Architektur (1965)
Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1966 1969 1975 1979 1985
Da die A. mehr als andere bildende Künste berufen erscheint, die „gesellschaftliche“ Entwicklung zugleich zu beeinflussen und zu repräsentieren, nahm sich die Kunstpolitik nach einer kurzen Periode der Unsicherheit ihrer mit besonderem Eifer an und drückte ihr bald den Stempel der herrschenden Kunstrichtung auf (Sozialistischer Realismus). — Die Deutsche ➝Bauakademie als Organ der Kunstpolitik des Regimes diktierte einen Baustil, der in der Nachfolge Hitlers pseudoklassizistische Elemente in bombastischer Fülle aufwies. Der Fassade wurde überall der Vorrang vor dem Grundriß gegeben; die Auflösung der Städte in Eigenheimsiedlungen wurde als „Isolierung der Menschen und ein Hindernis für die Entwicklung“ (Ulbricht) abgelehnt; neuerdings wird der „sozialistische Wohnkomplex“, das Sowjet. „Quartal“, als Ausdruck der „Parteilichkeit in der A.“ herausgestellt (bolschewistische ➝Parteilichkeit); lange Zeit waren Prunkstraßen, wie die Ost-Berliner Stalinallee, sog. Kulturhäuser und andere Bauten „gesellschaftlichen“ Charakters mit großem Aufwand gefördert worden, während die eigentlichen städte- und vor allem wohnungsbaulichen Aufgaben aus Mangel an Mitteln und Baustoffen und infolge des sterilen Bürokratismus des Projektierungsapparates brachlagen (Wohnungsbau, Wohnungswirtschaft). Nachdem 1955 Chruschtschow die Baupolitik der SU scharf kritisiert und ihr Einfachheit, Strenge der Formen und Sparsamkeit als neue Grundsätze anempfohlen hatte, forderte die Deutsche Bauakademie für die SBZ zwar auch Berücksichtigung der Funktion des Bauwerkes, betonte aber, daß das deutsche Bauwesen in der Pflege des klassischen Kulturerbes hinter dem sowjet. zurückstehe und sich den neuen Richtlinien der SU daher noch nicht in vollem Umfange anschließen könne. In der Formgebung ist von einem neuen oder gar revolutionären Zeitstil auch heute noch weit und breit nichts zu sehen und für avantgardistische Einzelleistungen kein Raum. Die bautheoretischen Erörterungen um die nicht vorhandene „sozialistische A.“ verschleiern schlecht das Bemühen der Architekten, die eigentlich zeitgemäßen Elemente westlichen Bauens zu rezipieren und dies irgendwie mit der Ideologie in Einklang zu bringen. Erst die Einführung industrieller Baumethoden (mit vorfabrizierten Fertigbauteilen) führte in jüngster Zeit zu einer gewissen Versachlichung wenigstens im Wohnungsbau, freilich auch zur ödesten Normierung und zum Verzicht auf individuelle Baugedanken. Bearbeitet werden alle größeren Bauaufgaben, unter denen militärische und schwerindustrielle Objekte nach wie vor den Vorrang haben, von den staatlichen Projektierungsbüros, die die große Masse der freien Architekten an sich gezogen haben. Mit den privaten Bauherren sind auch die Existenzmöglichkeiten eines selbständigen Architektenstandes dahingeschwunden. (Bildende Kunst, Funktionalismus, Konstruktivismus)
Literaturangaben
- Balluseck, Lothar von: Zur Lage der bildenden Kunst in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1953. 130 S., 15 Abb. u. 18 Anlagen.
- Plönies, Bartho: Planen und Bauen in der sowjetischen Besatzungszone und im Sowjetsektor von Berlin. 2., erw. Aufl. (BB) 1953. 134 S. m. 16 Anlagen.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 36