DDR von A-Z, Band 1963

Hochschulen (1963)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979


 

Die H. unterstanden bis 1951 dem Ministerium für Volksbildung und den Volksbildungsministerien der Länder. Durch Verfügung vom 22. 2. 1951 wurde ein Staatssekretariat für das Hochschulwesen geschaffen, dem 1958 auch die Fachschulen unterstellt wurden. Der sogen. Demokratisierung in der Zeit der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ (ab 1945/46) folgte mit der Hochschulreform des Jahres 1951 die Phase der organisatorischen Vorbereitung der „sozialistischen H.“, in der das traditionelle Hochschulwesen in Orientierung am sowjet. Schulwesen erheblich verändert worden ist. Die 3. Hochschulkonferenz der SED vom 28. 2. bis 2. 3. 1958 leitete dann die z. Z. laufende 3. Phase der Hochschulpolitik ein. Ihr Leitbild ist die „sozialistische Hochschule“. Das Ergebnis dieser Politik läßt sich durch folgende Merkmale kennzeichnen:

 

1. Im Gesetz über den Siebenjahrplan (1959–1965) wird den Universitäten und H. die Aufgabe gestellt, wissenschaftlich hochqualifizierte Fachleute auszubilden, die den neuesten Stand der wissenschaftlich-technischen Erkenntnis beherrschen, über die Fähigkeit verfügen, ihre Kenntnisse in die Praxis des sozialistischen Aufbaues einzusetzen, erfolgreich im sozialistischen Kollektiv zu arbeiten und eine leitende Tätigkeit in Staat, Wirtschaft und Kultur auszuüben. [S. 202]Diese Zielsetzung umfaßt auch eine politische Erziehung der Studenten. An die Stelle des traditionellen Postulats der Einheit von Forschung und Lehre ist die Forderung der Einheit von Forschung, Lehre und Erziehung getreten. Sie zielt auf eine „sozialistische Erziehung“ der jungen Intelligenz und mit ihr auf eine Synthese von ergebenem Parteigänger und wissenschaftlich qualifiziertem Fachmann.

 

2. Der Marxismus-Leninismus besitzt die Monopolstellung. Seit 1950/51 sind die Studierenden verpflichtet, ein Studium der Parteiideologie im Rahmen des gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums zu absolvieren. Dem entspricht der ständig zunehmende Druck, jene Wissenschaften im Geiste des Marxismus-Leninismus umzugestalten, die der Kategorie der Gesellschaftswissenschaften zugerechnet werden: insbesondere die Philosophie, die Geschichts-, Rechts-, Staats-, Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften. Der Einfluß auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen ist nicht so tiefgreifend: mehr ihre Voraussetzungen und Horizonte beeinflussend, hat der Marxismus-Leninismus ihre Orientierung an der internationalen Forschung eher begünstigt als gehemmt.

 

3. Die Gestaltung des Studiums folgt dem Prinzip der Parteilichkeit des Denkens und dem der Einheit von Theorie und „sozialistischer“ Praxis. Beide Prinzipien geben nicht nur eine Richtschnur für die Stoffauswahl, die Wahl der Themen für Prüfungsarbeiten aller Art, sondern auch für die Behandlung der einzelnen Wissenschaftsgebiete. Die Hochschulen — vor allem technische Fachrichtungen, Chemie und Wirtschaftswissenschaften — sind dazu übergegangen, Kontakte mit verschiedenen Gebieten der „sozialistischen Praxis“ aufzunehmen. Studenten werden bei verschiedenen praktischen Vorhaben (z. B. bei der „sozialistischen Rekonstruktion“, der betrieblichen Planung usw.) beteiligt: Senate und Fakultäten haben besondere Kommissionen für diese Verbindung des Studiums mit der Praxis geschaffen.

 

Stark auf die Probleme der späteren beruflichen Praxis ausgerichtet, bemüht sich die sowjetzonale Hochschulpolitik um Ausbildungsformen, die eine Teilnahme des Studenten an der für sein Fach relevanten Praxis ermöglichen. So wird das landwirtschaftliche Studium im Wechsel von Direkt- und Fernstudium durchgeführt. Dadurch wird eine Verbindung zwischen der theoretischen Ausbildung und der unmittelbaren Produktionstätigkeit der Studenten in LPG und VEG hergestellt. Entsprechende Bestrebungen in bezug auf die Ausbildung der Technologen, Wirtschafts-, Staats- und Rechtswissenschaftler sind bemerkbar.

 

4. Die Organisation des Studiums und des studentischen Lebens zielt auf eine Erziehung für und durch das Kollektiv. Neben den obligatorischen Seminargruppen sind seit 1954 zahlreiche wissenschaftliche Studentenzirkel und Forschungsgemeinschaften unter Beteiligung von Studenten gebildet worden.

 

5. Bei der Auslese der Studenten sind bisher Arbeiter- und Bauernkinder bevorzugt worden. Daneben werden neuerdings „vorrangig“ zugelassen: Bewerber, die mehrere Jahre in der „sozialistischen Wirtschaft“ oder in staatlichen und „gesellschaftlichen“ Einrichtungen gearbeitet haben und von ihren Betrieben zum Studium delegiert werden, sowie Bewerber, die als ehemalige Soldaten von den Einheiten der „bewaffneten Organe“ empfohlen werden. Anteil der Arbeiter bzw. Arbeiterkinder 1961: 50,3 v. H. (Direktstudium); im Fern- und Abendstudium dagegen nur 10,2 und 11,7 v. H.

 

6. Die Auswahl der Dozenten wird durch das Staatssekretariat gelenkt. Ziel ist die Schaffung eines parteiergebenen Lehrkörpers, in dem die überzeugten Marxisten-Leninisten dominieren.

 

7. Das organisatorische Gefüge der H. ist weitgehend dem des sowjet. Hochschulwesens angeglichen worden. Schon die „Vorläufige Arbeitsordnung der Universitäten und wissenschaftlichen H.“ (1949) beseitigte die Kuratorial-Verfassung und erweiterte die Befugnisse des Rektors sowie die Einflußmöglichkeiten der Behörden. Die verheißene akademische Selbstverwaltung konnte sich angesichts der Macht der SED-Führung nicht entwickeln. Alle akademischen Wahlen werden nach Bedarf manipuliert, jede Maßnahme der akademischen Organe ist Produkt der indirekten und direkten Lenkung durch die Partei und das Regime. Diese Steuerung wird dadurch erleichtert, daß die Vors. bzw. die Vertr. der Universitätsparteileitung, der FDJ-Hochschulgruppe und Betriebsgewerkschaftsleitung in Senaten und Fakultäten Sitz und Stimme haben. Neben dem Rektor, der für die gesamte Leitung und Verwaltung der H. verantwortlich ist, stehen ernannte Prorektoren mit bestimmten Funktionen (für das Gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium, die Forschungsangelegenheiten, den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Studienangelegenheiten, d. h. die Angelegenheiten der „Kaderpolitik“ und das Fernstudium). Die Fakultäten sind in Fachrichtungen aufgegliedert worden (z. B. Geschichte, Germanistik), geleitet von Fachrichtungsleitern.

 

[S. 203]8. Die H. werden von den Universitätsparteileitungen der SED und den von ihnen „angeleiteten“ FDJ-Hochschulgruppen kontrolliert. Sie besitzen auch die dominierende Stellung bei der Organisation des studentischen Lebens an den H.

 

9. Die SBZ hat vier Studienarten entwickelt: Direkt-, Fern-, Abend- und das kombinierte Studium (z. B. das Studium der Agrarwissenschaften).

 

10. Das Studium erfolgt an allen H. nach festen, für Studierende und Dozierende verbindlichen Studienplänen im 10-Monate-Studienjahr. Die Masse der Studenten ist im Interesse der besseren Überwachung in kleine Seminargruppen aufgeteilt worden (20 bis 30 Mitgl.). Das Ergebnis ist ein schulmäßiger Betrieb, der zwar ein regelmäßiges Lernen garantiert, aber das geforderte „Selbststudium“ hemmt. Die „Aneignung“ des Stoffes wird durch alljährliche Zwischenprüfungen kontrolliert. Nach bestandener Diplomprüfung bzw. nach bestandenem Staatsexamen (akademische Grade) erfolgt „Einsatz“ der Absolventen entsprechend dem von der Plankommission zu bestätigenden Plan der Einweisung der Absolventen in die Bereiche der einzelnen „Bedarfsträger“.

 

11. Die Studierenden haben während des Studiums eine vormilitärische und militärische Ausbildung zu absolvieren (GST).

 

Die Zahl der Direktstudenten hat sich von 27.822 im Jahre 1951 auf 74.205 im Jahre 1961 erhöht. Am Fernstudium beteiligten sich 1961 25.335, am Abendstudium 2.533, am kombinierten Studium 5.907 Studierende. Insgesamt 112.929. Technische Wissenschaften studieren (1961) 25.816, Pädagogik 28.052, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft einschließlich Publizistik 19.584, Medizin 12.951, Mathematik, Naturwissenschaften 9.905, Land- und Forstwirtschaften 8.942 Studierende (in allen Studienarten). Zahl der Absolventen im Direktstudium (1961): 9.382, davon Absolventen der Technischen Wissenschaften: 2.123.

 

b:Universitäten und Wissenschaftliche Hochschulen:

 

 

1. Humboldt-Universität zu Berlin;

 

2. Karl-Marx-Universität zu Leipzig;

 

3. Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg;

 

4. Friedrich-Schiller-Universität in Jena;

 

5. Universität Rostock;

 

6. Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald;

 

7. Technische Universität Dresden;

 

8. Bergakademie Freiberg.

 

(Fachhochschulen)

 

Literaturangaben

  • Baumgart, Fritz: Das Hochschulsystem der sowjetischen Besatzungszone. (BMG) 1953. 31 S.
  • Kludas, Hertha: Zur Situation der Studenten in der Sowjetzone. (BMG) 1957. 55 S.
  • Lange, Max Gustav: Wissenschaft im totalitären Staat. Die Wissenschaft der sowjetischen Besatzungszone auf dem Weg zum „Stalinismus“, m. Vorw. v. Otto Stammer (Schr. d. Inst. f. pol. Wissenschaft, Berlin, Bd. 5). Stuttgart 1955, Ring-Verlag. 295 S.
  • Müller, Marianne, und Egon Erwin Müller: „… stürmt die Festung Wissenschaft!“ Die Sowjetisierung der mitteldeutschen Universitäten seit 1945. Berlin 1953, Colloquium-Verlag. 415 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 201–203


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.