DDR von A-Z, Band 1965

Grenzgänger (1965)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1966 1969 1975 1979


 

Im allgemeinen Sprachgebrauch Bezeichnung für Personen, die in West-Berlin arbeiteten und in Ost-Berlin oder in dem sowjetzonalen Randgebiet wohnten oder umgekehrt dort arbeiteten und in West-Berlin wohnten. Der Begriff des G. entstand nach der Währungsreform. Die in West-Berlin arbeitenden G. erhielten nur einen Teil ihres Lohnes in DM West, der restliche Lohn wurde vom Arbeitgeber in DM Ost ausgezahlt. Der West-Berliner Arbeitgeber mußte den dem Ostgeld-Anteil entsprechenden Betrag in DM West an die Lohnausgleichskasse in Berlin (West) abführen. Aus dieser Kasse wurde der Umtausch eines Teils des in Ostgeld empfangenen Lohnes der in Ost-Berlin oder der SBZ arbeitenden G. in Westgeld finanziert.

 

1948 arbeiteten mehr als 100.000 West-Berliner in Ost-Berlin und in der SBZ. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung West-Berlins und der Abnahme der Arbeitslosigkeit ging diese Zahl ständig zurück und betrug Anfang Aug. 1961 nur noch 13.000, darunter rd. 6.000 Eisenbahner und annähernd 3.500 freischaffende Künstler, Artisten und Schausteller. Dagegen arbeiteten vor dem 13. 8. 1961 noch annähernd 60.000 Ost-Berliner oder Bewohner der Randgebiete in Berlin (West) gegenüber etwa 70.000 im Jahre 1949. Diese G. waren seit 1952 ständiger Kritik und Schikanen ausgesetzt, durch die sie zur „freiwilligen“ Aufgabe ihrer Arbeitsplätze in Berlin (West) veranlaßt werden sollten. Im Sommer 1961 begann ein förmliches Kesseltreiben gegen diese G. Sie wurden in Zeitungen und Versammlungen als Verräter und Spekulanten angeprangert. Die G. wurden vom Einkauf bestimmter Industriewaren ausgeschlossen und mußten ab 1. 8. 1961 die Miete und alle öffentlichen Gebühren in DM West bezahlen. Diese Zwangsmaßnahmen wurden durch Ausweisungen vieler G. aus ihren Wohnungen und vor allem durch zahlreiche Strafverfahren wegen „illegaler Geldeinfuhr“ ergänzt.

 

Durch die gewaltsamen Sperrmaßnahmen des kommun. Regimes vom 13. 8. 1961 in Berlin wurde den im sowjet. Machtbereich wohnenden G. die weitere Arbeit in Berlin (West) unmöglich gemacht. Sie mußten sich bei ihren früheren Betrieben in Ost-Berlin melden oder bei den Arbeitsämtern ihres Wohnsitzes zum Nachweis einer „geeigneten Tätigkeit“ registrieren lassen. Viele der ehemaligen G. erhielten jedoch zunächst keine ihren Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung. Sie mußten „zur Bewährung“ schlecht bezahlte schwere körperliche Arbeit in sog. Schwerpunktbetrieben aufnehmen. Viele G., die sich weigerten, eine solche Arbeit anzunehmen, sind als „arbeitsscheue Personen“ zur Arbeitserziehung verurteilt und auf unbestimmte Zeit in ein Haftarbeitslager eingewiesen worden.

 

Durch ein West-Berliner Gesetz vom 8. 11. 1961 (G. u. VOBl. S. 1611) sind die Rechte der G. aus ihren früheren Arbeitsverhältnissen in Berlin (West) geschützt worden. Kündigungen dieser Arbeitsverhältnisse sind für die Zeit des Bestehens der Sperrmaßnahmen in Berlin unzulässig. Der Lohnumtausch für die in Ost-Berlin arbeitenden West-Berliner G. ist auf Anweisung des Senats von Berlin (West) am 1. 10. 1961 eingestellt worden. Hiervon wurden nur noch etwa 600 G. betroffen. Für die West-[S. 167]Berliner Eisenbahner, die auf in Berlin (West) liegenden Dienststellen der sowjetzonalen Reichsbahn arbeiten, wird dagegen der Lohnumtausch fortgesetzt.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 166–167


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.