DDR von A-Z, Band 1963

Titoismus (1963)

 

 

Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966


 

Jugoslawien hatte sich während des zweiten Weltkrieges unter der Führung der kommun. Partei, mit Tito an der Spitze, mit einer durchorganisierten Partisanenarmee, im Gegensatz zu den übrigen Staaten des Ostblocks, von der Besetzung durch die deutsche Armee weitgehend selbst befreit. Daraus leitete die Staats- und Parteiführung Jugoslawiens, die sich zunächst wie alle anderen Satellitenstaaten dem Führungsanspruch der KPdSU unterworfen hatte, den Anspruch ab, den von Moskau genehmigten Sonderweg zum Sozialismus weiter zu beschreiten, als es Stalin genehm war. Es kam darüber zu Auseinandersetzungen mit Moskau und 1948 zur Kominform-Resolution, durch die Jugoslawien aus dem Verband der moskauhörigen Staaten ausgeschlossen wurde.

 

Tito bemühte sich danach, innenpolitisch den Beweis zu erbringen, daß das jugoslawische kommun. System der marxistischen Theorie mehr entspreche als das sowjetische. Die Selbstverwaltung der Arbeiter soll durch die Schaffung von Arbeiterräten verwirklicht werden, die einen unmittelbaren Einfluß auf die Produktion ausüben.

 

[S. 479]Lockere Preisgestaltung und zwischenbetriebliche Wettbewerbe bringen marktwirtschaftliche Gesichtspunkte in die Produktion. Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde nach 1948 weitgehend rückgängig gemacht, um die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. An die Stelle der Kolchosen sind neue Formen genossenschaftlicher Arbeit auf dem Lande getreten. Im Gegensatz zu den meisten Ostblockstaaten ist die westliche Presse zugelassen, Literatur und Filme aus dem westlichen Ausland werden in größerem Umfange als in der SU und in den Satellitenstaaten vertrieben. Außenpolitisch propagiert der T. bei fragloser Sympathie für die Grundzüge der sowjetischen Weltpolitik eine „blockfreie Politik“ und bemüht sich um die Schaffung einer „dritten Kraft“ unter enger Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Afrikas und Asiens, die in der Auseinandersetzung zwischen den Großmächten eine vermittelnde Rolle, aber im Sinne von Chruschtschows Politik der Koexistenz, spielen soll. In diesem Zusammenhang sucht sich Jugoslawien besonders auf freundschaftliche Beziehungen zu Indien, Ägypten und anderen von der Kolonialherrschaft befreiten Ländern zu stützen (Nationaldemokratien, Neutralität).

 

Unter Stalin wurden die jugoslawischen Kommunisten und inre Anhänger in den kommun. Parteien als „faschistische Agenten des Monopolkapitals“ bezeichnet, des Verrats am Sozialismus beschuldigt, verfolgt und in einigen Ostblockstaaten verurteilt und hingerichtet. Auch in der SBZ wurden ED-Funktionäre als angebliche Mitgl. einer titoistisch-faschistischen Verschwörung verhaftet und verurteilt. Die Annäherung der Sowjetunion an Tito, die nach Stalins Tod mit dem Besuch Chruschtschows und Bulganins 1955 in Jugoslawien eingeleitet worden war, bedeutet indes keinerlei Kompromiß in Fragen der Ideologie und der Sozialordnung. In letzter Zeit wird der T. besonders scharf von den chinesischen und albanischen Kommunisten angegriffen. (Nationalkommunismus, Revisionismus)

 

Literaturangaben

  • Leonhard, Wolfgang: Sowjetideologie heute, Bd. II — Die politischen Lehren (Fischer-Bücherei, 461). Frankfurt a. M., 1962. 328 S.
  • Brzezinski, Zbigniew K.: Der Sowjetblock — Einheit und Konflikt (a. d. Amerik.). Köln 1962, Kiepenheuer und Witsch. 581 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 478–479


Titel A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z TKO

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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