DDR von A-Z, Band 1965

Sozialistisches Weltsystem (1965)

 

 

Siehe auch die Jahre 1966 1969 1975 1979 1985


 

Unter Chruschtschow vorzugsweise verwendeter Ausdruck für den bolschewistischen Block (Ostblock, Sowjetblock, Lager), der die Weltweite des SW. festhalten soll, das (nach der Etablierung der Volksdemokratie China) mit 1,1–1,2 Mrd. Menschen (davon 320 Mill. in Europa) rd. ein Drittel der Menschheit umfaßt, etwa 35 v. H. der industriellen Weltproduktion erstellt, annähernd 90 Parteien in drei Vierteln der Länder der Erde gebietet (Demokratischer Zentralismus, proletarischer ➝Internationalismus) und — vor allem — durch die Etablierung des Gleichgewichts der Abschreckung neben dem von den USA geführten „kapitalistischen“ System ein einstweilen gleichgewichtiges Gefüge darstelle, von dem die Bolschewisten glauben, daß ihm die Zukunft gehöre (Marxismus-Leninismus, Teil 5 b, Koexistenz).

 

Auf Grund der seit Mitte der 50er Jahre schwelenden, nach 1960 in ein akutes Stadium eingetretenen Spannungen zwischen Moskau und Peking (Chinesisch-sowjetischer Konflikt) und der Hand in Hand damit erfolgten Annäherung des zur Intensivindustrialisierung genötigten von der SU geführten Teils des SW. an die im Herrschaftsstil, in der größeren ideologischen Lockerkeit und vor allem in der Einbeziehung der Volksmassen in die Wirtschaftsführung unorthodoxeren Jugoslawen (Titoismus) ist in den letzten Jahren die Einheit des SW. problematisch geworden. Neben allen europäischen Volksdemokratien (außer Albanien) und der Mongolei steht das Gros der KP der europäischen, amerikanischen, vorder- und mittelorientalischen Länder auf Seiten Chruschtschows. Doch haben gerade einige der gemäßigten Führer wie Gomulka (Polen), Gheorgiu-Dej (Rumänien) und Togliatti (Italien) um des größeren nationalen Spielraums in der Prägung von Parteilinie und gegebenenfalls Herrschaftstil willen ein bekundetes Interesse, die Spannung Moskau–Peking nicht zum offenen Bruch ausarten zu lassen (Polyzentrismus).

 

Wenn auch die soziale und vor allem industriewirtschaftliche Rückständigkeit Chinas Spekulationen der Art, der von Moskau geführte Ostblock werde auf die Dauer an einer Anlehnung an den „Westen“ interessiert sein müssen, vorerst als völlig irreal erscheinen läßt, steht doch außer Frage, daß sowohl die machtpolitische Schlagkraft des SW. wie insbesondere seine Resonanz bei einem Teil der farbigen Entwicklungsvölker und nicht zuletzt all die Effekte in Frage gestellt sind, die die Bolschewisten bei geistig primitiven Massen auf Grund der Behauptung erzielen konnten, in der kodifizierten Theorie des Marxismus-Leninismus stünde ihnen eine unverbrüchliche „wissenschaftliche“ Grundlage als sicheres Instrument zur Erringung der Weltherrschaft zur Vorfügung.

 

Indem nunmehr zwei in wesentlichen Teilen unterschiedliche Ideologien um diesen Anspruch konkurrieren, erscheint mit dem monolithischen Charakter des SW. die Hauptquelle seiner Attraktivität erschüttert; der Marxismus-Leninismus kommt in den hochzivilisierten Gesellschaften in die Zwangslage, sich technologischen, betriebswirtschaftlichen, soziologischen und massenpsychologischen Fakten stellen zu müssen, damit zugleich die revolutionäre Phase zugunsten der Evolution in Frage stellend.

 

Literaturangaben

  • Mehnert, Klaus: Peking und Moskau. Stuttgart 1962, Deutsche Verlagsanstalt. 605 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 394


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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