Gesundheitswesen (1965)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 158]Im G. sind von 1945 bis 1958 die Entwicklungsphasen des G. der SU in allen wesentlichen Punkten wiederholt worden: einer Anfangsperiode der Eindämmung von Seuchen, Tbc und Geschlechtskrankheiten folgte die Errichtung von Polikliniken und Ambulatorien, die 1947 den Land- und Stadtkreisen und den industriellen Großbetrieben aufgegeben wurde. Von 1949 an wurden Vorbeugung („Prophylaxe“) und späterhin auch die nachgehende Überwachung („Metaphylaxe“) zur ausdrücklichen Aufgabe dieser „Staatlichen Behandlungseinrichtungen“ gemacht. 1950 begann der Aufbau von „Beratungs- und Behandlungsstellen“ (in der SU „Dispensaires“) für bestimmte Krankheiten oder Personengruppen. So entstanden mehrere Systeme mit sich überschneidenden Aufgaben: „Behandlungseinrichtungen“ regionaler Zuständigkeit und solche für Betriebsbelegschaften, die beide auch Vorbeugung betreiben sollten; neben ihnen „Beratungsstellen“, die — nach medizin. Fachgebieten gegliedert — auf Vorbeugung und nachgehende Überwachung orientiert waren, aber auch behandelten. 1952 wurde erstmals die Koordinierung versucht: die Poliklinik wurde „Leitorgan“ in ihrem Kreis, doch war das Betriebs-G. ausgenommen. Poliklinik und Krankenhaus jedes Kreises sollten gemeinsame ärztliche und Verwaltungsleitung haben („Einheit Krankenhaus-Poliklinik“), jeder Kranke innerhalb des Krankenhauses („stationär“) wie außerhalb („ambulant“) vom gleichen Arzt, behandelt werden. Damit war im Programm der Stand der SU im wesentlichen erreicht. Die weitere Entwicklung vollzog sich gleichläufig.
1. Organisationsprinzipien
Seit 1954 wird versucht, die Organisation des G. an zwei Prinzipien auszurichten: Gliederung nach „Versorgungsbereichen“ und „Dispensaire-Methode“. Nach der „Rahmen-Krankenhausordnung“ vom 5. 11. 1954 (GBl. S. 957) soll in jeder regionalen Verwaltungseinheit (Land- und Stadtkreise, Stadtbezirke von Großstädten) das Krankenhaus als Gesundheitszentrum die gesamte ärztliche Versorgung der Bevölkerung in seinem „Versorgungsbereich“ leiten; dabei blieb wiederum das Betriebs-G. ausgenommen. Die Poliklinik als Einrichtung für die ambulante Behandlung und Überwachung wurde dem Krankenhaus des Versorgungsbereichs nachgeordnet (in Umkehrung des früheren Prinzips jetzt „Krankenhaus-Poliklinik-Einheit“). Aufgabe ist, „durch sinnvolles Ineinandergreifen der drei Aufgabenbereiche (nämlich Vorbeugung, Behandlung und nachgehende Überwachung) eine weitere Verbesserung der gesundheitlichen Betreuung der Bevölkerung zu erzielen“. Dem Leitenden Arzt jedes Krankenhauses sind dafür die jeweils kleineren Krankenhäuser seines Bereichs und die Poliklinik weisungsgebunden unterstellt, der Poliklinik ebenso Ambulatorien (anfangs mit nachgeordneten Außenstellen) und Staatlichen Praxen. In gleicher Weise ist auch den leitenden Fachärzten dieser Einrichtungen eine hierarchisch gestaffelte Fachaufsicht zugedacht. Die einheitliche Gliederung gibt die formalen Voraussetzungen, alle Behandlungen von Bezirks-Krankenhaus und -Poliklinik aus zu steuern. Damit sollen die Schwierigkeiten der fachlichen Koordinierung ärztlicher Behandlungen und der Weiterleitung der „schwierigen Fälle“ an die entsprechend qualifizierte Stelle mit den Mitteln des Kommandostaates gelöst werden.
Das Vorhandensein einer verhältnismäßig starken Schicht qualifizierter niedergelassener Ärzte zwang jedoch zu wesentlichen Modifikationen gegenüber dem Schema der SU. Denn der starke Widerstand dieser Ärzte und ihre zunehmende Abwanderung ließen durchgreifende Maßnahmen zu ihrer Einordnung in das Gefüge der staatlichen Einrichtungen nicht zu. Auch stand die Tradition des praktischen Arztes einer extremen Spezialisierung nach dem Muster der SU entgegen. So sollte von 1958 an die Staatliche Praxis (für Ärzte und Zahnärzte, wie auch für Tierärzte), ähnlich wie früher in der CSSR, die größere Selbständigkeit und individuelle Entscheidungsbefugnis (gegenüber der straffen Steuerung in Kollektiven in der SU) ermöglichen, die der Tradition des freiberuflichen Arztes westlicher Prägung zugestanden werden mußten. Die Auf[S. 159]lösung der freien Praxen oder ihre Umwandlung erwiesen sich dennoch als unmöglich. Daher wurden die „Ärzte in eigener Praxis“ in das Bereichsarztsystem einbezogen (Perspektivplan für die Entwicklung der Medizinischen Wissenschaft und des G., Juli 1959). Für den Großteil der Bevölkerung, mindestens außerhalb der Großstädte, ließ sich damit die freie Arztwahl wesentlich einschränken, ohne daß sie förmlich aufgehoben wurde.
Die Einrichtung der Staatlichen Praxen seit 1958 hat die Abwanderung von Ärzten und den Widerstand der verbleibenden stark gefördert. Extremer Mangel an Ärzten zwang 1960 zu weitgehenden Zugeständnissen, die selbst vor der inneren Organisation der Staatlichen Einrichtungen nicht Halt machen konnten (Kommuniqué des Politbüros zur Verbesserung der Lage der Ärzte, 20. 12. 1960). 1961 wurde in diesen die „Halbstaatliche Praxis“ eingeführt und damit den angestellten Ärzten und Zahnärzten größere Bewegungsfreiheit innerhalb der Institutionen gewählt. Mit der Unterbindung der Abwanderung (13. 8. 1961) begann die Zahl der Ärzte und Zahnärzte rasch anzusteigen. Als Haupthindernis trat nun das Fehlen berufserfahrener Ärzte in den Vordergrund. Die hohen Ausbildungszahlen können das zunächst nicht ausgleichen. Die Schwierigkeiten sind von der Quantität auf die Qualität verlagert worden.
2. „Einheit des Gesundheitswesens“
Für das Arbeitsprinzip der Einheit von Vorbeugung, Behandlung und Überwachung und von ambulanter und stationärer ärztlicher Versorgung hat sich eine praktikable Lösung bisher nicht entwickeln lassen. Der jahrelang propagierte Gedanke, die ambulante und stationäre Behandlung jedes Kranken in der Hand jeweils nur eines Arztes zusammenzufassen, hat sich als nicht realisierbar erwiesen. Die Ärzte des Versorgungsbereiches sind weiterhin (mit Ausnahme einzelner Fachgebiete) entweder im „stationären“ oder im „ambulanten Sektor“ tätig. Zusammengefaßt sind nur noch „Anleitung und Kontrolle“ mit dem Zweck, eine rationelle einheitliche Behandlung und Überwachung innerhalb der staatlichen Behandlungseinrichtungen zu erreichen und Mehrfachaufwand für Diagnostik zu vermeiden. Ebenso hat sich kein Weg gefunden, das Betriebsgesundheitswesen in die Organisation nach Versorgungsbereichen einzubeziehen. Seine Angliederung an das „Gesundheitszentrum“ blieb stets rein formal. Die starke Betonung der Arbeitshygiene, die gegenüber der Behandlungsaufgabe in den Vordergrund gestellt wurde, gab den Betriebsärzten eine Sonderstellung. Versucht wurde, die Einrichtungen hier nach Wirtschaftszweigen (mit gleichen arbeitsmedizinischen Gefahrenmomenten) zu gliedern. Das ist mißlungen. Danach wurde auch hier eine regionale Gliederung eingeführt: die Betriebspoliklinik des größten Betriebs in jedem Kreis soll die Funktion einer „Leitstelle“ haben. Die Behandlungseinrichtungen aller kleineren Betriebe sind ihr formal nachgeordnet. Auch Klein- und Kleinstbetriebe sollen durch nebenamtliche Betriebsärzte arbeitshygienisch überwacht werden, unter Steuerung von der Leitpoliklinik aus. Diese „territoriale Organisation des Betriebsgesundheitsschutzes“ soll als Ganzes eine „Abteilung des Gesundheitszentrums“ des jeweiligen Kreises sein, um die Koordinierung der Behandlungsfunktionen zwischen betrieblich- und außerbetrieblich-regionalem System zu erreichen. Die zentrale arbeitsmedizinische Lenkung des Betriebsgesundheitswesens liegt bei der Arbeitssanitätsinspektion jedes Bezirks.
3. Dispensaireprinzip
Gemeinsam ist diesen beiden Zweigen des G. die programmatische Vorrangstellung der „Prophylaxe“ und der nachgehenden Überwachung nach dem Prinzip des Dispensaire. Dessen Arbeit kann entweder auf Bevölkerungsgruppen, die gesundheitlich besonders gefährdet sind, gerichtet sein oder aber auf bestimmte Krankheiten, ihre Erfassung, Behandlungssicherung und Überwachung, wo immer sie auftreten. Die doppelte Ausrichtung im betrieblichen wie im regionalen System der staatlichen Einrichtungen führt zu zahlreichen Überschneidungen. In regionaler Gliederung ist die Dispensaire-Arbeit besonders auf Kinder, Jugendliche und Frauen gerichtet. Frauenberatungsstellen bieten Aufklärung und Hilfe [S. 161]in der Schwangerschaftsverhütung (zur Abwehr von Abtreibung und Schwangerschaftsunterbrechung, Schulung in der Säuglingspflege, Rechtsberatung usf.); Schwangerenberatung hat eine praktisch vollzählige Erfassung und Überwachung aller Schwangeren bewirkt. Die Anstaltsentbindung ist systematisch gefördert worden (1963: 94,2 v. H. aller Entbindungen in Krankenhäusern und Heimen); damit und mit Frühgeburtendienst, Frauenmilchsammelstellen und Milchküchen hat sich zwar nicht die Frühgeburtenrate, wohl aber die Frühgeborenensterblichkeit und damit die Säuglingssterblichkeit überhaupt beträchtlich senken lassen. Ähnlich ist die Jugendgesundheitspflege, die sich bis zum Ende des Berufsschulalters (also noch über die zehnklassige Oberschule hinaus) erstreckt, mitsamt Jugendzahnpflege zu einem System der Erfassung von Gesundheitsschäden und -schwächen in Reihenuntersuchungen und der Sicherung und Überwachung ihrer Behandlung ausgebaut; die gesundheitlich ungünstigen Auswirkungen von verschleierter Kinderarbeit (Erntehilfe u.ä.), von Überforderung im Schulbetrieb, von Überlastung in der polytechnischen Bildung u. Erziehung können damit allerdings nicht kompensiert werden. Auch die ärztliche Überwachung des Sports ist in „Sportärztlichen Beratungsstellen“ nach dem Dispensaireprinzip organisiert (Sportarzt). In der erwachsenen Bevölkerung sollen die Dispensaires einigen weitverbreiteten Krankheiten begegnen: Herz- und Kreislaufleiden, rheumatischen Leiden, Krankheiten der Atmungsorgane, Diabetes u.v.a. Solche Dispensaires bestehen zwar bei einzelnen großen Polikliniken, in der Hauptsache aber ist das Prinzip auf das Betriebs-G. beschränkt geblieben. Dort werden, wiederum mittels Reihenuntersuchungen, die Kranken frühzeitig „erfaßt“ und dann im Dispensaire „betreut“. Ebenso werden bestimmte Berufskrankheiten in einzelnen Industriezweigen und die vielfältigen Überlastungsgefahren der Frauen in Großbetrieben behandelt.
In den Betriebspolikliniken großer Industriebetriebe wird die gezielte Vorbeugung ergänzt durch nachgehende Maßnahmen, die sich besonders auf Rekonvaleszenten und auf Chronisch-Kranke richten: Nachtsanatorien sollen eine Kombination klinischer Behandlung mit Erwerbsarbeit ermöglichen, „Schonarbeitsplätze“ vor den hohen Anforderungen, die die Arbeitsnormen auf normalen Arbeitsplätzen mit sich bringen, zeitweise bewahren (sog. Rehabilitation). Besondere Förderung erfährt, nach dem Muster der SU, seit einigen Jahren der „Gesundheitsschutz der Landbevölkerung“, d.h. das Betriebs-G. der Landwirtschaftlichen ➝Produktionsgenossenschaften („LPG“) und die Hygiene der landwirtschaftlichen Wohngebiete, die beide „hinter der sozialistischen Umwälzung auf dem Lande zurückgeblieben“ sind (Perspektivplan, S. 22). Vorgefundene Struktur der medizinischen Versorgung und größere Siedlungsdichte im Vergleich zur SU haben die Nachahmung der dort entwickelten Organisationsschemata auf diesem Gebiete verzögert. In der Aufstellung der Bezirke nach dem Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen an den Beschäftigten überhaupt (Tabelle) zeigen sich bei der ärztlichen und Krankenhausversorgung noch heute starke Ungleichmäßigkeiten; dagegen ist die Zahl der Beratungsstellen und Entbindungsbetten jetzt in den vorwiegend landwirtschaftlichen Bezirken relativ größer als in den industriellen. Die Säuglingssterblichkeit ist, soweit sie durch Anstaltsentbindung und Frühgeburtendienst gesenkt werden kann (Frühsterblichkeit), in jenen recht günstig, nicht aber im späteren Säuglingsleben, wo sie von den allgemeinen sozialen Umständen abhängt (Spätsterblichkeit; sie ist in der SBZ insgesamt auffallend hoch).
4. Hygiene
Den dritten Zweig des G. bilden Hygiene und Seuchenbekämpfung. Zahlreiche Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften sollen einwandfreie Verhältnisse bei Trink- und Abwasser, im Lebensmittelverkehr, in den sehr verbreiteten Betriebsküchen u. dgl. herbeiführen. Zu ihrer Durchsetzung sind die Kontrollorgane unter Leitung der Hygiene-Inspektion mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Die Eingliederung der Arbeitssanitätsinspektionen in die Bezirks-Hygiene-Institute (1959) soll die Koordination zwischen betrieblichen und allgemeinen Schutzmaßnahmen sichern und die häufigen Reibungen und Überschneidungen überwinden.
[S. 162]Die gemeinsame Leitung aller drei Zweige und des Apothekenwesens liegt regional bei der Abteilung G. jedes Kreises und Bezirks, also in der Hand der Kreisärzte und Bezirksärzte. Sie sind für die gesundheitspolitische Kontrolle, für die Kaderpolitik und für die Verwaltungskoordination verantwortlich.
5. Doktrin und Realität
Insgesamt entspricht alles das, trotz manchen Abweichungen in den Einzelheiten, dem G. der SU: im Plan ein umfassendes und rationell erscheinendes System von Krankheitsverhütung und -behandlung, das auf die Entwicklung und Erhaltung gegenwärtiger und zukünftiger Arbeitskraft ausgerichtet ist. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Immer neue Änderungen im Programm widerlegen die Behauptung, daß es sich um eine klare Konzeption handle, die sich mit angemessenem Aufwand realisieren ließe. Sie beweisen das Unvermögen des Regimes, einfache und in der Praxis wirksame beständige Grundformen zu entwickeln, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werden und dabei Raum für die Entfaltung persönlicher Initiative der Mitarbeiter zur Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten lassen. Wirklichkeitsfern nach Doktrinen konstruierte Einrichtungen führen zu einem Übermaß von Verwaltung und „Kontrolle“. Kräfte und Mittel werden dadurch der effektiven Arbeit entzogen. So sind auch die (allerdings sehr beträchtlichen) Abgänge von Ärzten und anderen Angehörigen der Heilberufe keineswegs die einzige Ursache des Notstandes von 1958 an gewesen. Fehlleitung und Mißbrauch der vorhandenen Kräfte, rücksichtslose Konkurrenz der verschiedenen Teile des Staatsapparates, zumal der militärischen Verbände (Ministerium für G., Militärpolitik) haben dazu wesentlich beigetragen. Unter dem allgemeinen Ressortegoismus ist die Einheit des G. aufgelöst worden: „Nationale Volksarmee“, Verkehrswesen, Sport führen jeder einen eigenen „Medizinischen Dienst“, der dem Einfluß des Gesundheitsministeriums entzogen ist und diesem die knappen Fachkräfte in den Heilberufen streitig macht.
Aber auch eine sehr viel bessere Organisation des G. könnte das proklamierte Ziel, die Verhütung von Krankheiten, nicht erreichen. Die Überspannung der Arbeit von Frauen und Jugendlichen unter Mißachtung elementarer Grundsätze des Arbeitsschutzes (Nacht- und Schwerarbeit der Frauen und Jugendlichen vom 17. Lebensjahr an) verursacht kaum abschätzbare Gesundheitsschäden. Besonders ungünstig sind die ständige nervliche Belastung (Normen, Prämienwesen, politischer Druck) und das Fehlen ausreichender Entspannungsmöglichkeiten (ungenügende Freizeit durch Sonderschichten und -einsätze, staatspolitische Schulung usf.). Der „Gesundheitsschutz“ bleibt auf die Früherfassung von Krankheiten beschränkt und erreicht selbst diese nicht.
Rehabilitation und Nachtsanatorien könnten wertvolle Einrichtungen sein, die dem heutigen Erkenntnisstand der Medizin entsprechen. Aber sie entarten unter dem alles beherrschenden Streben, die verknappte Arbeitskraft zu nutzen. Der Krankenstand hält sich trotz ständiger Bemühung stets um mehr als ein Viertel über den Kennziffern, keineswegs nur aus Krankheitsgründen. Oft genug dient Arbeitsbefreiung unter Vorgabe von Krankheit lediglich der Tarnung von Wartezeiten, die durch Ausbleiben von Materiallieferungen u.ä. hervorgerufen werden. Jedoch läßt die auffallend lange durchschnittliche Dauer der Krankheitsfälle vermuten, daß ernste Gesundheitsschäden eine beträchtliche Rolle spielen; dabei spricht die Erschwerung der ärztlichen Behandlung durch lückenhafte Arzneimittelversorgung ebenso mit wie der Mangel an erfahrenen Ärzten in der Krankheitsbehandlung; beides führt oft zu behelfsmäßiger oder gar oberflächlicher Behandlung. Andererseits ist gerade durch die Ärzteflucht dem Regime die Durchsetzung des Programms erleichtert worden, vor allem die Anerkennung der Polikliniken in der Bevölkerung und die weitgehende Einschränkung der freien Arztwahl. Die Nachwuchszahlen liegen sehr hoch, bei Ärzten und anderem Medizinischen Personal. Die Zahlen der Mitarbeiter des G. nähern sich den Normzahlen des Siebenjahrplans. Zugeständnisse in programmatischen Formulierungen („Perspektivplan“) und zeitweilig mildere Regelungen (Kommuniqué des Politbüros vom 20. 12. 1960) waren von vornherein nur als zeitweilig zu [S. 163]verstehen. Das Ziel der völligen Verstaatlichung und der einheitlich straffen Steuerung des G. hat nie in Frage gestanden. Es ist im wesentlichen erreicht. Als nächster Schritt zeichnen sich die Beseitigung der Einzelpraxen (auch der Staatlichen) und ihre Zusammenfassung in Polikliniken und Ambulatorien nach dem Muster der SU ab.
Die Medizinische Ausbildung ist nach dem Muster des sowjetischen Ausbildungssystems umgestaltet und stark politisiert worden. Auch die medizinisch-wissenschaftliche Arbeit, die nachdrücklich gefördert wird (Akademie der Wissenschaften), unterliegt straffer Planung (Deutscher ➝Forschungsrat) und intensiver politischer Einwirkung.
Literaturangaben
- Weiss, Wilhelm: Das Gesundheitswesen in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw., von Erwin Jahn völlig umgearb. Aufl. (BB) 1957. Teil I (Text) 98 S., Teil II (Anlagen) 189 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 158–163
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