Strafverfahren (1963)
Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Das St. ist durch die sowjetzonale StPO vom 1. 10. 1952 (GBl. S. 996) neu geregelt worden. Neue Begriffe und Institutionen wurden eingeführt, z. B. die Gerichtskritik. In die Bestimmungen über die Zuständigkeit der Gerichte wurde die nationalsozialistische Vorschrift wiederaufgenommen, daß zur Verhandlung und Entscheidung in Strafsachen auch das Gericht zuständig ist, in dessen Bereich der Beschuldigte auf Anordnung eines staatlichen Organs untergebracht ist (§ 14 Abs. 3). Hierdurch wird es dem SSD möglich, jeden Verhafteten an beliebigem Ort aburteilen zu lassen.
Ehegatten und nächste Angehörige der Angeklagten dürfen die Aussage nicht mehr verweigern, wenn sie eine Pflicht zur Anzeige hatten, Z. B. bei Staatsverbrechen.
Dasselbe gilt für Geistliche, Rechtsanwälte und Ärzte. Sachverständige können vom Angeklagten nicht abgelehnt werden. Private Sachverständige sollen nicht mehr hinzugezogen werden. Das in der Verfassung und im § 74 StPO garantierte Recht auf Verteidigung wird dadurch illusorisch gemacht, daß der Verteidiger in die Gerichtsakten erst nach Zustellung der Anklageschrift Einsicht nehmen und auch dann erst mit dem in Haft befindlichen Beschuldigten sprechen darf. Eine Haftbeschwerde ist nur einmal, und zwar binnen einer Woche nach Erlaß des Haftbefehls, möglich. Am Eröffnungsbeschluß und an anderen außerhalb der Hauptverhandlung zu fällenden Beschlüssen wirken nach § 41 StEG seit dem 1. 2. 1958 auch die Schöffen mit. Die Anklageschrift braucht „bei Vorliegen [S. 466]wichtiger Gründe“ dem Beschuldigten nicht zugestellt, sondern nur zur Kenntnis gebracht zu werden (§ 180 Abs. 2). Damit soll verhindert werden, daß Angeklagte oder Verteidiger in den Besitz politischer Anklageschriften kommen. Das gleiche gilt für die Zustellung von Strafurteilen. Die Beweisaufnahme soll an sich unmittelbar sein. Es dürfen aber Protokolle der Volkspolizei, des SSD, der Staatsanwaltschaft oder eines Richters über frühere Vernehmungen eines Zeugen oder Mitbeschuldigten schon dann als vollgültige Beweismittel in der Hauptverhandlung verlesen werden, „wenn das Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung wegen des damit verbundenen Zeitverlustes unzweckmäßig ist“ (§ 207). „Erklärungen des Angeklagten, insbesondere ein Geständnis, die in einem Protokoll über eine frühere Vernehmung enthalten sind, können zum Zwecke des Beweises verlesen werden, soweit es erforderlich ist“ (§ 209). Auf diese Weise erhalten vom SSD erpreßte Geständnisprotokolle volle Beweiskraft.
Das Urteil ist während der Beratung schriftlich zu begründen und von allen Richtern zu unterschreiben. Der Angeklagte hat gegen ein Urteil nur noch ein Rechtsmittel, die Berufung. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft heißt Protest. Die Berufung des Angeklagten kann durch das Berufungsgericht im Beschlußwege als offensichtlich unbegründet verworfen werden, während das bei dem Protest der Staatsanwaltschaft nicht möglich ist. Ein Wiederaufnahmeverfahren, auch zugunsten des Angeklagten, kann nur durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet werden.
Gegen rechtskräftige Urteile kann der Generalstaatsanwalt oder der Präsident des Obersten Gerichts mit der Kassation vorgehen, der Verurteilte kann dagegen ein Kassationsverfahren nicht einleiten. Die Strafvollstreckung ist Angelegenheit der Volkspolizei. Durch das Einführungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch ist die Möglichkeit geschaffen worden, Verfahren wegen solcher Taten, die von nur geringer Gesellschaftsgefährlichkeit sind, an die Konfliktkommissionen (gesellschaftliche Gerichte) abzugeben. (Rechtswesen)
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 465–466
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