Strafpolitik (1963)
Siehe auch die Jahre 1962 1965 1966 1969 1975 1979
Eine richtige St. soll gewährleisten, daß die noch vorhandene Kriminalität mehr und mehr verschwindet und daß sich das sozialistische ➝Bewußtsein in vollem Umfange entfaltet. Um in der richtigen Weise mit strafrechtlichen Mitteln auf bestimmte Handlungen oder Unterlassungen reagieren zu können — um also eine richtige St zu treiben —, bedarf es einer ständigen Analyse der jeweiligen Situation im Klassenkampf. Anleitungen an die Richter für eine im Sinne der SED liegende St. hat es wiederholt gegeben. Von besonderer Bedeutung ist der Beschluß des Staatsrates „über die weitere Entwicklung der Rechtspflege“ vom 30. 1. 1961 (GBl. I, S. 3). Dieser ordnet an, daß „gegenüber Feinden der Arbeiter-und-Bauern-Macht und solchen Personen, die schwere Verbrechen im Auftrage oder unter Einfluß imperialistischer Agenturen begehen, die Gesetze mit aller Härte“ anzuwenden sind, während bei den anderen straffällig gewordenen Personen, deren Straftat zu ihrem sonstigen — politisch-sozialistischen — Verhalten in Widerspruch steht, „in der richtigen Weise zu differenzieren“ ist. Damit ist also das entscheidende Kriterium für eine strafrechtliche Sanktion und für die einer Straftat innewohnende Gesellschaftsgefährlichkeit darin zu sehen, ob der Täter als „Feind der Arbeiter-und-Bauern-Macht“ zu bezeichnen ist oder nicht.
In seiner Richtlinie Nr. 12 vom 21. 4. 1961 („Neue Justiz“ 1961, S. 289) erklärt das OG die Freiheitsstrafe als härteste staatliche Zwangsmaßnahme (neben der Todesstrafe) für notwendig „bei Verbrechen gegen den Frieden und die Deutsche Demokratische Republik, bei anderen schweren Verbrechen, insbesondere gegen das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung, und bei Verbrechen von Tätern, die aus bisherigen Bestrafungen keine Lehren gezogen haben oder sich hartnäckig einem geordneten Leben in der sozialistischen Gesellschaft entziehen“. Kurzfristige Freiheitsstrafen sollen in den Fällen verhängt werden, in denen der Charakter der Tat trotz des Fehlens schwerwiegender Folgen die sofortige kurzfristige Isolierung des Täters erfordert, um ihn der weiteren erzieherischen Einwirkung durch die Gesellschaft zugänglich zu machen. Strafen ohne Freiheitsentzug (bedingte Verurteilung, öffentlicher Tadel, Geldstrafe) erfordern eine „positive Grundhaltung des Täters zur Gesellschaft, zum sozialistischen Staat“. Sie sollen angewendet werden gegen Personen, „die aus zeitweiliger Undiszipliniertheit oder Pflichtvergessenheit, aus ungefestigtem gesellschaftlichem Verantwortungsbewußtsein, anderen rückständigen Auffassungen oder aus persönlichen Schwierigkeiten Straftaten begehen, ohne sich damit außerhalb der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu stellen.”
Die in dieser Richtlinie zum Ausdruck kommende starre Trennung und Gegenüberstellung zwischen der Freiheitsstrafe und Strafen ohne Freiheitsentziehung wurde von den beiden maßgebenden Strafrechtswissenschaftlern Lekschas und Renneberg abgelehnt. Sie stellten fest, daß jeglicher Kriminalität die Tendenz innewohne, „als Element gesellschaftlicher Anarchie und Zersetzung und damit zugleich als Anknüpfungspunkt und Reservoir innerer konterrevolutionärer Bestrebungen die politische Macht der Arbeiter und Bauern zu untergraben und namentlich unter den äußeren Einwirkungen des Klassenfeindes auch selbst in konterrevolutionäre, staatsfeindliche Aktivität umzuschlagen“ („Neue Justiz“ 1962, S. 76). Das Bemühen, die Strafpolitik mit diesen Hinweisen auf die objektiven Merkmale der Tat und die in ihr zum Ausdruck kommende Gesellschaftsgefährlichkeit zu orientieren, schlug fehl. Gerade nach den Sperrmaßnahmen des 11. 8. 1961 (Mauer) erschien es notwendig einen anderen Standpunkt einzunehmen, hätte man doch sonst eingestanden, daß sich die Zahl der tatsächlichen oder potentiellen „Staatsfeinde“ an der (leicht ansteigenden!) Kriminalitätsziffer ablesen ließe. Mit einem weiteren Beschluß vom 24. 5. 1962 (GBl. I, S. 53) legte der Staatsrat die St. in folgender Weise fest: „Die große Mehrzahl der in der DDR begangenen Gesetzesverletzungen beruht nicht auf einer feindlichen Einstellung geaen den Arbeiter-und-Bauernstaat. Die Anwendung der neuen Strafarten (bedingte Verurteilung, öffentlicher Tadel) und die Behandlung geringfügiger Gesetzesverletzungen durch Konfliktkommissionen gewinnen daher immer größere Bedeutung.” Kurz zuvor hatte das Oberste Gericht die Richtlinie Nr. 13 (Gesellschaftsgefährlichkeit) erlassen, um Mängel und Unklarheiten in der St. zu beseitigen (Rechtswesen, gesellschaftliche Erziehung, gesellschaftliche Gerichte)
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
- Samson, Benvenuto: Grundzüge des mitteldeutschen Wirtschaftsrechts. Frankfurt a. M. 1960, Alfred Metzner. 146 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 464
| Strafgesetzbuch | A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z | Strafrechtsergänzungsgesetz |