Revisionismus (1963)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 406]Geschichtlich die an Ed. Bernstein anknüpfende Theorie deutscher Sozialdemokraten seit 1900, daß der orthodoxe Marxismus überholt und durch eine zeitgemäßere Theorie zu revidieren sei. Im Bolschewismus wird jede Auffassung, die die Parteidogmen für nicht absolut verbindlich erachtet und demgegenüber abgewandelte Zeit- oder Sozialumstände geltend macht, als R. bekämpft. Der R. spalte die „Einheit der Arbeiterklasse und ihrer Partei“ und vermindere die geballte Kraft der massierten Bewegung. Insofern arbeite er dem „Klassenfeind“ in die Hand. Der R. gilt, im Gegensatz zu dem Sektierertum, einer „linken“ Abweichung, als gefährlichste „rechte“ Abweichung, besonders seit dem XX. Parteitag der KPdSU mit der Verdammung eines Teils der Lehren Stalins hat der R. innerhalb des Ostblocks erheblichen Auftrieb bekommen, da hiermit zum erstenmal die Partei selber „revisionistisch“ vorgegangen ist. Seitdem hat der R. auch in der SBZ, besonders unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse in Polen und Ungarn im Herbst 1956, der Führung verstärkte Schwierigkeiten bereitet, zumal Ulbricht als einer der Hauptexponenten des „harten“ Kurses — etwa im Gegensatz zu der Polnischen Arbeiterpartei Gomulkas oder gar zu Tito — die Kritik am Stalinismus möglichst zu dämpfen bestrebt war. Besonders unter den parteiergebenen Philosophen, Historikern und Ökonomen haben sich in den Jahren 1956 bis 1957 revisionistische Tendenzen breit gemacht, so unter dem Einfluß von Georg ➝Lukács bei Wolfgang ➝Harich, bei den Historikern Jürgen ➝Kuczynski und Streisand, den Ökonomen Fritz ➝Behrens, Arne ➝Benary, Oelßner, Kohlmey und Vieweg.
Hauptgesichtspunkte der revisionistischen Kritik sind dabei die Thesen gewesen: man müsse den Sozialismus „vermenschlichen“ — Blochschule —. man müsse auch von der bürgerlichen Wissenschaft lernen — Kuczynski —, man müsse ökonomische Probleme ökonomisch statt ideologisch und administrativ lösen — Oelßner —, Selbmann, Behrens, Benary u. a.
Starke revisionistische Tendenzen ab es auch in den Staats- und Rechtswissenschaften und im FDGB. (Dritter Weg, Nationalkommunismus, Säuberungen, Schirdewan, Entstalinisierung)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 406