Gesellschaftliche Erziehung (1965)
Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1966 1969 1975 1979
Die Beschlüsse des V. Parteitages der SED im Juli 1958 gipfelten darin, in der Bevölkerung die sozialistische Bewußtseinsbildung zu verstärken. Dem soll die Erziehung durch das Kollektiv dienen, und zwar in den Parteien und Massenorganisationen, im Betrieb und in der Einwohnerversammlung. Der GE. wird vor allem große Bedeutung im Kampf gegen die Kriminalität beigemessen. An den notwendigen Auseinandersetzungen mit einem straffällig gewordenen Bürger soll sich nicht nur das Gericht, sondern ein möglichst großes Kollektiv beteiligen. Dessen Einschaltung sei wegen der in der Auseinandersetzung herrschenden „Atmosphäre der Unduldsamkeit“ von größerem erzieherischem Einfluß, als wenn lediglich das Gericht in Tätigkeit trete (Streit in „Neue Justiz“ 1959, S. 37).
Der Rechtspflegeerlaß des Staatsrates vom 4. 4. 1963 ordnet an, daß die Gerichte in Strafverfahren Vertreter von sozialistischen Brigaden, Hausgemeinschaften oder anderen Kollektiven der Werktätigen zur Teilnahme an der Hauptverhandlung laden sollen. Der Vertreter des Kollektivs hat die Auffassung des Kollektivs zur Tat und zur Persönlichkeit des Angeklagten darzulegen. Er hat aber nicht eine so starke Stellung wie der gesellschaftliche Ankläger und Verteidiger. Seine Aussagen haben jedoch Beweiskraft. Damit wird das Kollektiv unmittelbar in die Hauptverhandlung einbezogen.
Im Anschluß an ein Strafverfahren, das mit Bedingter Verurteilung, öffentlichem Tadel, Geldstrafe oder Einstellung des Verfahrens enden kann (Strafpolitik), „ist die begonnene erzieherische Einwirkung durch gesellschaftliche Kräfte fortzusetzen“ („Neue Justiz“ 1961, S. 331). Hier tritt also die außergerichtliche GE. neben die Erziehung durch das Gericht. Diese GE. soll im Betrieb, im Wohnbereich oder in der Produktionsgenossenschaft, der der Täter angehört, organisiert werden. Der Schwerpunkt soll in der Erziehungsarbeit innerhalb der sozialistischen Brigaden liegen. Wenn eine Strafe ohne Freiheitsentzug verhängt wird, kann das Gericht dem Vorschlag eines sozialistischen Kollektivs entsprechen und die Übernahme einer Bürgschaft durch das Kollektiv für den Verur[S. 155]teilten bestätigen. Die durch die Bürgschaft übernommene Verpflichtung, den Verurteilten im sozialistischen Sinne zu erziehen, erlischt nach Ablauf von einem Jahr, spätestens mit Ablauf einer etwa festgesetzten Bewährungszeit. Zur Erhöhung der erzieherischen Wirkung einer bedingten Verurteilung kann das Gericht den Verurteilten verpflichten, seinen bisherigen oder einen ihm zugewiesenen Arbeitsplatz nicht zu wechseln (§ 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung strafrechtlicher und verfahrensrechtlicher Bestimmungen vom 17. 4. 1963 — GBl. I, S. 65). Eine eigenständige Form der GE. ist den Konfliktkommissionen und Schiedskommissionen übertragen, die damit bereits zu Gesellschaftlichen Gerichten geworden sind.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 154–155
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