DDR von A-Z, Band 1963

Richter (1963)

 

 

Siehe auch:


 

„Ein R. muß nach seiner Persönlichkeit und Tätigkeit die Gewähr dafür bieten, daß er sein Amt gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt, sich vorbehaltlos für den Sieg des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik einsetzt und der Arbeiter-und-Bauern-Macht treu ergeben ist“ (§ 15 des sowjetzonalen GVG in der Fassung vom 1. 10. 1959). Voraussetzung für die Tätigkeit als R. ist der Erwerb einer juristischen Ausbildung auf einer dazu bestimmten Ausbildungsstätte (Rechtsstudium) und die Bewährung während der vorgeschriebenen Vorbereitungszeit (Praktikantenzeit).

 

Ein R. soll mindestens 25 Jahre alt sein. Zu den Grundpflichten des R. gehört u. a., „nach den Grundsätzen der sozialistischen ➝Moral zu eben sowie aktiv und vorbildlich beim sozialistischen Aufbau mitzuwirken und sich aktiv an der politischen Arbeit unter den Werktätigen zu beteiligen” (§ 18 GVG i. d. F. vom 1. 10. 1959). Die R. des Obersten Gerichts werden auf Vorschlag des Ministerrates durch die Volkskammer auf 5 Jahre, die R. der Kreis- und Bezirksgerichte auf Vorschlag des Justizministers durch die örtlichen Volksvertretungen auf 3 Jahre gewählt (§§ 19, 28 GVG i. d. F. vom 1. 10. 1959). Die ersten Wahlen der R. bei den Kreis- und Bezirksgerichten fanden vom 15. Okt. bis 30. Nov. 1960 statt; die Amtsperiode dauert vom 1. Dez. 1960 bis zum 30. Nov. 1963 (1. DB zum Richterwahlgesetz — GBl. 1960 I, S. 248).

 

Ein R. kann vorzeitig abberufen werden, wenn er „gegen die Verfassung oder andere Gesetze verstoßen oder sonst seine Pflichten als R. gröblich verletzt hat“ (§§ 25, 30 des sowjetzonalen GVG). Obwohl Art. 127 der Verfassung und § 7 des sowjetzonalen GVG lauten: „Die R. sind in ihrer Recht[S. 407]sprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen“, werden laufend und planmäßig Weisungen an die R. erlassen. Haftentlassungen von sog. Wirtschaftsverbrechern wurden für unzulässig erklärt und bedurften der Genehmigung des Ministeriums (Rundverfügung Nr. 98/50 des sächsischen Justizministeriums). R., die sich diesen Rundverfügungen nicht fügten, sind entlassen oder inhaftiert worden. Die Kontrollkommission hatte bis zum Jahre 1953 weitgehende Befugnisse gegenüber den Gerichten. Mit der Rundverfügung Nr. 105/50 des Ministeriums der Justiz vom 9. 8. 1950 wurde verlangt, daß die R. mehr als bisher in ihren Entscheidungen den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechen. In wichtigen Strafprozessen wird den R. seitens der SED, der Justizverwaltung, der Polizei oder des SSD vor der Verhandlung mitgeteilt, welche Strafe verhängt werden muß.

 

Einen selbständigen Apparat zur „Anleitung der R.“ schuf Hilde ➝Benjamin nach dem 17. 6. 1953. Instrukteure eines sog. Operativstabes reisten durch die SBZ und erteilten in den Verfahren gegen Demonstranten des 17. Juni (Juni-Aufstand) Weisungen über das Strafmaß, die sie vorher telefonisch beim Operativstab in Ost-Berlin, zum Teil unmittelbar bei Hilde Benjamin, einholten. Dieses Instrukteurwesen wurde im Jahre 1953 in das Justizministerium übernommen. R., die die ihnen gegebenen „Anleitungen“ nicht beachten, setzen sich der Gefahr sofortiger Abberufung oder strafrechtlicher Verfolgung aus. Das Prinzip von „Anleitung und Kontrolle“ hat in der Neufassung des Gesetzes über die Gerichtsverfassung vom 1. 10. 1959 eine gesetzliche Verankerung erhalten: „Die Kreis- und Bezirksgerichte werden in ihrer Tätigkeit durch das Ministerium der Justiz angeleitet und kontrolliert“ (§ 13 GVG). Aus dem Grundsatz der „richterlichen Verantwortlichkeit“ wurde eine weitere Möglichkeit zu Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit entwickelt. Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 18. 1. 1957 (GBl. S. 65) gibt der jeweiligen örtlichen Volksvertretung das Recht, Kritik an der Arbeit des Gerichts zu üben, wenn durch Mängel in dessen Tätigkeit „die Lösung der Aufgaben der örtlichen Volksvertretungen, der Aufbau des Sozialismus und die Entfaltung des demokratischen Lebens gehemmt werden“. Das Gericht ist „verpflichtet, innerhalb von vier Wochen zu dieser Kritik Stellung zu nehmen“, hat sich also praktisch gegenüber der örtlichen Volksvertretung für seine Entscheidungen zu verantworten und zu rechtfertigen. Nach § 5 GVG sind die R. „verpflichtet, vor den Volksvertretungen, durch die sie ewählt wurden, über ihre Tätigkeit Rechenschaft zu legen“. (Rechtswesen)

 

Literaturangaben

  • Mampel, Siegfried: Das Gesetzbuch der Arbeit der Sowjetzone und das Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland — ein Vergleich. 5. Aufl. (hrsg. v. Bundesmin. für Arbeit …). Bonn 1962. 64 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 406–407


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.