Wirtschaft (1963)
Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 528]Der Sinn des Wirtschaftens in den kommun. Staaten ist — entsprechend dem Willen der herrschenden Partei — ausschließlich die Festigung und Steigerung der Macht der Partei, speziell der Parteielite. Als die Grundlage dieser Macht wird die totale Verfügungsgewalt über alle wirtschaftlichen Güter angesehen: über die Produktionsmittel, um so die Produktionsrichtung bestimmen zu können (anordnen zu können, welche Güterarten und welche Gütermengen hergestellt werden), über die Konsumgüter, um den Produktionsfaktor Arbeit erhalten und lenken zu können, und selbstverständlich über die militärischen Güter, um die Machtansprüche außenpolitisch demonstrieren und durchsetzen zu können.
Wirtschaftssystem
Um diese Ziele erreichen zu können, bedient sich der Kommunismus eines Wirtschaftssystems, das es weitestgehend gestattet, die kommun. Partei als bestimmenden Faktor für das gesamte Wirtschaftsgeschehen zu etablieren. Die Kommunisten nennen dieses System „sozialistische Planwirtschaft“, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß das gesamte Wirtschaftsgeschehen zentral geplant wird und entsprechend diesen Plänen ablaufen soll. Will man das kommun. Wirtschaftssystem innerhalb der Schemata der westl. Nationalökonomie typisieren, so ist es als Zentralverwaltungswirtschaft mit relativer Konsumfreiheit einzuordnen. Andere Bezeichnungen für den gleichen Sachverhalt sind: zentralgeplante Wirtschaft, kommun. Wirtschaft oder entsprechend Wirtschaftssystem.
Jede moderne Wirtschaft ist eine geplante Wirtschaft, auch die westl. Volkswirtschaften. Bestimmend für die Qualität — im wertfreien Sinne — eines Wirtschaftssystems ist die Zahl der planenden Personen bzw. Institutionen sowie der Grad der staatlichen Eingriffe. Im System der Marktwirtschaft — das z. B. für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik weitgehend bestimmend ist — ist die Zahl der Planer sehr groß: alle Betriebe und Institutionen sowie alle privaten und öffentlichen Haushalte treten mit eigenen Wirtschaftsplänen auf, sie bestimmen, welche Güter und Mengen eines Gutes sie kaufen oder verkaufen bzw. konsumieren wollen. Die Koordination all dieser Einzelpläne zu einem sinnvollen Gesamtprozeß erfolgt über den Markt. Die durch Angebot und Nachfrage regulierten Preise bestimmen die Produktionsrichtung und lenken die Güter — sowohl die Investitionsgüter als auch die Konsumgüter — dorthin, wo die Nachfrage am dringlichsten, der Nutzen der Güterverwendung also am größten ist. Der Staat ist auf dieser Ebene nichts anderes als ein gleichberechtigter Marktpartner, der sich den Bedingungen des Marktes in gleicher Weise wie alle anderen Produzenten und Konsumenten unterwerfen muß.
Das entscheidende Kriterium des kommun. Wirtschaftssystems ist also nicht der Tatbestand der Planung, sondern die Tatsache, daß es nur eine einzige Institution gibt, die den gesamten Wirtschaftsprozeß im voraus plant. Der Beitrag aller anderen Institutionen (z. B. Produktionsbetriebe) und Personen (z. B. Arbeitnehmer) besteht ausschließl. in der Durchführung dieses zentralen Wirtschaftsplanens. Im folgenden ist in bezug auf das kommun. Wirtschaftssystem unterschieden zwischen Planung (Planaufstellung), Plandurchführung (Planverwirklichung, „Leitung der Volkswirtschaft“) und Plankontrolle.
Die für die Planung im Sinne der Festlegung der Produktionsziele sowie der Entwicklungsrichtung der Volkswirtschaft allein zuständige Instanz innerhalb der SBZ ist das Politbüro der SED (Wirtschafts[S. 529]kommission). Es ist das Willenszentrum, dessen Weisungen für die Gestaltung des Wirtschaftsprozesses verbindlich sind. Allerdings ist das Politbüro bei seinen Entscheidungen an die Richtlinien gebunden, die ihm das Präsidium der KPdSU erteilt. Die Aufgabe, die allgemeinen Weisungen des Politbüros in einem Wirtschaftsplan für die gesamte Volkswirtschaft zu transformieren, obliegt der Staatlichen ➝Plankommission, die die Perspektivpläne und zusammen mit dem Volkswirtschaftsrat die Volkswirtschaftspläne (Jahrespläne) ausarbeitet (Kennziffern), die der Volkswirtschaftsrat über Zwischeninstanzen zu den Betrieben weiterleitet. Geplant werden grundsätzlich die gesamte Produktion und die Verwendung des Sozialprodukts. Eine den Vorstellungen der Planungsinstanzen gemäße Verteilung des Sozialproduktes wird erreicht durch die Preispolitik, durch die Lohnpolitik und mittels des Staatshaushaltes (Steuern). Geplant wird auch die Produktion von Konsumgütern nach Menge und Qualität. Die Planung ist insofern nicht vollständig, als der Konsum von der Planung ausgenommen ist: es gibt keine Anrechtscheine (Lebensmittelkarten, Bezugscheine) mehr für den Bezug von Konsumgütern (Ausnahmen bestehen bei einzelnen Lebensmitteln; Versorgung). Der Konsument ist also beim Einkauf von Konsumgütern relativ frei (relative Konsumfreiheit), d. h. er kann im Rahmen des außerordentlich geringen und geringwertigen Angebotes (siehe unten) frei wählen.
Die Wirtschaftsplanung ist eine primitive Mengenplanung, die Planauflagen beziehen sich nahezu ausschließlich auf die Bruttoproduktion. Qualitätsmerkmale bleiben fast ganz außer Betracht, und soweit eine Kostenplanung erfolgt, ist sie so unrealistisch, daß die Plankosten meist überschritten werden. Neben der materiellen Planung erfolgt eine Finanzplanung. An den finanziellen Transaktionen der Betriebe (Käufe, Verkäufe, Lohn- und Steuerzahlungen, Kreditaufnahme und -rückzahlung) läßt sich das materielle Produktionsgeschehen ablesen und somit kontrollieren.
Die Voraussetzung für die exakte Planung eines volkswirtschaftlichen Prozesses ist eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die eine genaue Kenntnis von Menge und Qualität der zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren — Boden (z. B. landwirtschaftliche Nutzfläche, Bodenschätze), Arbeitskräfte (Zahl und Ausbildung) und Kapital (z. B. Bauten, Ausrüstungen, Verkehrsanlagen) — und des Grades der Verflechtung der einzelnen Wirtschafts- und Produktionsbereiche (Interdepedenz) gestattet. Abgesehen davon, daß bedeutende Kenner des Systems der Zentralverwaltungswirtschaft der Auffassung sind, daß sich dieses Problem für eine moderne dynamische — sich dauernd verändernde, wachsende — Wirtschaft auch durch die Einschaltung von Elektronengehirnen nicht umfassend lösen läßt, ist bis heute in der SBZ noch nicht einmal der Versuch gemacht worden, eine auch nur grobe Details berücksichtigende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu erstellen. Hierüber ist von guten Kennern der SBZ-Wirtschaft (z. B. von Oelßner, Behrens) gerade in der letzten Vergangenheit Klage geführt worden. Die Planung erfolgt also ohne ausreichende Sachkenntnisse. In der Praxis gehen die für die Planaufstellung zuständigen Instanzen so vor, daß sie die Ist-Werte des zuletzt abgeschlossenen Wirtschaftsjahres als Ausgangspunkt für die Planaufstellung nehmen. Diese Werte sind jedoch veraltet, weil der Volkswirtschaftsplan am Anfang des Wirtschaftsjahres bereits vorliegt, der Grad der Erfüllung des laufenden Planes jedoch nicht bekannt ist. Der bereits bekannte Erfüllungsstand gibt also nicht den augenblicklichen Zustand der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft [S. 530]wieder. Er ist eine unvollkommene Hilfsgröße, besonders auch deswegen, weil er lediglich die erzielte Bruttoproduktion, nicht aber deren technisches Niveau, ihre Qualität und vor allem nicht den Grad ihrer rationellen Verwendung widerspiegelt.
Diese unvollkommenen Grundwerte werden durch die erwarteten Ergebnisse des bei der Planungsarbeit für das folgende Jahr laufenden Wirtschaftsjahres ergänzt. Hierbei handelt es sich aber um Größen, die erstens die gleiche geringe Aussagekraft haben wie die Grundwerte, zusätzlich aber nur geschätzt sind: es ist aber in keiner Weise sicher — die Erfahrung lehrt sogar das Gegenteil —, daß der laufende Plan erfüllt wird. Auf Grund dieser ungenauen Größen wird an Hand der Direktiven und Weisungen des Politbüros der Volkswirtschaftsplan ausgearbeitet. Die politisch motivierten Forderungen überschätzen aber in der Regel die Leistungsfähigkeit der Zonen Wirtschaft (Fünfjahrplan, Ökonomische Hauptaufgabe, Siebenjahrplan, Investitionen, Störfreimachung). Die unteren Instanzen (Betriebe, Arbeiter) haben keinen Einfluß auf die Planaufstellung. Hinzu tritt, daß die Planungsorgane absichtlich falsch informiert sind, weil die Betriebe oft nichtrealisierte Plan(über)erfüllungen melden, um so möglichst hohe Prämien zu erzielen.
Für die Planverwirklichung sind verantwortlich der Ministerrat und als dessen Organe der Volkswirtschaftsrat und der Landwirtschaftsrat, ferner die VVB, die Bezirkswirtschaftsräte und die Bezirks- und Kreislandwirtschaftsräte. Die eigentliche Realisierung der Pläne erfolgt in den Betrieben. Die genannten Institutionen haben die von der Staatlichen Plankommission erteilten Auflagen jeweils weiter aufzuschlüsseln und in konkrete Produktionsvorgaben zu transformieren, die dann in die Betriebspläne eingehen und als „Planaufgabe“, „Plansoll“ oder „Soll“ als konkrete Arbeitsunterlage zu akzeptieren und zu realisieren sind, wobei den Gewerkschaften (FDGB) eine große Bedeutung zukommt. Die folgende Skizze zeigt eine vereinfachte Darstellung des Aufbaus der Wirtschaftsverwaltung.
Die Schwierigkeiten bei der Planverwirklichung sind größer als bei der Planaufstellung. Wegen der Interdependenz aller wirtschaftlichen Vorgänge ist das volkswirtschaftliche Gleichgewicht schon dann gestört, wenn der Plan an einer Stelle, in einem Betrieb nicht erfüllt wird. Immer wieder wird z. B. darüber geklagt, daß wegen nicht termingerechter Materialversorgung sogen. Stillstands- und Wartezeiten (Ausfallzeiten) entstehen. Maschinen und Arbeiter sind während dieser Zeit nicht beschäftigt (eine Form systembedingter Arbeitslosigkeit). Die Ausfälle sollen dann nach der verspäteten Materiallieferung aufgeholt werden, was eine Überbeanspruchung der Maschinen (höherer Verschleiß = höhere Kosten) und der Arbeitskräfte (Überstunden == höhere Kosten) (Arbeitszeit) zur Folge hat und somit rentabilitätsmindernd wirkt (Rentabilität). Gleichzeitig werden von solchen Produktionsverschiebungen in einer Art Kettenreaktion alle Abnehmerbetriebe betroffen usw. Auch durch die Einrichtungen des Vertragssystems ist keine Besserung erzielt worden.
Auch die von den Behörden der SBZ immer wieder geforderte Übererfüllung der Pläne ist dann ökonomisch unsinnig, wenn diese Übererfüllung nicht von allen Betrieben gleichzeitig und vor allem in gleicher Höhe erzielt wird. In diesen Fällen werden Güter produziert, die die Abnehmerbetriebe nicht verwenden können. Während bei Planuntererfüllungen Engpässe entstehen, führen Übererfüllungen zu Überplanbeständen. Gegen Planuntererfüllungen versucht man sich durch An[S. 532]lagen von Reserven zu sichern. In diesem Falle müssen also Güter für wirtschaftliche Situationen produziert und gelagert werden, die bei geregeltem plangerechtem Wirtschaftsablauf gar nicht benötigt werden. Auch dadurch entstehen volkswirtschaftliche Verluste.
Gleiche, durch das Wirtschaftssystem bedingte, Kosten entstehen dadurch, daß sich die Betriebe durch eigene überplanmäßige Vorratsbildung für den Fall des Ausbleibens von Zulieferungen absichern. Gegen diese „private“ Reservenbildung, die ihrerseits zu Unplanmäßigkeiten beim Wirtschaftsablauf führen, kämpft die Zonenverwaltung seit Jahren ohne Erfolg, durch Bestrafung der Verantwortlichen, durch spezielle Kreditregelungen und mit hohen Kreditzinsen für die Finanzierung solcher Überplanbestände.
Nicht unerhebliche Verluste entstehen durch die von der politischen Führung häufig geforderten Planänderungen.
Eine weitere Ursache ist die Schwerfälligkeit des Systems, die sich besonders in einer Unzahl von Anordnungen, Richtlinien, Gesetzen, Durchführungsbestimmungen u. dgl. zeigt. Es ist der Normalfall, daß ein größerer Industriebetrieb oder eine LPG jährlich weit über tausend solcher Bestimmungen erhält, die, von verschiedenen Instanzen erteilt, nicht miteinander abgestimmt sind und sich häufig widersprechen. In der SBZ selbst wird immer wieder diese „Papierflut“ kritisiert.
Die größte Schwierigkeit bei der Planverwirklichung besteht jedoch in der Notwendigkeit, alle am Produktionsprozeß Beteiligten dem zentralen Willen einer kleinen Gruppe zu unterwerfen und deren Anordnungen nach Menge, Qualität und zeitgerecht zu erfüllen. Eigene Vorstellungen über eine andere Produktion oder auch nur über eine sinnvollere und sachgerechtere Produktionsgestaltung zur Erreichung eines vorgegebenen Produktionszieles müssen zurückgestellt werden. (Aus diesem Grunde wird in bezug auf das kommun. Wirtschaftssystem auch von „Befehlswirtschaft“ oder „Kommandowirtschaft“ gesprochen.) Die Praxis zeigt, daß die Verwaltung der SBZ aber nicht damit rechnen kann, daß ihre Anordnungen befolgt werden. Persönliche Auffassungen, Prestigefragen, Konkurrenzneid und vor allem die politische Ablehnung des SED-Regimes und seiner Herrschaftsmethoden bei dem überwiegenden Teil der Bevölkerung sind die Hauptgründe für die Nachlässigkeit, den Widerstand und gelegentlich die Sabotage bei der Plandurchführung. Diesen Widerstand versucht man zu überwinden durch eine entsprechende Beaufsichtigung und Kontrolle, durch eine auf das materielle Interesse gerichtete Lohnpolitik (Arbeitspolitik, Arbeitsrecht), durch die Zahlung von Prämien, durch öffentliche Belobigungen, durch Titel und Auszeichnungen (z. B. Held der Arbeit, Verdienter ➝Aktivist) und nicht zuletzt durch ein drakonisches Wirtschaftsstrafrecht (Wirtschaftsstrafverordnung, Sabotage).
Die Bemühungen, die bedingungslose Erfüllung der Wirtschaftspläne zu sichern, sind auch der Hauptgrund für die Anmaßung der SED, die mitteldeutsche Bevölkerung zum sozialistischen Bewußtsein und zur sozialistischen Moral zu „erziehen“. (Fünf von den „Zehn Geboten der sozialistischen Moral“ dienen ausschließlich der Verwirklichung von wirtschaftspolitischen Zielen der SED.) Wenn die Menschen schon wegen ihres „Bewußtseins“ oder aus Gründen der Moral arbeiten, so spekuliert der Kommunismus, spielen materielle Äquivalente als Leistungsanreiz eine untergeordnete Rolle und können für die Ziele der Partei eingesetzt werden. Bis heute haben allerdings weder die psychologischen Methoden noch die Spekulation auf die materielle Interessiertheit der Arbeiter und Angestellten die Hoffnungen der SED erfüllt. (Produktionspropaganda)
[S. 533]Auch nicht vorhergesehene Einwirkungen von außen können das kommun. Wirtschaftssystem empfindlich stören. So sind z. B. die negativen Wirkungen von Naturereignissen (Hochwasser, Frost) oder eine ausgebliebene Importlieferung auf den Wirtschaftsprozeß erheblich größer als in einer reaktionsfähigeren und elastischeren Marktwirtschaft.
Die Kontrolle über die Planverwirklichung obliegt zunächst den Instanzen, die für die Planverwirklichung zuständig sind (Volkswirtschaftsrat, VVB, Betriebe, Landwirtschaftsräte). Neben der materiellen Kontrolle erfolgt eine zusätzliche Kontrolle durch den Vergleich der finanziellen Produktionsergebnisse mit den Finanzplänen. (Rechnungswesen, Vertragssystem, wirtschaftliche Rechnungsführung) Schließlich ermöglicht der Zwang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr eine weitgehende Kontrolle des Betriebsgeschehens durch die Banken (Währung).
Wirtschaftspolitik
Das wirtschaftspolitische Ziel Nummer eins ist — wie schon erwähnt — seit 1945 die Begründung und Festigung der kommunistischen Macht innerhalb der SBZ und die Einspannung der Zone für die machtpolitischen Ziele des Weltkommunismus, die von der Führung der KPdSU bestimmt werden. Es gibt keine wirtschaftspolitischen Ziele außerhalb dieses Hauptzieles! Die im folgenden erwähnten Zielsetzungen sieht der Kommunismus als Mittel zur Erreichung seines Hauptzieles an.
1. Aufbau der Zentralverwaltungswirtschaft sowj. Typs.
Der im Abschnitt „Wirtschaftssystem“ geschilderte Aufbau der Wirtschaftsverwaltung war im Jahre 1945 nicht vorhanden. Die notwendigen Institutionen mußten geschaffen, das entsprechende Personal mußte ausgebildet werden, die Ideen der kommun. Wirtschaftsplanung und die Methoden ihrer praktischen Durchführung mußten bis hinunter zu den Arbeitern und Bauern propagiert werden. Ein riesiger Apparat für die notwendige Berichterstattung (Statistik) mußte errichtet werden. Die Vorarbeiten waren 1948 so weit gediehen, daß der erste Volkswirtschaftsplan für das zweite Halbjahr 1948 vorgelegt werden konnte (DWK). Seitdem bestimmen Volkswirtschaftspläne den Ablauf der Zonen-Wirtschaft jeweils für ein Jahr und Perspektivpläne für längere Perioden. Der Aufbau der Planungsinstanzen, ihre Funktionen und ihre Struktur sind seitdem mehrfach geändert worden, ohne daß das Grundprinzip der zentralen Wirtschaftslenkung aufgegeben worden ist, aber auch ohne eine Verbesserung der mangelhaften Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems zu erzielen. Auch eine Ende 1962 durch einen Aufsatz von Professor Liberman (SU) in Gang gekommene Diskussion über die Qualität des kommun. Wirtschaftssystems, in dem freimütig auf dessen Mängel und Fehlleistungen hingewiesen wurde, sowie eine sich anschließende gleichgerichtete Diskussion in der SBZ haben zu keiner Änderung der bisherigen Prinzipien geführt — im Gegenteil, Ulbricht hat auf dem folgenden VI. Parteitag der SED (Januar 1963) eine noch straffere Planung und Leitung und eine noch größere Konzentration der Wirtschaft angekündigt.
2. Die Sozialisierung.
a) Die wichtigste Form der Sozialisierung ist die Enteignung. Aus optischen Gründen wird aber nicht die kommun. Partei juristisch Inhaber dieser Verfügungsgewalt — die sie dennoch faktisch besitzt und ausübt sondern das „Volk“, das den von der kommun. Partei beherrschten und verwalteten „Staat“ — eine weitere Fiktion — „bittet“, sein Eigentum, das Volkseigentum („Staatseigentum“) zu verwalten [S. 534]und optimal zu nutzen. Die früheren Eigentümer verlieren — grundsätzlich ohne Entschädigung — ihre Rechte, damit ihren wirtschaftlichen und — dieser Aspekt ist von großer Bedeutung — den damit weitgehend verbundenen gesellschaftspolitischen Einfluß, sie werden proletarisiert, eine wichtige Voraussetzung zur Errichtung einer totalitären Herrschaft. Enteignet wurden seit 1945 zunächst die Banken, die Versicherungen, (Deutsche Versicherungsanstalt), das Verkehrswesen, die gesamte Großindustrie und große Teile der mittelständischen Industrie.
b) Eine zweite wichtige Form der Beseitigung der individuellen Verfügungsgewalt ist die Bildung von Produktionsgenossenschaften aus ehemals selbständigen Privatbetrieben. Diese Methode wird dort angewendet, wo man auf die Arbeitskraft der ehemaligen Inhaber nicht verzichten kann. (Genossenschaften, ländliche ➝Genossenschaften). Eine Sozialisierung entsprechend diesen Prinzipien erfolgt in der Landwirtschaft (Agrarpolitik, LPG, Zwangskollektivierung), im Handwerk, in der Fischerei und im Gartenbau. Die Genossenschaftsbildung mit dem genannten Akzent konnte die SED nur durch Anwendung von wirtschaftlichen und psychologischen Zwangsmitteln und unter Inkaufnahme von Produktionsverlusten erreichen.
c) Eine weitere Methode der Sozialisierung hat die SED aus China übernommen. Die Rechte der Eigentümer von Industriebetrieben, die noch Privateigentum sind, werden — seit 1956 — durch die Aufnahme einer „staatlichen Beteiligung“ in halbstaatliche Betriebe umgewandelt. Die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel gelangt zunehmend in die Hand des „Staates“.
d) Schließlich versucht man, den noch verbliebenen privaten Einzelhändlern (Handel) dadurch ihre Selbständigkeit zu nehmen, daß man sie zum Abschluß eines Kommissionsvertrages mit der „staatlichen“ Handelsorganisation bewegt. Der Kommissionshändler darf keine Geschäfte mehr auf eigene Rechnung tätigen. Auch über seine Geschäftsführung bestimmen also weitgehend „staatliche“ Einrichtungen.
Der im Anschluß an die Periode der antifaschistisch-demokratischen Ordnung begonnene Aufbau des Sozialismus (1950/52) hat vor allem die in Punkt eins und zwei genannten wirtschaftspolitischen Ziele und die Stabilisierung der neuen Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft („umfassender Aufbau des Sozialismus“ seit Ende 1962) zum Inhalt. Mit der vollständigen Verwirklichung dieser Ziele dürfte diese Entwicklungsperiode abgeschlossen sein.
3. Produktionsmittelprimat
Ein weiteres wichtiges Ziel der mitteldeutschen Wirtschaftspolitik ist der forcierte Aufbau einer Produktionsgüterindustrie zu Lasten der Herstel[S. 535]lung von Konsumgütern. So ist man seit Kriegsende bemüht, eine Grundstoff- und Schwermaschinenbauindustrie aufzubauen, die chemische Industrie vorrangig zu entwickeln und die Leistungen des sonstigen Maschinenbaues zu steigern. Hohe Investitionen auf diesen Sektoren sollen ein hohes Produktionsniveau sichern. Das Produktionsmittelprimat und zusätzlich ein sehr hoher öffentlicher Verbrauch zur inneren und äußeren Machtsicherung (Militärpolitik, Propaganda, Infiltration) sind mitbestimmend für den niedrigen Lebensstandard.
4. Außenhandel
Die SBZ ist ein rohstoffarmes, also stark importabhängiges Land, sie ist zu hohen Exporten gezwungen, um ihre Wirtschaft mit den notwendigen Gütern versorgen zu können, weshalb der Außenhandel vorrangig gefördert wird. Daneben wird jedoch versucht, über internationale Handelsverbindungen (DIA, Deutsche ➝Handelsbank AG, Kammer für ➝Außenhandel) die politische Anerkennung zu erreichen. Insbesondere in den Entwicklungsländern versucht man, auf diese Weise Fuß zu fassen, um politisch wirken zu können. (Außenpolitik) Beide Motive haben solches Gewicht, daß der Export — besonders in das westliche Ausland — in erheblichem Maße zu Preisen abgewickelt wird, die nicht die Kosten, z. T. nicht einmal die Produktionskosten — ohne Sozialbelastung — decken, so daß hohe Außenhandelsverluste durch Subventionen beglichen werden müssen. Das gilt insbesondere für den Konsumgüterexport.
5. Wirtschaftliche Verflechtung im Rahmen des Ostblocks
Die Wirtschaft der SBZ ist erstens abhängig von den Beschlüssen und Empfehlungen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, dem sie seit 1949 angehört und in dem sowj. Interessen vorherrschen, und zweitens — wie schon erwähnt — von direkten Weisungen der SU. Diese Abhängigkeit hat zur Folge, daß die Produktions-, speziell die Investitionsentscheidungen der SBZ nicht in erster Linie im Interesse der eigenen Volkswirtschaft getroffen werden können: Die Volkswirtschaft der SBZ mit ihrem qualifizierten Facharbeiterstamm ist in hohem Maße ein Verarbeitungsbetrieb im Dienste der SU. Rund 45 % ihres Außenhandels wickelt die SBZ mit der SU ab, wobei die SBZ von der SU nahezu ausschließlich Rohstoffe, Halbwaren und Konsumgüter erhält, während sie selbst gezwungen ist, ganz überwiegend Maschinen und Ausrüstungen zu liefern. Auch für die übrigen Partner des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe ist die SBZ in erster Linie Lieferant von hochwertigen Industrieerzeugnissen.
6. Zusammenfassung
Mißt man die Leistungen der Zonenwirtschaft an ihren eigenen Wirtschaftsplänen, so muß man feststellen, daß — besonders in den letzten Jahren — die gesteckten Ziele nicht erreicht wurden, daß insbesondere durch Planübererfüllung in Einzelbereichen und durch Planuntererfüllung in anderen Bereichen die Disproportionen vergrößert wurden und das volkswirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Bei einem Vergleich mit der BRD fällt auf, daß trotz angeblich höherer Zuwachsraten der Entwicklungsstand der Zonenwirtschaft erheblich geringer ist als der bundesdeutsche. Die Arbeitsproduktivität ist — laut Ulbricht — Anfang 1963 um rd. 25 v. H. geringer als in der BRD. Der Lebensstandard ist sogar um über 40 v. H. niedriger.
Die Gründe hierfür sind vor allem das komplizierte und schwerfällige System der Zentralverwaltungswirtschaft sowj. Typs, die Sozialisierungsmaßnahmen, die Fehleinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit durch die Wirtschaftsverwaltung, der Vorrang der Politik bei der Bestimmung [S. 536]der Wirtschaftsziele und bei der Leitung der Wirtschaft, das Produktionsmittelprimat und vor allem die hohe Exportquote dieser Güter in die RWG-Länder, speziell in die SU, die hierdurch bedingte mangelhafte Bereitstellung von Konsumgütern für die Bevölkerung, der durch das politische System bedingte hohe Staatsverbrauch, Fehlinvestitionen durch den Bau von Anlagen mit niedrigem technischem Niveau und infolge von kurzfristigen Planänderungen.
Vergleicht man die Entwicklung der Wirtschaft seit 1950 mit den auf dem VI. Parteitag (1963) proklamierten Zielen, so ist auch für die Zukunft keine Änderung zu erwarten. Die Planungs- und Leitungsprinzipien bleiben erhalten, die Anforderungen der SU bleiben bestehen, der Konsument soll in Zukunft in noch geringerem Maße am Sozialprodukt beteiligt werden.
Literaturangaben
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- Duhnke, Horst: Stalinismus in Deutschland — Die Geschichte der sowjetischen Besatzungszone (Rote Weißbücher 15). Köln 1955, Kiepenheuer und Witsch. 378 S.
- Lukas, Richard: 10 Jahre sowjetische Besatzungszone … Mainz 1955, Deutscher Fachschriften-Verlag. 215 S.
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- *: Die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone und die Verwaltung des Vermögens von nicht in der Sowjetzone ansässigen Personen. 3., erg. Aufl. (BMG) 1962. 359 S. m. 78 Anlagen.
- Gleitze, Bruno: Die Wirtschaftsstruktur der Sowjetzone und ihre gegenwärtigen sozial- und wirtschaftsrechtlichen Tendenzen. (BMG) 1951. 27 S. m. Tab.
- Gleitze, Bruno: Ostdeutsche Wirtschaft — industrielle Standorte und volkswirtschaftliche Kapazitäten des ungeteilten Deutschland. Berlin 1956, Duncker und Humblot. 252 S. m. 16 Karten u. 108 Tab.
- Kitsche, Adalbert: Die öffentlichen Finanzen im Wirtschaftssystem der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. (BMG) 1954. 68 S. m. 1 Anlage.
- Kitsche, Adalbert: Das Steuersystem in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Gelsenkirchen 1960, Buersche Druckerei Dr. Neufang. 187 S. m. zahlr. Tab.
- *: Der Kohlenbergbau und die Energiewirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Jahre 1955 und nach der Planung 1956/60. (FB) 1957. 91 S. m. 5 Anlagen.
- Kramer, Matthias: Die Bolschewisierung der Landwirtschaft in Sowjetrußland, in den Satellitenstaaten und in der Sowjetzone (Rote Weißbücher 3). Köln 1951, Kiepenheuer und Witsch. 144 S.
- Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“ — Dokumente und Berichte zur Vertreibung und Vernichtung des bodenständigen Landvolkes in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (bearb. v. Joachim v. Kruse). Hannover 1955, Arbeitsgemeinschaft Deutscher Landwirte und Bauern. 124 S.
- Merkel, Konrad, und Eduard Schuhans: Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland — Sozialisierung und Produktionsergebnisse. (BB) 2., erw. Aufl. 1963. 200 S. m. 53 Tab. (Führt M. Kramers Schrift fort.)
- Schiller, Otto: Die Landwirtschaft der Sowjetunion 1917 bis 1953. Agrarverfassung und Agrarproduktion (Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung, Nr. 19). Tübingen 1954, durch Böhlau-Verlag. 108 S. m. Tab.
- Thalheim, Karl C., und Peter Propp: Die Entwicklungsziele der sowjetischen Besatzungszone in der zweiten Fünfjahrplan-Periode. (FB) 1957. 87 S. m. 15 Tab.
- Walther, Otto: Verwaltung, Lenkung und Planung der Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone. (BB) 1953. 59 S. m. 6 Anlagen. (Wesentlich geänd. und erw. Neuaufl. des Berichtes von 1952: „Grundlagen und Technik der Plan-Erstellung in der SBZ“.)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Achte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1963: S. 528–536