert und ihm zugleich das Promotionsrecht in Archivwissenschaft verliehen. Eine Aufnahmekommission, bestehend aus SED-Mitgliedern, wacht darüber, daß von den Lehrgangsteilnehmern künftig „mindestens 60 %“ Arbeiter- und Bauernstudenten sind. Die Ausbildung ist im Gegensatz zu früheren Lehrgängen ausschließlich zweit- und drittrangigen Nachwuchsdozenten übertragen.
Zu Hilfskräften werden an der Fachschule für Archivwesen (Sitz Potsdam) ferner sog. „Staatlich geprüfte Archivare“ ausgebildet. Den Mangel an Fachkräften sucht man außerdem durch Sonderkurse und durch Fernstudienlehrgänge zu beheben, die die Teilnehmer wenigstens teilweise zur Promotion qualifizieren sollen.
Seitdem Schirdewan zum Leiter der Staatlichen Archivverwaltung ernannt ist, kann man eine starke Politisierung des gesamten Archivwesens beobachten. Die Direktorenkonferenz der Staatsarchive gab in einer Entschließung vom 11. Mai 1962 die Direktive, „durch Hinweise auf einschlägige Dokumente“ sollen die St. einen wesentlichen Beitrag „zur Entlarvung der Militaristen und Monopolisten und damit zur Demokratisierung Westdeutschlands leisten“. Archivbenutzern aus der BRD, von denen man meint, daß ihre Forschungen in diesem Sinne wirken könnten, wurde in fast freizügiger Weise der Zutritt zu den St. gestattet. Ansonsten wird Forschern aus der BRD und den westlichen Ländern die Benutzung der St. bis auf ganz wenige Ausnahmen verwehrt. Für Pensions-, Renten- und Versor[S. 454]gungsangelegenheiten besteht Auskunftssperre. Alle Familienforschung ist untersagt. Wissenschaftliche Anfragen haben wenig Aussicht auf Beantwortung. Trotz Verbots jeglicher wissenschaftlicher Kontakte zu entsprechenden Fachkreisen der BRD scheinen dennoch die Fäden nach dem Westen nicht gänzlich abgerissen zu sein, zumal die westliche Fachliteratur weiterhin als unentbehrlich empfunden wird.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 453–454
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