Außenpolitik (1963)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 53]Von einer A. der SBZ kann erst seit Errichtung der „DDR“ (7. Oktober 1949) gesprochen werden. Gemäß Verfassung soll der Außenminister die auswärtige Politik „selbständig unter eigener Verantwortung“ gegenüber der Volkskammer (Art. 98, 2) leiten. Die A. ist jedoch völlig nach der sowjet. A. ausgerichtet. Die SBZ unterhält diplomatische Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks, ferner mit den kommun. Staaten Jugoslawien und Kuba. Ihre Botschafter und Gesandten haben im wesentlichen nur repräsentative Pflichten. Wie im gesamten Ostblock besteht auch in der SBZ eine Zweigleisigkeit der A., da unabhängig vom Außenministerium die SED (Abt. Außenpolitik und Internationale Verbindungen im ZK der SED) mit den kommun. Parteien des Auslandes Fragen der A. behandelt.
Die enge außenpolitische Bindung an den Ostblock hat zu Verträgen mit der SU und anderen Staaten dieses Blockes geführt. Sehr wichtig sind: 1. die Abkommen mit Polen vom 6. 6. und 6. 7. 1950; sie gliedern sich in einen Vertrag über technisch-wissenschaftliche und über kulturelle Zusammenarbeit sowie das Grenzabkommen (Oder-Neiße-Linie), 2. der Vertrag mit der Tschechoslowakei vom 23. 6. 1950, der behauptet, „daß es zwischen beiden Staaten keine Streitigkeiten und offenen Fragen gibt“ und daß die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei „unabänderlich, gerecht und endgültig“ sei. Diese Abkommen wurden durch Wirtschaftsverträge ergänzt (Außenhandel). Mit der Teilnahme der Regierung der SBZ an der Prager Konferenz der Ostblockstaaten, deren Ergebnisse in den sog. „Prager Beschlüssen“ vom 21. 10. 1950 niedergelegt sind, wurde die außenpolitische Einbeziehung in den Ostblock auch formell beendet (wichtigster Inhalt der Prager Beschlüsse: Die Deutschland-Beschlüsse der New Yorker Außenministerkonferenz der drei Westmächte vom 19. 9. 1950 werden für rechtswidrig und international ungültig erklärt; gefordert wird u. a. die Errichtung einer deutschen Zentralregierung, zu der die SBZ die Hälfte der Mitglieder bestimmt). Die A. blieb von der SU abhängig, wenn auch die SU die „DDR“ (seit 23. 3. 1954) als „souveränen Staat“ bezeichnet (Souveränität).
Die Prager Konferenz von Vertretern Polens, der Tschechoslowakei und der „DDR“ (Dez. 1954) verstärkte die Abhängigkeit der SBZ vom Sowjetlager, indem sie gemeinsame Rüstungsvorkehrungen gegen die westeuropäische Abwehrorganisation beschloß. Nur eine formale Geste war es, als die SU den Kriegszustand mit Deutschland für beendet erklärte (25. 1. 1955) und Polen, die Tschechoslowakei und andere Satelliten diesem Beispiel folgten. Am 14. 5. 1955 schlossen die Staaten des Sowjetblocks, zu denen als 8. Partner die SBZ hinzugezogen war, in Warschau einen Beistands- und Rüstungspakt (Warschauer Beistandspakt) gegen die Abwehrbemühungen der nichtkommun. Staaten Europas und unterstellten sich offen dem Oberbefehl eines Sowjetmarschalls (Konjew). Um die Empfindlichkeit der Westmächte zu schonen und weil die SU an der Zuverlässigkeit der Waffenträger der SBZ zweifelte, wurde die „DDR“ jedoch noch nicht offen in die Abmachungen einbezogen. Dies wurde am 28. 1. 1956 nachgeholt. Damit sollte die „DDR“ noch fester an das Sowjetlager gebunden und der Wiedervereinigung ein weiterer Stein in den Weg gelegt werden. (Spaltung und Wiedervereinigung Deutschlands) Der Moskauer Vertrag zwischen der SU und der „DDR“ (20. 9. 1955) bestätigte die „Souveränität“ der „DDR“ und nannte sie „frei in der Entscheidung über Fragen ihrer Innenpolitik und Außenpolitik“. Die Besetzung der SBZ wurde als „zeitweilig … mit Zustimmung der Regierung der DDR“ bezeichnet. Damit wollte die SU 1. die Stellung der SED stärken; 2. im Hinblick auf die Aufnahme diplomatischer Bezie[S. 54]hungen zwischen der SU und der Bundesrepublik (13. 9. 1955) die SBZ als gleichberechtigten Verhandlungspartner gegenüber der Bundesrepublik hinstellen; 3. in bezug auf die „entspannende“ Konferenz der Regierungschefs in Genf (August 1955) der SBZ eine internationale souveräne Rolle zu spielen. — Um die Finanz- und Wirtschaftsnot der SBZ zu beheben und sie neben der Bundesrepublik wettbewerbsfähig zu machen, erließ die SU ihr am 17. 7. 1956 die Hälfte der Besatzungskosten und gewährte ihr beträchtliche Kredite. Wie auf allen internationalen Konferenzen seit 1954 betonte die Regierung der SU auch bei dieser Gelegenheit, die „DDR“ müsse, unberührt von gesamtdeutschen Wahlen und bereits vor solchen, als rechtmäßiger und gleichberechtigter deutscher Teilstaat anerkannt werden. Das Regime der SBZ ist ständig bemüht, auch mit nichtkommun. Staaten Handelsabkommen abzuschließen, um auf diesem Wege allmählich auch als souveräner diplomatischer Partner anerkannt zu werden.
Immer wieder, z. B. in der Regierungserklärung des Außenministers Dr. Bolz vom 28. 8. 1958, erhebt die „DDR“ den Anspruch, als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches anerkannt zu werden. Ihre Bemühungen, in möglichst vielen Staaten, die der SBZ diplomatische Beziehungen verweigern, wenigstens regierungsamtlich anerkannte Handelsvertretungen zu errichten, blieben nicht erfolglos. Doch nur vier Staaten, Ägypten (= VAR), Finnland, Indonesien und Irak, richteten auch ihrerseits Handelsvertretungen in der SBZ ein. „Handelsvertretungen der DDR“ bestehen in Ägypten, Algerien, Argentinien (am 13. 9. 1962 als unerwünscht geschlossen), Brasilien, Burma, Ceylon, Columbien, Finnland, Ghana, Guinea, Indien, Indonesien, Irak, Jemen, Kambodscha, Kuba, Libanon, Österreich, Mali, Marokko, Sudan, Syrien, Tunesien, Uruguay. — Als Generalkonsulat wird die Handelsvertretung bezeichnet in: Ägypten, Burma, Finnland, Guinea, Indonesien, Irak und Kambodscha; als Konsulat in Syrien.
In einigen anderen Staaten erreichte die SBZ nur die Zulassung von Vertretungen der Kammer für ➝Außenhandel: in Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Island, Italien, in den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Türkei.
Die A. der SBZ verfolgt ihr Ziel, im Sinne des sowjet. Imperialismus zu wirken, auch mit jener propagandistischen Form außenpolitischer Aktivität, die der Ausschuß für deutsche Einheit z. B. wie folgt umschrieb: „Ein wichtiger Grundsatz der Außenpolitik der DDR ist die Zusammenarbeit mit den friedliebenden, demokratischen Kräften in allen Ländern und vor allem die Aktionseinheit der deutschen Arbeiterklasse mit der internationalen Arbeiterklasse.“
Seit dem Frühjahr 1957 zielt die unter dem Schlagwort Koexistenz geführte sowjet. Propaganda darauf ab, die atomaren Verteidigungswaffen von NATO-Truppen zu diffamieren. Seitdem ist die A. der SBZ noch enger als vorher mit dem „Friedenskampf“ (Frieden) des Sowjetblocks verknüpft. So schlug die Regierung der SBZ am 3. 4. 1957 der Bundesregierung vor, sie solle alle Atomwaffen ablehnen, einschließlich derer, die zur Ausrüstung von nichtdeutschen NATO-Truppen auf dem Boden der Bundesrepublik gehören. Am 27. 7. 1957 legte sie diesen Plan der Bundesregierung noch einmal vor und forderte als Voraussetzung für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa das „Ausscheiden der beiden deutschen Staaten aus der NATO und aus dem Warschauer Vertrag, Aufhebung der Wehrpflicht und Vereinbarung über die beiderseitige Truppenstärke; gemeinsames oder einzelnes Ersuchen an die vier Mächte auf baldige schrittweise Zurückziehung ihrer Truppen aus ganz Deutschland“.
[S. 55]Die A. der SBZ arbeitet seit dem 5. 10. 1957 mit jenem Vorschlag für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa, der mit dem Namen des polnischen Außenministers Rapacki verbunden ist. Dieser Vorschlag wurde z. B. am 11. 12. 1957 wieder aufgegriffen. An diesem Tage übernahmen Regierung und Volkskammer das von der KPdSU diktierte Moskauer „Friedensmanifest der kommunistischen und Arbeiterparteien“ und forderten „eine breite atomwaffenfreie Zone im Herzen Europas“.
A. und parteipolitische Klassenkampf-Agitation sind, wie in allen Staaten des Sowjetblocks, auch in der SBZ eng miteinander verbunden. Das SBZ-Regime versucht ständig, seine Forderungen zur A. vorzutragen. Eine Gelegenheit bot die Genfer Außenministerkonferenz der vier Mächte vom Mai bis Juli 1959, die durch die ultimativen Erklärungen der SU (seit 10. 11. 1958) gegen den Vier-Mächte-Status Berlins herbeigeführt worden war. Wie die Regierungserklärung vom 9. 9. 1959 rückblickend betonte, suchte die SBZ zu erreichen, „daß Verhandlungen über Deutschland ohne die Teilnahme beider deutscher Staaten unmöglich sind“. Sie erstrebte „ihre De-facto-Anerkennung durch die Westmächte“. Dabei vermied das Regime wohlweislich die Probe, wie die Bevölkerung sich in geheimen, international kontrollierten Wahlen, vor allem in Mehrlistenwahlen, zu seiner Politik stellen würde. Es versuchte, die Bundesregierung als gefährliche militaristische und chauvinistische Angriffsmacht hinzustellen (Auslandspropaganda).
Seit der Sprengung der Pariser „Gipfelkonferenz“ (Mai 1960) durch die SU agitiert das Regime der SBZ noch heftiger für atomare und nichtatomare Abrüstung und bezeichnet die Bundesrepublik als einzigen Störenfried. Die SBZ wolle, so beteuerte Walter ➝Ulbricht am 26. 9. 1960, „die Sicherung des Friedens und die Abrüstung“. Weiter behauptete Ulbricht in dieser Erklärung zur A.: „Es stehen sich … gegenüber: die friedliebende DDR und die Friedenskräfte in Westdeutschland auf der einen Seite, die Revanchisten und Militaristen mit ihrer Bundesregierung in Westdeutschland auf der anderen Seite.“
Ferner erstrebt die SED nicht nur eine Koexistenz im Sinne der SU und eine Konföderation zwischen der „DDR“ und der Bundesrepublik. Sie tritt auch immer wieder (gemäß Vorschlag der SU vom 10. 1. 1959) für einen Friedensvertrag ein, der die Bundesrepublik (ohne vorherige geheime gesamtdeutsche Wahlen) von westlichen Truppen entblößen, aus der NATO lösen und ihr rasch das Schicksal der SBZ bereiten würde. Ein solcher Vertrag soll auch den Westteil Berlins zur „Freien Stadt“ machen, als erster Schritt zur Einverleibung in die SBZ.
Um den Ostblock zu stärken und ihre eigene Stellung zu festigen, versucht die SBZ, vor allem in Afrika und Vorderasien, Hilfe für Entwicklungsländer zu geben. Diese Versuche sollen der A. und dem Außenhandel dienen. Ihre Wirksamkeit in Übersee ergänzt sie durch die propagandistische Behauptung, die Bundesrepublik entfalte einen Neukolonialismus, der durch seine Tarnung doppelt gefährlich sei.
Die Propaganda-Stichworte und Ziele, mit denen die SBZ seit Errichtung der Mauer A. zu betreiben versucht, faßte die Regierung in der Denkschrift zusammen, die sie am 27. 9. 1961 an die 16. Vollversammlung der UN richtete. Sie behauptete dort, die Bundesregierung treibe Revanchismus, indem sie die Wiedereroberung der 1945 abgerissenen deutschen Ostgebiete plane und die 1919 abgetretenen Kolonien zurückverlange. Das Regime der SBZ forderte, die Bundesregierung solle der Neutralisierung (Bündnisfreiheit) beider Teile Deutschlands zustimmen. Denn „die militärische Neutralität beider deutscher Staaten würde durch die Heraushaltung ganz Deutschlands aus dem atomaren Rüsten, durch den Abzug der ausländischen Truppen und die Beseitigung ihrer Stütz[S. 56]punkte sowie durch den schließlichen Austritt der beiden deutschen Staaten aus den jeweiligen Militärgruppierungen gewährleistet“ werden. (Damit sollen die nicht von der SED beherrschten drei Viertel des deutschen Volkes schutzlos der Übermacht des Ostblocks ausgeliefert werden.) Die Bundesregierung solle darauf verzichten, Selbstbestimmung für die Bevölkerung der SBZ und Berlins zu verlangen, da sie damit nur ihre gewalttätigen Absichten gegen die SBZ tarne. Die Bundesrepublik müsse einem Friedensvertrag (natürlich nach den sowjetischen Richtlinien vom 10. 1. 1959) zustimmen, der alle die Veränderungen bekräftigt, die die SU und die SED seit 1945 in Deutschland bewirkt haben.
Immer wieder wird seitens des Regimes (so von Otto ➝Winzer am 27. 5. 1962 im „Neuen Deutschland“) „die Anerkennung der Souveränität der DDR“ für notwendig erklärt. Am 3. 10. 1962 wagte es Ulbricht (auf der 17. Volltagung des ZK der SED), die Sperrmauer in Berlin und die mörderische Abschnürung der SBZ von der Bundesrepublik als „Maßnahmen zum Schutze der Grenzen“ zu bezeichnen. Der „Ausbau der DDR als Bastion des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus“, so bemerkte er, habe in Westdeutschland jene Kräfte gestärkt, die die „Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten“ wünschen. — Die Machthaber der SBZ versuchen immer wieder, für ihre Gewaltpolitik gegen den sowjetzonalen Teil des deutschen Volkes eine völkerrechtliche Anerkennung zu erlangen. Sie wollen vor allem gleichberechtigt neben die Bundesrepublik treten.
Literaturangaben
- Dallin, David J.: Die sowjetische Außenpolitik seit Stalins Tod (a. d. Amerik.). Köln 1961, Kiepenheuer und Witsch. 640 S.
- Meissner, Boris: Das Ostpaktsystem (Dokumente, hrsg. v. d. Forschungsstelle für Völkerrecht … der Universität Hamburg, H. 18). Frankfurt a. M. 1955, Alfred Metzner. 208 S.
- Der Warschauer Pakt — Dokumentensammlung. Hrsg. von Boris Meissner (Dokumente zum Ostrecht, Bd. 1). Köln 1961, Verlag Wissenschaft und Politik. 205 S.
- : Die Bemühungen der Bundesrepublik um Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch gesamtdeutsche Wahlen. Dokumente und Akten. (BMG), I. Teil (4., erw. Aufl.) 1958. 153 S.; II. Teil (erw. Neuaufl.) 1958. 290 S.; III. Teil: Systemat. Regist. 2., verb. Aufl. 1961. 58 S. Je eine englische und eine französische Ausgabe in einem Bande enthält die in den beiden deutschen Sammlungen zusammengestellten Dokumente und Akten bis Januar 1954.
- Bürger, G. A.: Die Legende von 1952 — zur sowjetischen März-Note … 3. Aufl., Celle 1962, G. Rautenberg. 76 S.
- Deuerlein, Ernst: Deutschland, wie Chruschtschow es will… Sowjetische Deutschlandpolitik 1955 bis 1961. Bonn 1961, Berto-Verlag. 217 S.
- Dokumente zur Deutschlandpolitik, III. Reihe, Bd. 1 (5. Mai bis 31. Dez. 1955), bearb. v. Ernst Deuerlein und Hansjürgen Schierbaum. (BMG) Frankfurt a. M. 1960, Alfred Metzner. 952 S.
- Dokumente zur Deutschlandpolitik, III. Reihe, Bd. 2 (1956), in 2 Halbbänden (1963), zus. ca. 1210 S.
- Erfurt, Werner: Die sowjetrussische Deutschlandpolitik. 6., erw. Aufl., Eßlingen 1962, Bechtle. 275 S.
- Meissner, Boris: Rußland, die Westmächte und Deutschland. Die sowjetische Deutschlandpolitik 1943–1953. Hamburg 1953, Nölke. 375 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 53–56
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