DDR von A-Z, Band 1965

Gesellschaftliche Gerichte (1965)

 

 

Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1966 1969 1975 1979 1985


 

„Der Schritt zu GG. wird der dritte Schritt ins Neuland sein, den wir im zweiten Jahrzehnt unserer Republik tun werden“ (Hilde Benjamin in „Neue Justiz“ 1959, S. 662). Entsprechend dem von Ulbricht auf dem 1. Plenum der SED gemachten Vorschlag wurden an sich strafwürdige Handlungen von geringer Gesellschaftsgefährlichkeit nicht mehr durch die Gerichte verhandelt und abgeurteilt, sondern in den VEB den Konfliktkommissionen als GG. zur entsprechenden Behandlung zugewiesen. Diese Praxis wurde dann im Jahre 1961 zunächst durch das Gesetzbuch der Arbeit (§ 144e) gesetzlich sanktioniert. Nunmehr bestimmt § 10 GVG: „Entsprechend der ständig steigenden Kraft der sozialistischen Gesellschaft werden Strafsachen, zivil- und arbeitsrechtliche Streitigkeiten, deren Behandlung durch gesellschaftliche Organe geeignet ist, die Bürger zur Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Wahrung der Grundsätze des sozialistischen Gemeinschaftslebens zu erziehen, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen von den Konflikt- und Schiedskommissionen beraten und entschieden.“ Mit der aus nur drei Paragraphen bestehenden VO über die Konfliktkommissionen vom 17. 4. 1963 (GBl. II, S. 237) bestätigte der Ministerrat die „Richtlinie über die Wahl und die Arbeitsweise der Konfliktkommissionen“, die der Bundesvorstand des FDGB am 30. 3. 1963 erlassen hatte. Danach sind die Konfliktkommissionen wie schon bisher zur Behandlung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im Betrieb und als GG. zur Behandlung geringfügig gesellschaftsgefährlicher (Gesellschaftsgefährlichkeit) Straftaten zuständig. Ihre Befugnisse werden auf die Behandlung kleinerer zivilrechtlicher Streitigkeiten bis zum Streitwert von etwa 500,– DM Ost zum Zwecke gütlicher Beilegung ausgedehnt. Die Konfliktkommissionen haben auch „Verstöße gegen die Gebote der sozialistischen Moral, insbesondere der sozialistischen Arbeitsmoral“, zu behandeln, (sozialistische ➝Moral) Ihre Beratung dient dem Ziel, „den Konflikt zu lösen und dadurch die Beteiligten und die Werktätigen des Arbeitskollektivs zur freiwilligen und bewußten Einhaltung der Grundsätze der sozialistischen Moral und des sozialistischen Rechts zu erziehen“. Entsprechend den in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, in Betrieben mit staatlicher Beteiligung, in sozialistischen Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Kultur und Volksbildung sowie in Organen der staatlichen Verwaltung zu bildenden Konfliktkommissionen sollen in Gemeinden, Städten, LPG und anderen Produktionsgenossenschaften und in privaten Betrieben Schiedskommissionen mit denselben Befugnissen gebildet werden.

 

Bei der Übergabe geringfügiger Sachen an die GG. ist darauf zu achten, daß ein unkomplizierter, dem Umfange nach feststehender und weitgehend geklärter Sachverhalt vorliegt. Die GG. werden als „Keime der kommunistischen Selbstverwaltung“ bezeichnet („Neue Justiz“ 1961, S. 337). Die Konfliktkommissionen können bei von ihnen festgestellten Verstößen gegen die Gebote der sozialistischen Moral oder für geringfügige Straftaten verschiedene Erziehungsmaßnahmen festlegen. Sie können den Werktätigen verpflichten, sich beim Geschädigten oder vor dem Kollektiv zu entschuldigen; Verpflichtungen des Werktätigen zur Wiedergutmachung des angerichteten Schadens oder solche Selbstverpflichtungen, die der Durchsetzung des Erziehungsziels dienen, bestätigen; Verpflichtungen des Arbeitskollektivs zur Erziehung des Werktätigen bestätigen; den Werktätigen verpflichten, den Schaden durch eigene Arbeit oder durch Schadensersatz in Geld wiedergutzumachen; dem Werktätigen eine Rüge aussprechen.

 

Im Falle eines Moralverstoßes kann der Betroffene gegen einen solchen Beschluß binnen 14 Tagen Einspruch bei der BGL bzw. AGL einlegen. Diese kann den Beschluß aufheben und die Konfliktkommission beauftragen, die Sache erneut und endgültig zu beraten. Im Falle eines Beschlusses wegen einer geringfügigen Straftat hat der Betroffene das Recht, binnen 14 Tagen Einspruch beim zuständigen Kreisgericht einzulegen. Dieses kann den Einspruch als unbegründet zurückweisen oder die Sache mit entsprechenden Empfehlungen an die Konfliktkommission zurückgeben. Die dann ergehende Entscheidung der Konfliktkommission ist endgültig. Der Staatsanwalt kann innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung Anklage erheben, wenn sich nachträglich Umstände herausstellen, aus denen sich ergibt, daß es sich um keine geringfügige Straftat handelte. Der Grundsatz „ne bis in idem“ gilt hier also nicht.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 155


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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