Erdölindustrie (1965)
Siehe auch die Jahre 1966 1969 1975 1979
Mangels eigener Erdölvorkommen gab es bis Mitte 1964 keine entwickelte Erdölverarbeitungsindustrie. Bis dahin wurde in nur mäßigem Umfange importiertes Erdöl in eigenen Werken zu Kraftstoffen und Schmierölen verarbeitet. Im übrigen basierte die Chemische Industrie einschl. der Kraftstofferzeugung auf der Veredelung reichlich vorhandener Braunkohlen (Energiewirtschaft). Der steigende Energiebedarf der Zonenindustrie ist aber auf die Dauer nicht durch die kostspielige Erschließung neuer Braunkohlenbergbaue gewährleistet. Hinzu kommt, daß sich im Weltmaßstab rasch eine im Vergleich zur Braunkohlenchemie sehr viel rationellere Petrochemie entwickelte. Die SBZ konnte sich von dieser Entwicklung nicht ausschließen. Der Beschluß, die Erdölindustrie auszubauen und einen eigenen Industriezweig der Petrochemie aufzubauen, geht bereits auf den V. Parteitag der SED (1958) zurück. Damals wurde mit der SU der Anschluß der SBZ an die geplante Erdölleitung vom Uralgebiet bis in die sowjetischen Satellitenländer vereinbart. 1960 begann in Schwedt (Oder) der Aufbau eines großen Erdölverarbeitungswerkes. Der Plan, bereits 1963 die Kraftstoffproduktion aufzunehmen, konnte nicht ausgeführt werden. Erst ab Juni 1964 begann die Probeanlage täglich etwa 1.000 t Roh-Destillat zu liefern, das zur Weiterverarbeitung an das Leunawerk und das Schmierstoffwerk Lützkendorf geht. Die Erdölleitung bis Schwedt war im Febr. 1964 fertiggestellt worden. Das Erdölverarbeitungswerk Schwedt soll in seiner ersten Ausbaustufe, die frühestens 1966 betriebsfertig sein wird, jährlich 4 Mill. t. Erdöl zu Kraftstoffen verarbeiten können, wobei eine Reihe von Nebenprodukten (Heizöl, Schmieröl, Bitumen usw.) anfallen. „Nach 1970“ soll das Werk Schwedt auf eine Durchsatzkapazität von 8 Mill. t ausgebaut werden. Der Aufbau des petrochemischen Verarbeitungszweiges in Schwedt soll frühestens 1968/69 beginnen.
[S. 115]Von 1965–1975 wird die Erdölindustrie der SBZ eine Durchsatzkapazität von rd. 40 t im Jahr je Kopf der Bevölkerung erreichen. Die E. in der BRD jedoch verarbeitete im Jahre 1963 bereits rd. 800 t Erdöl je Kopf der Bevölkerung. Diese Zahlen zeigen, daß an ein Aufholen der SBZ auf diesem Gebiete überhaupt nicht zu denken ist und daß die auf dem VI. Parteitag der SED angekündigte „Chemisierung der Volkswirtschaft“ eine leere Propagandaparole ist.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 114–115