
Versachlichung (1965)
Siehe auch das Jahr 1966
Treffenderer Ausdruck für die im Westen meist irreführend als Liberalisierung bezeichneten Vorgänge im Ostblock. Der Prozeß der V. ist bisher im wesentlichen in vier kaum rückgängig machbaren Phasen verlaufen: Zunächst 1953 nach Stalins Tod Malenkows Neuer Kurs und seine Akzentlegung auf das Prinzip der Materiellen Interessiertheit, als Impuls zur Produktivitätssteigerung und auf demgemäß stärkere Berücksichtigung des Konsumsektors. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU und der teilweisen Entstalinisierung folgte oine auch die geistigen Bezirke (Tauwetter) z. T. miterfassende Auflockerung der Atmosphäre, bes. in Polen u. Ungarn, wobei jedoch die bolschewistische ➝Parteilichkeit — vor allem in Polen — als oberste [S. 452]Richtlinie voll erhalten blieb. Kleinere Freiheiten unterhalb der politischen Größenordnung wurden seither — ausgenommen weitgehend die SBZ — gewährt. Die damals von Chruschtschow verbindlich gemachte Politik der aktiven Koexistenz hat in einer weiteren Phase ab 1957/58 Maßnahmen der wirtschaftsorganisatorischen Dezentralisation (bei gleichzeitiger Konzentration der planenden und dirigierenden Zentralbehörden) bewirkt, die praktisch (auch in der schulischen Vorbildung der Arbeitskräfte, Polytechnische Bildung) auf eine erhebliche technische Indoktrination der jüngeren Generation (auf Kosten ihrer politisch- ideologischen Erziehung) hinausliefen und in allen Volksdemokratien einschließlich der SBZ eine gewisse Verbesserung der Arbeitsatmosphäre zur Folge hatten. Mit der Liberman-Diskussion ist schließlich ab Herbst 1962 der Übergang zu eindeutig nutzeffekt-orientiertem Wirtschaften vollzogen worden, wobei die SBZ unter persönlichem Einsatz Ulbrichts als Kompensation für die mangelnde Bereitschaft ihrer Führung, nennenswerte kleine Freiheiten zu gewähren, führend ist (Neues ökonomisches System ...). Der ZK-Sekretär für Versorgungspolitik, Jarowinsky, hat demzufolge auf dem V. SED-Plenum vom Febr. 1964 V. als neuen Stil der Parteiarbeit proklamiert. Sie wertet den Menschen nach seinem Produktionsnutzen, gibt den „Spezialisten“ gewisse Freiheiten, bedeutet aber zugleich eine eindeutige Absage an die altkommunistischen humanitären Ideale, denen zufolge der Kommunismus die Aufhebung der auf Grund der „Verdinglichung“ des Menschen erfolgten „Entfremdung“ zum Ziele habe. (Marxismus-Leninismus, Teil 5)
Literaturangaben
- Richert, Ernst (m. e. Einl. von Martin Drath): Macht ohne Mandat — der Staatsapparat in der SBZ. 2., erw. Aufl. (Schr. d. Inst. f. polit. Wissenschaft, Berlin, Bd. 11). Köln 1958, Westdeutscher Verlag. 349 S.
- Richert, Ernst: Die Sowjetzone in der Phase der Koexistenzpolitik (hrsg. v. d. Niedersächs. Landeszentrale f. Polit. Bildung). Hannover 1961. 66 S. (über Zeit 1958 bis 1961.)
- Boettcher, Erik: Die sowjetische Wirtschaftspolitik am Scheidewege. Tübingen 1959, Mohr. 323 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 451–452
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